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13
02
2019

Nadine Müller bei der Pressekonferenz zum ISTAF Indoor Berlin - Foto: Horst Milde

Diskuswerferin Nadine Müller: „Wie ein Tiger, der aus seinem Käfig raus will“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Nadine Müller hat einen Weltrekord aufgestellt. Im F.A.Z.-Interview spricht sie über Diskuswerfen unter Laborbedingungen in der Halle und den Ausklang ihrer Karriere.

Sie haben beim Hallen-Istaf am Freitag in Berlin den Diskus 63,98 Meter weit geworfen – fast einen Meter weiter als beim Gewinn der Silbermedaille bei der Europameisterschaft.

Sind Sie zufrieden?

Für den Saisoneinstieg ist das, praktisch unter Laborbedingungen, super klasse. Das gibt für die nächsten Monate sehr viel Aufschwung. Man hat nicht alle Tage so einen inoffiziellen Indoor-Weltrekord inne. Das macht auch stolz.

Sie haben einen Mannschaft-Wettbewerb Männer gegen Frauen bestritten. War das unterhaltsam?

Es hat Spaß gemacht. Uns war nicht immer klar, wer wann dran war. Aber für uns war das ein Spaß und eine willkommene Abwechslung. Das Publikum liebt es, und wir versuchen, es mit Leistung aufzuwiegen.

Gibt es sonst irgendwo auf der Welt Hallen-Diskus?

In Schweden. Aber dort bin ich nie gestartet. Wenn, dann Istaf indoor.

Ist der Weltrekord ein Spaß?

Das ist schon was Ernstes. Wir haben draußen nie die gleichen Bedingungen. Der Wind dreht, mal kommt er von vorn, mal trägt er den Diskus drei Meter weiter. In der Halle hast du keine Luftbewegung, es sei denn, jemand lässt die Tür offen. Die Bedingungen sind optimal: kein Regen, keine Thermik, nichts, was stört. Dies hier war eine Standortbestimmung. Man kann die Ergebnisse vergleichen: praktisch eine Leistungsdiagnostik.

Hatten Sie sich vorbereitet?

Ich trainiere wie geplant. In den vergangenen Tagen haben wir ein bisschen die Belastung reduziert, damit ich 62,07 Meter übertreffe. Das war der alte Weltrekord von Shanice Craft.

Ist dies Ihr erster Rekord?

Eigentlich. In Sachsen-Anhalt halte ich mit 65 Meter den Ü-30-Rekord. Aber dieser hier ist besonders.

Rekorde gibt es im Diskuswerfen praktisch seit den Zeiten des DDR-Staatsdopings nicht. 1988 hat Gabriele Reinsch aus der DDR 76,80 Meter erzielt.

Schön, dass dieses Ergebnis in den Geschichtsbüchern steht. Für uns ist das unerreichbar. Deutscher Rekord und Weltrekord sind utopisch. Mein Traum ist immer noch, siebzig Meter zu übertreffen.

Ihnen fehlen 1,11 Meter.

Na ja. Es ist schon eine Weile her, dass ich 68 Meter geworfen habe. Da muss ich auch erst wieder hinkommen.

Hat der Hallen-Wettbewerb Sie aus dem Winterschlaf gerissen, oder waren Sie froh um die Abwechslung?

Ich war jetzt monatelang eingesperrt. Ich habe mich gefühlt wie ein Tiger, der aus seinem Käfig raus will. Im November habe ich mit dem Training begonnen, und weil die Saison durch die Weltmeisterschaft in Doha so spät ins Jahr verschoben ist, werde ich nicht im Mai, sondern erst im Juni in die Saison einsteigen. Das bedeutet: Ich trainiere seit vier Monaten im Kraftraum und werfe ins Fangnetz.

Leiden Sie sehr?

So sehr, dass wir vor ein paar Wochen einen kleinen Wettbewerb gemacht haben bei uns in Halle an der Saale. Bei zwei Grad Celsius und strömendem Regen – nur, um den Diskus mal wieder fliegen zu sehen. Es macht einen Unterschied, ob du das Ding monatelang ins Netz haust oder ob du in drei Pullovern übereinander draußen stehst und nach zwei Versuchen deine Füße abfrieren.

Warum also den Diskus fliegen lassen?

Drinnen kann man sich auf die technischen Abläufe besser konzentrieren. Aber man gibt nie hundert Prozent. Draußen siehst du, wo das Ding hinfliegt. Oder eben beim Istaf in der Halle. Das macht einen guten Wurf aus: zu sehen, wie er lange in der Luft ist und dem Horizont entgegen segelt. Das ist einfach etwas anderes, als wenn zwei Meter vor dem Ring das Netz hängt und du das Ding immer nur da rein knallst.

Der Nachteil der echten Würfe liegt auf der Hand . . .

Okay, ich muss weiter laufen, um den Diskus zu holen.

Wie geht es weiter?

Die letzten zwei, drei Jahre, die ich dem Leistungssport widme, haben begonnen. Die Olympischen Spiele von Tokio, meine dritten, sollen der Ausklang werden. Je nachdem, wie es läuft, hänge ich ein Jahr dran und sage allen tschüss. Wenn es ganz schlimm kommt und ich mich nicht qualifiziere, gehe ich still und heimlich. Aber erst mal muss ich mich für die Weltmeisterschaft in Doha qualifizieren. Das wird ein harter Fight werden um die drei Tickets.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 4. Februar 2019

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