Internationale Konkurrenz im Nachwuchsleistungssport - Foto: Lothar Pöhlitz
Erfahrungen und Empfehlungen zum Nachwuchsleistungstraining im Mittel- und Langstreckenlauf nach der WM 2019 in Doha – Lothar Pöhlitz
© Lothar Pöhlitz – 14. November 2019 – Die Leichtathletik-WM im Kühlschrank von Doha 2019 und der schwülen Hitze auf den Straßen ist Geschichte, der Aufschwung nach den ersten 3 Jahren der Olympiavorbereitung ausgeblieben.
6 Medaillen, davon 2 für Gesa und Koko mit Weltniveauleistungen, waren die Ausbeute. 65 von 71 deutscher Athleten haben zu wenig oder nicht „geliefert“, weil auf der einen Seite ihr Ausgangsniveau auf einem zu geringen Niveau für Hochleistungs-Ansprüche war, so dass selbst p.B. nicht zu vorderen Platzierungen führten, oder ihr Anspruch für eine WM oder OS zu gering war, wenn sie, beispielsweise, bereits ihre Teilnahme zum Erfolg mit eigener Zufriedenheit erklärten.
Aber alle wissen: Zahlen lügen nicht und „Zweifler gewinnen nicht“ war einer der tollen Kommentare von Frank Busemann aus Doha
Der End-Medaillenspiegel der WM führt uns die Wahrheit unangenehm klar vor Augen. Der Fortschritt ist ausgeblieben, die USA 29 (14-11-4), Kenia 11 (5-2-4), Jamaika 12 (3-5-4) ………GERMANY 6 (2-0-4)
71 deutsche Frauen und Männer für 49 Disziplinen erkämpften, von den 147 zu vergebenden Medaillen, gerade einmal 6 in 6 Disziplinbereichen – im Sprint / Hürden, Sprung, Mehrkampf, Wurf / Stoß, Lauf / Gehen und Wurf / Stoß. Und das 9 Monate vor den Olympischen Spielen in Tokyo.
“Ich bin überzeugt: alle, die hier an den Start gehen, werden performen“, sagte DLV-Generaldirektor Idriss Gonschinska noch am Tag vor der WM-Eröffnung. „Die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit im Gastgeber-Land sind eine Herausforderung, aber kein Hindernis, die Bedingungen sind für alle gleich. Wir sind darauf mental eingestellt“.
Mittel- und Langstrecken weltweit mit Leistungsfortschritt
Der bei den Weltmeisterschaften in Doha in den MIttel- und Langstreckendisziplinen auffällige Leistungsfortschritt hat seine Ursachen im inzwischen weltweiten Höhentraining unter professionellen Bedingungen, erhöhten Prämien in großen Events, der Windstille im klimatisierten Stadion und einem mehr als bisher bei Höhepunkten offensiv geführten Kampf um Medaillen.
Am Beispiel des 1500 m Laufs der Frauen, bei dem schon im HF 8 Läuferinnen um 4:01 und im Finale sogar 11 (!) zwischen 3:51,95 und 4:00.63 Minuten blieben, müssen aus der inzwischen für uns Ernsthaftigkeit der Situation, die Aufgaben nicht nur formuliert, sondern umgesetzt werden.
Für die Läufer muss das erfahrene „Mehrwissen“ aus Konstanze Klosterhalfens neuen Umfeld, Gesas Höhentrainingsketten seid 2010, aber auch Leistungen von Profis aus den sog. „kleinen Ländern“ schnell zu Konsequenzen führen. Deutschlands derzeitiger Rückstand vor allem bei den Männern – neben unseren beiden Goldkörnchen Gesa und Konstanze – lässt sich nur verkürzen, wenn baldmöglichst, schon im Nachwuchsleistungstraining, Trainern und Athleten dem Anspruch Weltspitzenleistungen professionelle Bedingungen zur Verfügung gestellt werden, eine gezielte Talentsuche und Ausbildung, neue Organisationsformen, Teamarbeit und modernes Trainingswissen in den Mittelpunkt einer notwendigen Aufholjagd gestellt werden.
Wenn Konstanze Klosterhalfen eine Rückkehr nach Deutschland ausschließt weil „das Training dort im Team intensiver und schlauer ist, jeder Tag wie im Trainingslager verläuft und die Regeneration zur Verfügung steht so oft man sie braucht“, muss das doch für alle Lauftrainer und den DLV ein Weckruf sein ihre bisherigen Konzeptionen zu überdenken, schlauer zu trainieren, Einigkeit für eine Arbeit im Team herzustellen, Standardprogramme zu wollen, andere Wettkampfansprüche, Motivation, Lob und Tadel auch in Richtung offensiver Renngestaltung und mehr Umfang, auch Überwachung z.B. in der Realisierung der Regeneration, der Ernährung, des Schlafs, vor allem aber härter im Training zu laufen, wären einige der vielleicht hilfreichen Aufgaben.
Die Olympische Leichtathletik braucht Hochleistungstraining, wenn Deutschland wieder zu den Besten gehören soll, wie es sich die Medien und die Fans wünschen. Wir haben es doch schon einmal gekonnt. Dafür müssen der DLV, in den Regionen die LV und die Olympiastützpunkte die Bedingungen schaffen, der Cheftrainer muss wieder die Bundestrainer führen und „fördern und fordern“ für alle tägliche Praxis werden.
Es sind nur noch 9 Monate bis Olympia in Tokyo – Foto: Horst Milde
Fotos: Yoshi
Vielleicht helfen dem Nachwuchsleistungssport – 2032 sind ja wieder Olympische Spiele – diese trainingsmethodischen Erfahrungen und Empfehlungen in Kurzform:
Im Nachwuchsleistungstraining müssen alle Systeme langfristig-vorbereitend ausgebildet werden die später im Hochleistungstraining gebraucht werden. Dafür müssen deutschlandweit außergewöhnliche Begabte gefunden und von professionellen Kids-Coaches in den Vereinen in einem leistungsorientierten Umfeld ausgebildet werden.
Dem Herzmuskelaufbau (Herzgröße, Herz-Kreislaufleistung, Blut- und Sauerstofftransport zur Muskulatur, Ruhe HF, HF max., Regeneration) und der Ganzkörper-Athletik kommt dabei eine besondere Bedeutung zu
Die Laufökonomie – „Leicht“ -Lauftechnik – die Techniken aller Trainingsübungen, die Beweglichkeit – die Koordinationsentwicklung sollten schon sehr früh innerhalb einer langfristigen Ausbildung Schwerpunkte sein.
Ausbildungspyramide für Läufer
Das aerobe Training muss auf die Entwicklung der Herzentwicklung, der „Schwelle“ (vL 3), der Mitochondrienentwicklung (Kraftwerke im Muskel), der Kapillarisierung, dem Sauerstoff- und Energietransport, einer effektiven Atmung (auch Atemübungen) in unterschiedlichsten Leistungssituationen, zielen. Dafür braucht man viele „mittlere Kilometer“
-> das aerobe Training schließt den aerob-anaeroben Übergangsbereich und die Entwicklung der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) ein und dient auch der Ausprägung der „Laktattoleranz“ (Laktatverträglichkeit). Das bedeutet auch, dass das längere-schnelle Laufen aeroben Talente nicht abgewöhnt werden darf.
Die „Lehre vom Umgang mit der Geschwindigkeit“ und die systematische Erarbeitung des „Tempogefühls“ sowohl für das Training als für die p.B. im Wettkampf muss, vom Ausprägungsgrad der Fähigkeiten abhängig, ein wichtiger Teil des Trainings sein.
* das Wort „Ziel-Wettkampftempo“ gehört in die Ausbildung, das Training des Tempogefühls zu den angestrebten Zielzeiten („Rekord – und persönliche Bestleistungs“ – Taktik) im Nachwuchsleistungssport führen
Auch Taktik ist eine der langfristigen Ausbildungsaufgaben deren vielfältigen Umgang man erlernen und üben muss, in Rennen. Geben sie ihren Läufern – je nach Altersklasse und Ausbildungsstand – in jedes Rennen einen klaren Auftrag mit, an welcher Stelle sie was tun sollen, dass sie welche Details ihrer Technik „überwachen“ sollen und ab wann der lange oder kurze Spurt wie beginnen und aussehen soll. Vielleicht auch dass sie in engen Endphasen auf der 3. oder 4.Bahn frei spurten können. Besonders wichtig, dass sie mit „Leichtlaufen“ Kraft sparen und besser die Übersicht behalten.
Foto: Peter Middel
Für alle Wettkampfstrecken ist ganzjähriges Schnelligkeitstraining und die Entwicklung der Unterdistanzleistungsfähigkeit (TL- SA > 110 v. RT) Bestandteil der Ausbildung. Für Schnellkraft-Typen muss die 400 / 800 m Kombination im Mittelpunkt aller Trainingseinwirkungen stehen.
Längere Trainingsetappen wechseln mit kurzen Wettkampfphasen ab (3:1 /2:1 / 1:1). Alle Ferien sollten zu Trainingslageraufenthalten genutzt werden.
Die Entwicklung einer schlanken, kräftigen Muskulatur erfolgt auf der Basis einer Ganzkörper-Kraftausdauer, differenziert für die KZA, MZA und LZA. Dabei dürfen die Einwirkungen auf den schnellkräftigen Muskelanteil durch intensive Schnellkraft- und Sprungübungen nicht außenvorbleiben.
Ganzjähriges Ganzkörper – Konditionstraining mit Kraft- / Gelenkbeweglichkeits- und Koordinationsausbildung (Füße – Beine – „Zentrum“ – Oberkörper / Arme) -> spezielles Krafttraining folgt den Ausbildungsprinzipien „vorbereiten – entwickeln – stabilisieren“. Dem Training „des Zentrums“ kommt für die Körperstabilität in schnellen Rennen eine bisher unterschätzte Bedeutung zu.
Die Vermittlung von Wissen über die besondere Ernährung im Leistungssport und den notwendigen Regenerationsmaßnahmen – ist eine außerordentlich wichtige Traineraufgabe im Nachwuchstraining. Junge Läufer müssen wissen das und wie sie sich erholen müssen, auch dass Schlaf dafür die preiswerteste Investition ist.
Trainingsumfang im Nachwuchstraining sollte sich nicht nur in Kilometern wiederspiegeln, sondern auch in Stunden der Belastungseinwirkungen auch durch komplexes Training und andere Sportarten (mit denen aber trainiert werden muss) gemessen werden. Ausdauerspiele, Ski im Wintertrainingslagern, Schwimmtraining, Aqua, Rad oder die Kraftausbildung mit den verschiedensten Geräten sind wichtige Trainingsformen die auch Bewegungserfahrung vermitteln
Den Nachwuchs umfassend athletisch und aerob stark auf das Höhentraining vorbereiten
Die 100 % müssen im neuen Jahr nach oben verschoben werden
Trainer müssen dem neuen internationalen Niveau auch folgen wollen und daran glauben, dass wir das auch können. Auch sie sollten einmal über ihre Stärken, aber auch Schwächen nachdenken.
Wenn „Sie“ uns bei den Erwachsenen nicht noch weiter weglaufen sollen brauchen wir eine neue Leistungssport-Philosophie und da und dort wohl auch neues Personal. Das schlimme dabei ist, dass auf breiter Front das Angebot „schwächelt“.
Energie, Wissen, Erfahrung, Qualität. Leidenschaft, Motivation für den Job und der „Blick für Begabte“ sind entscheidende Kriterien für Spitzen-Trainer nicht nur im Mittel- und Langstreckenlauf
Alternativen wirken nur langfristig. Wenn wir nicht schnell „Kids-Coaches“ in die Vereine bringen und 16jährige Goldkörnchen ins Hochleistungstraining integrieren werden wir auch 2032 nicht zu den Besseren gehören.
Vor vielen Jahren habe ich einmal von einem russischen Sprichwort gelernt: „Es ist ein armer Soldat, der niemals darauf hofft, General zu werden.“
Lothar Pöhlitz in Leichtathletik Coaching-Academy
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*Lothar Pöhlitz – seit 1957 Dipl.- Sportlehrer für Leistungssport / Sportwissenschaftler / 1971-1979 Leiter des Wissenschaftlichen Zentrums Lauf/Gehen im DVfL / 1980 – 1998 DLV- Bundestrainer i. R. / Teamleiter Marathon / Straßenlauf / 3x Olympia-Trainer für Deutschland / Langjähriger Dozent an der Trainerakademie Köln und DLV-Trainer-schule / seit 2006 Leichtathletik Coaching-Academy mit dazu ergänzenden Beiträgen