Sigrid Eichner in Sri Lanka - Foto: Klaus Weidt
Die Frau, die bisher 2255 Marathons rannte: Siegrid Eichner aus Berlin ist immer noch auf dem Laufenden. Trotz ihrer inzwischen 80 Jahre – Klaus Weidt berichtet
Diesen Weltrekord kann ihr wohl keiner nehmen. Auch wenn sie derzeit Corona-bedingt kaum neue Marathon-Zahlen hinzufügen kann.
Doch die Berlinerin Sigrid Eichner, im Vorjahr die 80 erreicht, gibt nicht auf. „Es stehen die ausgefallenen Events vom Vorjahr auf meinem Programm“, erzählt sie. Das wären zum Beispiel das Sechs-Tage-Rennen in Ungarn, der 48-Stunden-Lauf in Tschechien, der Berliner Mauerlauf natürlich und der Deutschlandlauf Ende August.
„Mal sehen, wie sich die Dinge entwickeln.“
Die Lady läuft und läuft und läuft. Unentwegt, natürlich immer etwas langsamer. In ihrer nachgewiesenen Marathonzahl von 2255 Marathons stecken mehr als 830 „Ultras“. Wenn sie zwar vorwiegend Wochenende für Wochenende in den deutschen Landen tourt, hat sie auch ein ganz schönes Stückchen Welt gesehen und dabei viel erlebt.
In Alaska kreuzte beim Anchorage-Marathon ein Bär auf und trollte sich vor ihr auf der Spur – Gott sei Dank aber davon. In Sri Lanka beim Colombo-Marathon stellte der Veranstalter hochachtungsvoll einen Fahrrad-Begleiter an ihre Seite, um die „Tuktuks“ von ihr fern zu halten.
In Kambodscha genehmigte man ihr eine Marathonstrecke zu den weltberühmten Angkor-Tempeln. In Kathmandu umrundete sie fast einsam den heiligen Affen-Tempel. Und als ich zum letzten Mal Haile Gebrselassie in Addis Abeba traf, fragte er mich tatsächlich nach ihr, die er schon 2005 bei einem Äthiopien-Besuch deutscher Laufenthusiasten bewunderte: „Läuft sie immer noch?“
Was hat sie nicht schon alles erlebt!
Ihr Zuhause in Berlin-Friedrichshagen gleicht einem kleinen Museum. An der Wand hängen mehr als 800 Medaillen, die Urkunden werden nicht weniger sein. Zwischen Blumen und Geschenken sind Pokale aufgereiht. Die vielen Souvenirs, die sie in aller Welt erhielt, sind kaum zu erfassen. Auf dem Balkon sitzt ein großer Holzmichel und schaut zufrieden auf die Vorgärten.
Siegrid Eichner beim Alaska-Marathon – Foto: Klaus Weidt
Über ihrem Schreibtisch hängt ein eingerahmtes farbiges Diplom, das sie an einen besonderen Tag erinnert. In der Mährischen Ultralauf-Woche im Juli 2016 lief sie ihren 2000. Marathon. Die Weltrekordlerin im Marathonlaufen kann aber noch mehr anbieten als die 42,195 km. Sie hatte bereits Weltbestleistungen mit der 100-Marathon-Club-Mannschaft über 24 Stunden aufgestellt und den schwersten Ultra der Welt auf der Insel La Réunion genauso bewältigt wie den 44-Etappen-Lauf „Transeuropa“ über 3000 km.
Angefangen mit dem Laufen hatte sie Ende der 1970er Jahre, als in der DDR „Eile mit Meile“ immer noch populär war und manch bis dahin Untätigen tätig werden ließ. Bei einem Sportfest joggte sie die damals populäre Meile, rechts und links ein Kind an der Hand, und freute sich wie die Kleinen, die 1978 Meter geschafft zu haben. Stolz nahm sie eine Urkunde entgegen, es war die erste in ihrem Laufleben.
Ein Jahr später meldete sie sich bereits zum Harz-Gebirgslauf an, und 1980 rannte sie schon über die Thüringer Höhen beim Rennsteiglauf, damals noch über 45 km.
Danach hatte sie das Sammeln von 42,195-km-Streckenlängen nicht mehr losgelassen. Ihre Motive? Wenn man sie fragt, fallen Sätze wie: „Ich suche das Besondere“ oder „Ohne Kampf würde ich nie so etwas machen“ oder „Aufhören ist einfach, das Ziel heißt ankommen“.
Sie hat auch so manchen Schicksalsschlag zu überwinden gehabt. Doch trotz Autounfall, verschobener Lendenwirbel – sie ist immer wieder aufgestanden und an den nächstmöglichen Start gegangen.
Heute läuft sie, verständlicherweise, langsamer. Auf ihrem Nachttisch lag bei unserem letzten Besuch ein Band von Tanja Blixen „Schicksalsanekdoten“.
Gewiss könnte sie selbst mal ein Büchlein von Episoden und Anekdoten zusammenstellen. Nicht nur Haile Gebrselassie würde da gern schmunzeln…
Klaus Weidt