Blog
08
08
2018

Die blaue Bahn im Berliner Olympiastadion ins berühmt. Foto: Horst Milde

EM BERLIN 2018 im Berliner Olympiastadion : Die Leichtathleten kämpfen um ein Symbol – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Im Stadion in Stuttgart ist kein Platz für Leichtathletik mehr. In Berlin wollen sie nicht vertrieben werden. Pläne, die berühmte blaue Bahn aus dem Olympiastadion zu reißen, sind aber real.

Die weitläufige Anlage ist ein nationales Symbol, Einladung wie Mahnmal. Angelegt für Hitlers Olympische Spiele 1936 machte Jesse Owens das Stadion zu seiner Bühne und stellte die rassistische These von der Überlegenheit der weißen Rasse auf den Kopf.

Der schwarze Sprinter und Weitspringer gewann nicht nur vier Goldmedaillen, sondern noch dazu die Herzen der Berliner. Modernisiert für das Sommermärchen, zu dem die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wurde, bildete die Arena die Kulisse für den berühmten Kopfstoß von Zinédine Zidane, der Frankreich den Titel kostete, und für zwei Sprint-Weltrekorde, die Usain Bolt drei Jahre später der Welt hinterließ: 9,58 Sekunden für hundert und 19,19 für zweihundert.

„Natürlich muss die blaue Bahn bleiben“, sagt Gina Lückenkemper, die schnellste Frau Deutschlands. „Für mich ist das Berliner Olympiastadion, wie es jetzt besteht, eines der schönsten Stadien der Welt, wenn nicht das schönste. Es ist ein Stadion mit Charakter. Die Kernsportart der Olympischen Spiele aus dem Olympiastadion zu entfernen wäre der größte Fehler, den man begehen kann, und das schlimmste Zeichen, das man an den Sport weltweit senden kann.“

Bei der Weltmeisterschaft vor neun Jahren saß die zwölfjährige Gina zu Hause in Welver in Westfalen vor dem Fernseher. An diesem Dienstag ist sie eine der Medaillenkandidatinnen der deutschen Mannschaft. Gina Lückenkemper, mit ihrer Bestzeit von 10,95 Sekunden die schnellste Frau Deutschlands, will ebenso wie die Elf-Sekunden-Sprinterin Tatjana Pinto in den Endlauf über hundert Meter. Es gilt, die britische Favoritin Dina Asher-Smith zu schlagen, die in dieser Saison bereits dreimal elf Sekunden unterboten hat und mit 10,92 Sekunden die europäische Bestenliste anführt.

Danach sprinten zwar nur noch die Männer. Doch niemand sollte erwarten, dass dann schon Schluss ist. Kugelstoßer David Storl mit dem Gewinn seiner vierten Europameisterschaft und Langläufer Richard Ringer mit dem Sieg über 10 000 Meter sollen für reichlich Grund zum Feiern sorgen. Storl ist mit 21,59 Metern die Nummer zwei Europas in dieser Saison, Richard Ringer die unumstrittene Nummer eins. „Seit Mo Farah nicht mehr dabei ist, sagt sich jeder von uns: Der erste Platz ist noch nicht vergeben“, erklärt er den neuen Schwung auf den 25 Runden.

„Statt ein Athlet laufen jetzt viele unter 28 Minuten.“ Wie er im Mai den Europacup über 10 000 Meter dominierte und in 27:36,52 Minuten, europäischer Jahresbestzeit, gewann, ist sich der 29 Jahre alte Läufer vom Bodensee sicher, erster Anwärter auf den Titel zu sein. „Ich habe einen guten Kick hinten raus“, sagt er über die Möglichkeit, dass die Konkurrenz das Tempo verschleppt. „Und wenn es schnell wird? Tja, ich bin der Schnellste im Moment.“ Am Samstag soll über 5000 Meter sein zweiter Streich folgen.

Leichtathletik-EM : Ein Fest Europa

Zwar wird im nächsten Jahr die deutsche Meisterschaft im Olympiastadion stattfinden. Als würde ein Hänfling in den Trainingsanzug des Diskuswerfers Robert Harting schlüpfen, so viel zu groß ist das Riesenstadion mit seinen, je nach Ausstattung, 50 000 bis 70 000 Plätzen für den Alltag der Leichtathletik.

Die Modernisierung des Jahn-Stadions in Prenzlauer Berg mit der passenden Größe von 20 000 Plätzen für die Leichtathleten ist bereits beschlossen.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 7. Juli 2018

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

author: GRR