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2019

Karl-Heinrich Bette Sporthelden Spitzensport in postheroischen Zeiten - Foto: transcript Verlag Bielefeld

Die Notwendigen im Bereich des Überflüssigen. Nicht Doping schadet dem Sport, sondern dessen Bekanntwerden: Karl-Heinrich Bette führt in die Welt der Sporthelden – Die Rezension von Michael Reinsch

By GRR 0

Held zu sein ist nicht einfach. Aber der Umgang mit Helden ist es auch nicht. Als Sportreporter hat man dauernd mit ihnen zu tun, und wenn man sich nicht selbst fragt, fragen andere: Ist derwohl sauber? Die dopt doch nicht, oder?

Der Betrug ist nicht mit Händen zu greifen. Oft genug, wenn man’s gerade nicht erwartet, stürzt einer der Helden, eine der Heroinen.
Sportjournalisten haben das Privileg, in einem der wenigen gesellschaftlichen Bereiche tätig zu sein, in dem noch Helden geboren werden, aufsteigen und stürzen. Gewiss gibt es das auch in Politik und in Wirtschaft, in Kultur und in Wissenschaft. Aber eben sehr viel seltener. Außerhalb des Sports
wird Heldentum entweder von Kritik aufgewogen, ist auf wenige Insider beschränkt, gar unerwünscht – wer wünscht sich Kriegshelden? -, oder es geht im Kreislauf der Neuigkeiten und Attraktionen unter.

Die Helden des Alltags, Lebensretter etwa, werden üblicherweise für Jahresrückblicke und Ehrungen ein letztes Mal dem Vergessen entrissen.
Sporthelden dagegen florieren. Der Soziologe Karl-Heinrich Bette widmet ihnen sein Buch, „Spitzensport in postheroischen Zeiten“, so der Untertitel. Sporthelden werden in künstlich hergestellten Bewährungsproben geschaffen, in immer wieder ausgetragenen Wettbewerben, in Weltcups und Ligen, bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen.

Die Aufgabe des Sportreporters, die Begleitung, die Vor- und Nachberichterstattung, das Näherbringen von Leistung und Person beweise, behauptet Bette, dass es sie noch gibt in der gleichmacherischen, anonymisierenden Organisationsgesellschaft, die eigenmächtig handelnden Tatmenschen.

Wenn sie sich das Trikot zerreißen oder auf Knien mit erhobener Faust und schreiend der Kamera entgegenschlittern, beweisen sie, dass Individuen, Menschen aus Fleisch und Blut, wie du und ich, entgegen unserer Alltagserfahrung doch den Unterschied machen können.

Postheroisch? Ein Pauschalurteil. Sport, auch deshalb lieben wir ihn, ist ein Heldenreservat. Der Unernst des Sports, seine Bedeutungslosigkeit für das wirkliche Leben, die Folgenlosigkeit von Sieg und Niederlage für den Lauf der Welt, ist keine Schwäche des Metiers. Sie ist Voraussetzung für das
Entstehen von Helden.

Diese verwirren nicht durch Orientierung an Geld, Macht, Wahrheit oder Glaube. Sie sind davon entlastet, in irgendeiner anderen Funktion als der sportlichen zu wirken. So faszinieren sie allein durch physische, psychische oder technisch-taktische Leistung. Und für das Publikum werden sie geradezu zu einer Notwendigkeit im Bereich des Überflüssigen und Entbehrlichen.

Bette verwahrt sich dagegen, Sporthelden von oben herab behandelt, akademisch übergangen, trivialisiert oder ironisiert zu sehen. Das ist nicht in allen Fällen leicht; man denke nur an die Helden von Jahre zurückliegenden Fußball-Bundesligaspielzeiten und ihren Drang, mit Kommentaren präsent zu bleiben.

Aber es stimmt schon: Nicht auf die Schwere der Existenz zielen unsere Heldengeschichten ab, sondern auf die Leichtigkeit des Seins. Wenn es denn eine Sehnsucht nach Helden gebe, zitiert Bette, finde sie heute Erfüllung in einem Torwart, der einen Elfmeter hält, oder in einer Bundeswehr, die Deichkronen verteidigt (Niels Weber).

Wie Roland Barthes 1957 den Protagonisten ihre Rollen im Epos Tour de France zuteilte – „Bobet, der Satan des Rennrads“, „Gaul ist ein Erzengel“, „Coppi: vollkommener Held“ -, teilt Bette 2019 die heldenhaften Athleten in Prototypen auf. Wie viele unser Universum bevölkern! Da sind die local
heroes und die global heroes, Langzeit-Helden wie Pelé und Beckenbauer. Es gibt One Hit Wonder wie den Olympiasieger im Short Track, dessen Konkurrenten allesamt stürzten, und, tragischerweise, Bob Beamon, dem nie wieder ein Sprung gelang wie der „ins nächste Jahrhundert“ bei den Sommerspielen von Mexiko 1968, der ihn 8,90 Meter weit trug.

Da sind Verteidiger und Eroberer, die Helden von Bern und Heroen der Revanche, Retter und Erlöser, Märtyrer wie Hans Günter Winkler (auf der Wunderstute Halla) und der Turner Andreas Toba (am Pauschenpferd), den der Deutsche Olympische Sportbund für seinen Einsatz trotz Kreuzbandrisses zum Hero de Janeiro ausrief. Da sind tragische Helden wie Zinedine Zidane, der sich im Endspiel um die Fußball-Weltmeisterschaft zu einem Kopfstoß provozieren ließ und des Feldes verwiesen wurde, gescheiterte Helden wie Diego Maradona und Mike Tyson und tapfere Versager wie Eddy The Eagle und die jamaikanischen Bobfahrer, die in „Cool Runnings“ zu Filmhelden wurden.

Und da sind gefallene Helden von Jan Ullrich bis Lance Armstrong, Ben Johnson bis Marion Jones.

Die Kosten für ihre Manipulationen, gesundheitliche wie gesellschaftliche, tragen allein sie. Trocken beschreibt Bette, dass „die Verheimlichungs- und Vertuschungspraktiken korporativer Sportakteure“ darauf abzielten, „das negative Reden über den Spitzensport und dessen Sozialfiguren durch
Symbolpolitik und entsprechende Neutralisierungsrhetoriken zu unterbinden oder einzudämmen“.

Nicht Doping schadet dem Sport, sondern dessen Bekanntwerden. „Die Personalisierung des Dopings durch die Sportverbände im Rahmen einer sich hartnäckig haltenden Theorie der ,schwarzen Einzelschafe‘ erzeugt das Bild, dass Doping nicht das transintentionale Ergebnis struktureller Dynamiken sei, sondern lediglich mit den schlechten Charaktereigenschaften individueller Akteure zu tun habe.“

Ullrich und Armstrong, Johnson und Jones standen allesamt in Verdacht, bevor Beweise vorlagen – es ist Aufgabe von Sportreportern, darauf hinzuweisen, und Sportreporter haben dies getan – trotz ihres Respekts vor und ihrer Verantwortung für Helden.

Selbst im olympischen Motto des „Dabeisein ist alles“ entdeckt Bette einen Hintersinn. Wie Sterne einen dunklen Hintergrund brauchten, um zu strahlen, brauchten Sporthelden Konkurrenten, die sie überbieten und von denen sie sich absetzen können, schreibt er. Mittelmaß und Scheitern hätten ihren Platz bei Olympia, denn: „Ohne Verlierer keine Helden.“ Die Erzählung vom Sport, die Reportage, das Porträt und das Interview sind flüchtig. Helden sind nicht für die Ewigkeit gemacht.

Der Sturz gehört, zumindest als Möglichkeit, immer auch zur Überhöhung. Bette schließt klug: „Heldenstatus im Spitzensport ist immer prekär und labil.“

MICHAEL REINSCH

Karl-Heinrich Bette: „Sporthelden“. Spitzensport in postheroischen Zeiten.
transcript Verlag, Bielefeld 2019. 212 S., geb., 29,99 [Euro].

author: GRR