Nicht nur e i n e Problemdisziplin braucht Hilfe - Foto: Schneider
Ein Rück- und Ausblick – die Läufer bei der DM 2019 (FINALS) in Berlin – Von Lothar Pöhlitz*
Der individuelle Leistungsfortschritt wird bestimmt von der Effizienz der Belastungswirkung auf die persönliche konkrete Leistungssituation und der Darstellung in wichtigen Wettkämpfen.
Dabei sind neben physischen und körperlichen Voraussetzungen, die psychischen Fähigkeiten, der Umgang mit den taktischen Vermögen in den Rennen, die Qualität der technischen Ausbildung und der Stand der Ausprägung der Laufökonomie gleichermaßen leistungsbestimmend. Belastung bedeutet stets die Summe aus Trainingsumfang, Trainingsintensität und Pausengestaltung um eines Tages individuelle „Traumziele“ in wichtigen Rennen den Fans präsentieren zu können.
Rückblick zum „LAUF“ bei den DM
Aus dieser Sicht fällt eine Leistungs-Bestandsaufnahme nach einer solchen Präsentation unserer Besten Mittel- und Langstreckler bei den Deutschen Meisterschaften der Erwachsenen kürzlich differenziert aus. Berlin bot tolle Leistungen, aber auch Enttäuschungen, vor allem in den Läufen.
E s wäre gefährlich, wenn man, mit der – in vielen Medien-Berichten auch noch angezweifelten Leistung – von Konstanze Klosterhalfen – , mit dem sensationellen Deutschen Rekord von 14:26,76 Minuten über 5000 m, mit einem für alle technischen Lauf-Leitbild, im Alleingang, den Mantel des Schweigens über den Rest der Disziplinen breiten würde.
Man bedenke dabei das der Weltrekord der Frauen mit 14:11,15 Minuten noch 15 Sekunden schneller ist (das sind etwa 100 m). Aber sie ist auf einem tollen Wege.
Konstanze etwa 10 m vor dem Ziel (Foto Pöhlitz)
Wenn man im Ausland die nachfolgenden Siegerleistungen allein betrachtet, könnte man zum Schluß kommen das es die Lauf-Ergebnisse von Nachwuchsmeisterschaften seien.
1:47,22 – 3:56,34 – 14:01,69 – 8:33,59 von den Männern und 2:01,37 – 4:08,91 – 14:26,76 – 9:28,45 Minuten der Frauen können doch nicht gerade zu hohen Erwartungen oder Selbstbewusstsein führen, wenn man an evtl. Starts bei den bevorstehenden Weltmeisterschaften in Doha denkt. Das wird schmerzhaft, wenn man der Weltspitze folgen muß.
Da freut sich ein 800 m Läufer, der kürzlich noch 1:45,22 lief, über einen knappen Sieg in 1:47,22, da bemühten sich unsere zwei besten 800 m Läuferinnen aus München in einer konzertierten Aktion vergebens um die WM-Norm von 2:00,60 Minuten, da schonten sich vor 30.000 erwartungsvollen Fans unsere 5000 m Läufer, die mehr als 13:22 können, zu 14:01,69 um Deutscher Meister zu werden oder die gefeierte Gesa Krause präsentierte mit 9:28,45 – selbst enttäuscht – 26 Sekunden vor der Zweiten, direkt aus dem Höhentraining aus Davos angereist, nicht gerade WM-Medaillen-Form, auch wenn bis Doha noch einige Wochen Zeit sind.
Alle sorgen sich das es ja nicht zu schnell wird – Foto: Schneider
Es gibt zu viele Problemdisziplinen
Eine der Problemdisziplin mit großer Enttäuschung waren die 1500 m der Frauen. Nicht einmal für Vorläufe hat es gereicht. Da haben hoffentlich beim DLV und in den LV die Alarmglocken geläutet. Im Finale mit nur 8 (!) Teilnehmerinnen demonstrierte wenigstens Catarina Granz mutig von der Spitze das aktuelle Leistungsniveau mit 4:08, leider ohne Norm. Der Rest folgte mit 5 Sekunden Abstand. Hanna Klein (mit Bestleistungen von 4:04,15 min; und 15:17,14 min) unsere Hoffnung noch im letzten Jahr, ein Schatten damaliger Stärke (Vierte in 4:13,52). Sie hat sich Ende April von ihrem Trainer getrennt, weil es wohl zu hart und unbequem für das „scheinbare Talent“, nicht ausreichend selbstbestimmend für große Ziele, mit zuviel negativen Einfluß von außen, wurde. Aber auch Isabelle Baumann, bei der sie Hilfe suchte, konnte ihren schon öfter schwachen Nerven nicht zurück in die Spur verhelfen.
Nun brauchen alle die die dazu bereit sind, eine andere, akribische Arbeit im Team. Am besten gleich zusammen mit dem nahen Nachwuchs, zuletzt mit erfreulichen Fortschritten, für die Zeit nach 2020. Hinter Konstanze Klosterhalfen, Alina Reh und Miriam Dattke kann man sich nicht länger verstecken, sie sind Langstrecklerinnen. Die Sujew-Mädels und Denise Krebs, im Vorjahr noch in den Top Ten, waren sicher erneut verletzt, nicht am Start.
Was tun fragte schon Zeus
Die Redensart ist das bekannte Wort aus dem Gedicht „Die Teilung der Erde“ von Friedrich Schiller und überlässt uns die Frage „was nun zu tun ist“. Am besten gründlich analysieren, auswählen, verändern, programmieren und gemeinsam schnell handeln, aber anders.
Die Quantität einer auf die Wettkampfanforderungen ausgerichteten Qualität ist im Lauftraining für alle Bahn-Disziplinen der Schlüssel. Mehr Mut zum Risiko in den Rennen sind genauso zu fordern wie mehr Qualität bei allen anderen Trainingsübungen, z.B. dem Krafttraining oder schon beim Koordinationsprogramm.
Dabei sollten leistungsorientierte Läufer – vor allem Kader – zuerst selbst über ihre Reserven und ihr bisheriges Handeln, ihre Ziele und ihre Versäumnisse nachdenken, und die bisherigen Schwierigkeiten, Hindernisse, „Hürden“ aus dem Weg räumen, ihre Trainingsausfallzeiten reduzieren und Hochleistungstraining wollen. Das wollen doch sicher auch deren Bundestrainer.
Die aktuelle DLV-Nominierung für die Doha-WM unterstreicht die Problematik
Nur wenn es gelingt in einem individuellen Trainingsregime die Zusammenhänge von Belastung – Ermüdung – Wiederherstellung – Transformation besser zu organi-sieren tritt die gewollte Trainingswirkung ein. Dabei spielen unterschiedliche genetische Veranlagungen – die Talentvoraussetzungen – und eine unterschied-liche sportliche Vergangenheit im Kinder- und Jugendalter natürlich eine große Rolle.
Entscheidend ist sein genetisches Talent-Potential auszuschöpfen, dies ist aber nicht möglich ohne mehrmals wöchentlich richtig hart zu trainieren
Die zur Verfügung stehende individuelle Trainingszeit bestimmt die Jahres-Trainingsstruktur
Wer sein Entwicklungstempo beschleunigen will, Spitzenleistungen anstrebt, sich neue persönliche Bestleistungen zum Ziel setzt muß sich zuerst über die Organisation des Trainings- und der geplanten Wettkampfleistung Gedanken machen. Unabhängig vom Alter gilt: nur wenn ich mehr Zeit für die dafür notwendige Belastungserhöhung einsetzen kann oder einzusetzen bereit bin, sollte ich an eine rechtzeitige Neustrukturierung des neuen Trainingsjahres denken.
In einem solchen Plan ist nicht nur zu bedenken, dass man mehrere Jahre bis zum Leistungshöhepunkt braucht, dass nur realistische Ziele optimal umzusetzen sind, dass an 3 – 4 Tagen in der Woche hohe Belastungen realisiert werden sollen, dass an diesen Tagen auch die begleitende Physiotherapie stattfinden muß, in welchen Monaten Belastungsschwerpunkte – am besten im Höhentraining – im Umfang und Intensität liegen sollen, wo die höchsten Gipfel in der VP I bzw. VP II liegen werden, wie groß die neue maximale Belastung zu planen ist und welche Wettkampfphasen mit welchen Leistungszielen angedacht sind.
Entscheidend für den Leistungsfortschritt ist, wie viele Wochen auch im Winter mit einem effektiven, reizwirksamen Qualitätstraining realisiert werden.
Vor allem komplexes Training bringt Läufer ihren Wünschen näher
Für den individuellen Fortschritt reicht es nicht über den größten zumutbaren Laufumfang und den Weg dahin allein nachzudenken. Natürlich muss man in bestimmten Schwerpunktphasen die bisherigen Trainingsumfänge möglichst um 10 – 30 % (in Abhängigkeit von der Ausgangsposition) überbieten, aber immer auch auf die Pausen achten, auf die Entlastungswochen. Eigentlich weiß man, dass die mesozyklische Gestaltung von der Intensität im Umfang bestimmt wird: 4:1 – 3:1 – 2:1 Wochen – je höher die Qualität innerhalb der Wochen umso früher ist eine Woche mit niedriger Belastung einzuschieben.
Der durchschnittliche Umfang für Langstreckler und Hindernisläufer beispielsweise sollte sich innerhalb von 4 – 5 Jahren, also etwa ab dem 16. Lebensjahr mindestens verdoppeln. Wenn man also mit 16 etwa 60 km / Woche schafft, soll man mit 19 / 20 Jahren mindestens bei 120 km / Woche – besser bei mehr – sein.
Natürlich ist auch eine schnellere Entwicklung denkbar, wie wir es gegenwärtig bei den Afrikanern, aber auch von den Amerikanern beobachten. Wie es dann weitergeht hängt weitgehend von den Organisationsfähigkeiten des Einzelnen ab. Die zur Verfügung stehende Trainingszeit entscheidet über mögliche Trainingsbelastungen. Natürlich weiß jeder das professionelles Training ohne professionelle Bedingen ein Kunststück ist, aber solche Kunststücke soll es in der Vergangenheit schon gegeben haben.
Viele der Weltbesten haben bewiesen, dass man erfolgreich auch morgens sehr früh „üben“ kann. Vergessen sollte man aber die 4 Qualitätseinheiten pro Woche nie – Umfang und Trainingsgeschwindigkeiten werden dabei von den Zielen, von den Wettkampfstreckenlängen bestimmt.
Alles Training muß dem Ziel dienen sehr gute „wettkampfnahe“ Belastungen (in Strecke und Geschwindigkeit) im Vorfeld von Wettkampfphasen realisieren zu können.
Nutze den Kraftraum auch wenn Du lieber nur läufst – Foto: Lothar Pöhlitz
Bis Weihnachten ist schon viel wichtige „Arbeit“ zu tun
Will man Defizite aufarbeiten sollte man im Gegensatz zu den bisherigen Gewohnheiten das Trainingsjahr früher beginnen und bis Weihnachten schon die neuen Umfangsziele das erste Mal erreicht haben. Im November / Dezember erfolgt der erste Teil eines geschwindigkeitsgeführten Leistungsaufbaus mit 3 anspruchs-vollen Trainingseinheiten und einem langen Lauf, das heißt:
- den ersten Gipfel im geplanten Laufumfang im November erreichen
- das erste 3 – 5wöchige Höhentraining absolvieren
- wöchentlich 3 – 4 anspruchsvoll harte TE realisieren
- 8 Wochen gleichermaßen zur umfassenden Konditionierung und zur Kraftausbildung (Mittelstreckler 3 x – Langstreckler 2 x) nutzen
- in einem geschwindigkeitsgeführten Training schrittweise „härter“ neben der aeroben Ausdauer die Verbesserung auch der VO2max zu verfolgen
Und in der Hallensaison ist dann die erste Prüfung der Wahrheit
In einer ersten Kraftphase erfolgt nacheinander der Aufbau der Muskelkraft zunächst „vielseitig-zielgerichtet“ (Füße, Knie, Hüfte / Becken / Oberkörper / Arme) in Verbindung mit Übungen zur Verbesserung der Beweglichkeit und danach eine Phase des speziellen Kraftaufbaus (Berganläufe, Zugwiderstandsläufe, Hantel-training, Sprünge, Gleichgewichtstraining) in dessen Ergebnis höhere Geschwindig-keiten bei Tempoläufen auf der Bahn möglich sein müssen.
Ein neues höheres Kraftniveau ist vor allem für die Mittelstrecken und die schnellen Langstrecken wichtig. Marathonläufer bauen ihre Kraftausdauer vor allem mit dem Ziel auf, über die Dauer des Wettkampfes durch eine hohe Oberkörper-/Rumpfstabilität, Bergantraining und Sprungkraftausdauer eine möglichst optimale Technik und hohe Laufökonomie bis ins Ziel aufrechterhalten zu können.
Wer gewinnen und ins Weltniveau will muß schneller trainieren
Aus der gegenwärtigen Leistungssituation im deutschen Lauf muß man schlussfolgern, dass das Training, auch schon in jüngeren Jahren, nicht genügend Trainingsformen beinhaltet, die im Wettkampf schnelleres Laufen ermöglichen. Das sind sowohl wettkampfspezifische TE, die im Bereich zwischen 95 – 105 % der Zielgeschwindigkeit z.B. über 1500 m oder 5000 m (wettkampfnah in Streckenlänge und Geschwindigkeit) als auch Tempoläufe – kurz zur Entwicklung der Schnelligkeits-ausdauer oberhalb 105 % vom Renntempo kombiniert (auf einer möglichst guten aerob-anaeroben Basis (VO2max) absolviert werden müssen. In diese Aufgaben sind auch Trainingseinheiten einzubeziehen, die die Fähigkeiten zum Tempowechsel bzw. auch zum kurzen oder langen Spurt ausbilden.
Trotz schwerpunktmäßiger Arbeit an der aeroben Kapazität im Winter, darf sich das Geschwindigkeitstraining für die schnellen Läufe von 800 – 5000 m nie zu weit von der Wettkampfgeschwindigkeit (Wirkung auf die Muskelstruktur und den Stoff-wechsel) entfernen.
Fazit – Konsequenzen zur Leistungsbeschleunigung
- Training in leistungsstarken Gruppen schon in jungen Jahren, Partnertraining – gemeinsame Wochenendlehrgänge
- Mit zunehmender Kraft die Lauftechnik ständig „nachjustieren“
- Variations-Training – reizwirksam im MIZ, MEZ und MAZ (Herz-Kreislauf, Muskulatur, Beweglichkeit etc. kombinieren)
- Mehrmals im Jahr 3-5 Wochen Höhentraining
- Komplexes geschwindigkeitsgeführtes Qualitätstraining
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- in der Schwellengeschwindigkeit (vL 3) = im 15 km – Tempo
- im Tempo zur VO2max-Entwicklung = im 5000 – 3000 m Tempo
- anteilige anaerobe Entwicklung = in der Wettkampfzielgeschwindig-keit sowie in der Schnelligkeitsausdauer (Unterdistanzleistungs-fähigkeit)
- lange aerobe Läufe im Halbmarathon-Tempo
- Starke Füße / Beine und ein starker Oberkörper sind auch im Sommer, vor allem für die schnellen Strecken, wichtig. Ein Sommer – Zirkel hilft.
Kraftausdauer 20 Wiederholungen – intensive Kraft wenige Wiederholungen grenzwertig – die 2 letzten gehen schwer.
- Auch jüngere Sportler sollten bereits 2 x wöchentlich hart trainieren.
- Im Sommer sollten nach 3 Rennen in 2 Wochen ein Zwischenwett-kampftraining über 2-3 Wochen (vielleicht in einem Trainingslager) eingeschoben werden.
- Erfahrene Athleten nutzen den Mai / Juni zum harten Training, wenn die Topform erst im August angestrebt wird. Ein Höhentraining zur aeroben Stabilisierung) unterteilt bei den Weltbesten oft die zu lange Wettkampf-saison.
Die größte Kunst besteht darin die höchste Fitness zum Zeitpunkt des Jahreswettkampfhöhepunktes zu haben und bereit zu sein, sie offensiv abzurufen. Höchste Fitness ist Voraussetzung für das optimale zusammenführen der für die Zielstrecke benötigten psychophysischen Leistungsvoraussetzungen.
Die Maximierung von Kraft, Lauftechnik, VO2max, wettkampf-spezifischer Ausdauer, ermöglichen bei optimaler Laufökonomie die neue persönliche Bestleistung.
Lothar Pöhlitz
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