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2020

DEutsche Sportgeschcihte in 100 Objekten - Michael Krüger (Hrsg) - Cover: J.S. Klotz Verlagshaus

Deutsche Sportgeschichte in 100 Objekten: Eine Sammlung zum Stöbern mit Beiträgen zum Staunen …

By GRR 0

„Deutsche Sportgeschichte in 100 Objekten“ – dieser Titel klingt eindeutig und einladend zugleich.

Wer den „schweren Wälzer“ zur Hand nimmt und darin zu stöbern beginnt, kann nur staunen, was da an sportbezogenen Objekten im Bild zum Vorschein kommt und wie unterhaltsam diese Objekte mit informativen Rahmentexten vorgestellt werden. Kann man eine solche „schwergewichtige“ illustrierte „Deutsche Sportgeschichte in 100 Objekten“ jemals toppen?

Diese Frage sei hier nur als rhetorische formuliert, denn beurteilen mögen das am Ende alle, die die 100 Objekte im Buch in Gänze studiert haben – egal, ob ihnen einige Objekte davon schon aus anderen Zusammenhängen bekannt vorkommen oder nicht.

Mich persönlich – so viel noch als „wegweisende Würdigung“ des einzigartigen Sammelbandes vorweg – bewegt jetzt eine ganz andere Frage – nämlich: Wann kommt das nächste Buch mit den nächsten 100 Objekten heraus, zumal der griffige Titel so oder so in Serie gehen kann: Wie wäre es mit 100 Objekten zum Tennis, Triathlon, Turnen, Leichtathletik etc.  … oder z.B. mit Bayerischer oder Brandenburger Sportgeschichte in 100 Objekten etc.

Das hier vorzustellende Werk „Deutsche Sportgeschichte in 100 Objekten“ ist ein Meilenstein in der deutschen Sportgeschichte und es kann als Modell gelten, um Sportgeschichte in fachlicher und in territorialer Hinsicht weiter aufblühen zu lassen.

Die für den vorliegenden Band herangezogenen 100 Objekte sind jedenfalls „lebendige“ Beispiele, um Daten und Fakten sowie Begegnungen und Begebenheiten von Menschen mit diesen Objekten historiografisch zu erzählen – Gratulation an den Herausgeber Prof. Dr. Michael Krüger, Sportwissenschaftler an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und im Ehrenamt seit 2018 Vorsitzender der Deutschen Arbeitsgemeinschaft von Sportmuseen, Sportarchiven und Sportsammlungen e.V. (DAGS), und seinem Team mit insgesamt zehn Autorinnen und 52 Autoren, darunter Sporthistorikerinnen wie Prof. Dr. Annette R. Hofmann (Ludwigsburg) und DOSB-Vize-Präsidentin Dr. Petra Tzschoppe (Leipzig), aber auch Sportsoziologen wie Prof. Dr. Sven Güldenpfennig (Vohburg) und Prof. Dr. Hans-Jürgen Schulke (Hamburg), ganz zu schweigen von renommierten Museumsdirektoren wie Dr. Andreas Höfer (Deutsches Sport  & Olympia Museum Köln) und Gerlinde Rohr (bis 2019 Leiterin des Sportmuseums im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig) und vielen weiteren ausgewiesenen Experten wie Martin Ehlers, Geschäftsführer des Baden-Württembergischen Instituts für Sportgeschichte in Maulbronn und Gerd Steins, den Vorsitzenden des Fördervereins für das Sportmuseum Berlin.

Wie muss man sich den 456 Seiten starken Band inhaltlich vorstellen?

Die 100 Objekte sind chronologisch mit ihrer Entstehungsgeschichte aneinandergereiht. Die Gliederung folgt ferner einer Systematik, wie man sie z.B. von Sportspielen wie Tischtennis oder Volleyball kennt: Im 1. Satz geht es um „Deutsche Sportgeschichte in Objekten im 19. Jahrhundert“, im 2. Satz um die Zeit von 1900 bis 1945, im 3. Satz schließlich um die Zeit von 1945 bis 2000.

Selbstverständlich beginnt das Ganze nach dem Vorwort von Alfons Hörmann, dem Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), und der Einleitung von Herausgeber Michael Krüger mit einem „Vorspiel“, d.h. mit Objekten bis 1800, und zum Schluss gibt es noch ein „Nachspiel“ mit jungen Objekten aus dem 21. Jahrhundert, wozu z.B. die signierten Basketballschuhe von Dirk Nowitzki („All Star Game 2002“) und der Lehmann-Zettel (Briefpapier „Schloßhotel im Grunewald, Brahmsstraße 10“) bei der Fußball-WM 2006 gehören.

Trotzdem muss man das „dicke“ Buch nicht durchgängig von vorn nach hinten lesen: Man kann vielmehr quer stöbern und staunen. Und man kann sich rasch hier und da ein- und festlesen, weil alle Beträge aus nicht mehr als drei Seiten einschließlich fotografischer Dokumentation bestehen. Es kann im Rahmen dieser Buchvorstellung weder der Anspruch sein noch gelingen, alle 100 Objekte im Einzelnen gebührend vorzustellen oder auch nur namentlich zu nennen. Deswegen seien exemplarisch aus jedem der drei epochalen Sätze wenigstens ein paar Exponate etwas näher herausgegriffen.

Begonnen wird aber mit dem „Vorspiel“, dessen sechs Objekte rein rechnerisch über die gemäß Titel angekündigten 100 sogar hinausgehen. Hier gelangt u.a. eine Armbrust aus Holz (Text: Stefan Grus) zur Aufführung, die aus der Zeit um 1500 stammt und die heute im Deutschen Schützenmuseum in Callenberg (Coburg) zu sehen ist. Im ersten Satz wird unter den 20 Objekten neben einer Schwimmweste aus Kork (Text: Jürgen Overhoff) und einem Schachtisch aus Holz (Text: Christian Mann) z.B. „Das Banner der Deutschen Turnerschaft“ (Text: Ingo Peschel) vorgestellt. Dabei handelt es sich um eine sog. „Kirchenfahne“ mit dem Reichsadler und den 4 F mit der Inschrift „Der Deutschen Turnerschaft gewidmet von Frauen & Jungfrauen der Stadt Frankfurt a.M. 24. Juli 1880“.

Der zweite Satz umfasst dann die Jahre 1900 bis 1945 und ist mit 38 Objekten der umfangreichste: Neben dem „Sportlaboratorium bei der Hygiene-Ausstellung in Dresden 1911“ (Text: Stefan Nielsen) und einer „Kollektion Riemen und Skulls aus Berlin-Friedrichshagen“ (Text: Thomas Willaschek) wird hier z.B. „Das Meistertrikot von Max Girgulski“ (Text: Manuel Neukirchner, Lorenz Peiffer und Henry Wahlig) des einstigen Fußballspielers von Eintracht Frankfurt vorgestellt, der als Jude 1938 nach Argentinien flüchten musste. Dabei handelt es sich um das einzige erhaltene Fußballtrikot aus der Zeit des jüdischen Fußballs in der NS-Zeit, das dessen Tochter 2019 dem Deutschen Fußballmuseum in Dortmund feierlich übergab.

Der dritte Satz von 1945 bis 2000 enthält z.B. den Fotoapparat „Die Rolleiflex“ (Text: Manfred Nippe) des Berliner Sportfotografen von Heinrich von der Becke (1912-1997), dessen über eine Mio. Negative inzwischen zum Bestand des Sportmuseums Berlin gehören, sowie das „Trikot von Erhard Wunderlich“, dem Handball-Weltmeister 1978 (Text: Kai Hilger), und das „Programmheft zur Eröffnung der Berliner Max-Schmeling-Halle“ (Text: Dirk Ullmann) mit der Weltmeisterschaft der Formation in den Standardtänzen am 14. Dezember 1996. Sogar „Die ZDF-Torwand“ (Text: Olaf Stieglitz) wird im Band aufgestellt, die nach über 50 Dienstjahren keineswegs ausgedient hat, obwohl die Frage nach dessen Erfinder immer noch nicht historisch eindeutig geklärt ist bzw. durch einschlägige Quellen belegt werden kann …

Liest man nur die Überschriften der Beiträge zu den Objekten, dann können demnach sogar rund zwei Dutzend in das olympische Umfeld eingeordnet werden. Es geht los mit einer „Postkarte aus Athen – Olympischer Schatz auf einer Sammlerbörse“ (Text: Rüdiger Fritz) von den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896; es folgen die Berliner Spiele 1936 u.a. mit der „Olympiaglocke Berlin 1936“ (Text: Berno Bahro) und „Die Fahne der gesamtdeutschen Olympiamannschaft“ (Text: Lukas Rehmann) aus den 1960er Jahren, die jetzt im Haus der Geschichte in Bonn zu sehen ist, ferner z.B. die Auszeichnung „Olympischer Orden für Max Danz“ (Text: Winfried Joch), die der ehemalige Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und Ehrenbürger der Stadt Kassel 1981 von IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch erhielt.

Betrachtet man die Objekte thematisch, dann wird schnell deutlich, wie breit die Palette der aufbereiteten Gegenstände und deren sportliche Bezüge sind: Urkunden und Preise sowie Bücher und Filme gehören ebenso dazu wie alte und neuere Sportgeräte (vom Speer bis zum Skateboard) und Sportstätten bis hin zum Sport-Friedhof „Das Schalke FanFeld“ (Text: Markwart Herzog). Sogar die beiden verbandlichen Vorgängerorganisationen des DOSB sind exemplarisch vertreten, und zwar der einstige Deutsche Sportbund (DSB) u.a. mit „Trimmy“ (Text: Dieter H. Jütting), der Symbolfigur des Breiten- und Freizeitsports bzw. der Trimm-Dich-Aktionen des DSB in den 1970er Jahren, und mit „Olympia-Waldi“ (Text: Swantje Scharenberg), dem offiziellen Maskottchen der Olympischen Spiele 1972 in München. Diese Idee geht auf Willi Daume, den damaligen Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) zurück, der – so ist im Text zu lesen – selbst Dackelbesitzer war und den Designer Otl Aicher damit beauftragt hatte, die Kreatur zu erschaffen. Waldi kann übrigens heute u.a. im „TECHNOSEUM“, dem Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim, besucht werden …

Wer jedoch den größten Ort der deutschen Sportgeschichte aufsuchen möchte – nämlich den Berliner Olympiapark, der kann sich mit dem letzten Beitrag von Patricia-Ann Schikore (Frankfurt) einstimmen und sieht dort die heute 99-jährige Margot Friedländer fröhlich dreinblickend auf dem Maifeld vor dem Olympiastadion anlässlich der 14. Europäischen Makkabiade 2015. Die am 5. November 1921 in Berlin geborene Margot Friedländer überlebte das Konzentrationslager Auschwitz, wandere 1946 in die USA aus und kehrte 2010 für immer in ihre Heimatstadt Berlin zurück: „Ein lebendiger Ort der Sportgeschichte“ lautet die dazu treffende Überschrift…

Und auch das aktuellste „Objekt“- das 100. Objekt, gehört zum Olympiastadion, zum dort liegenden Sportmuseum Berlin, dem Marathoneum.  Gerd Steins beschreibt auf den Seiten 446 – 449 das „Laufhemd von Eliud Kipchoge“, Weltrekordler und Olympiasieger, der den 42. Berlin-Marathon am 27. September 2015  in Jahresweltbestzeit von 2:04:00 gewann.

Zum Schluss: In seinem Vorwort untermauert DOSB-Präsident Alfons Hörmann einmal mehr, dass der DOSB auch seine Aufgabe darin sieht, „Kultur und Geschichte des Sports zu pflegen sowie Forschungen und Projekte zu unterstützen, die in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für die Bedeutung des Sports für Kultur und Gesellschaft stärken“ können. Dieses Buch ist ein hervorragendes Zeugnis dafür – mehr noch: Alfons Hörmann attestiert dem Band, er sei „ein wunderbarer Spiegel der deutschen Sportgeschichte“.

Jetzt bleibt zweierlei zu hoffen – nämlich erstens, dass viele Sportinteressierte diesen Spiegel betrachten und dass zweitens dem Band viele weitere „wunderbare Spiegel“ folgen werden. Das können Spiegel aus verschiedenen Sportarten sein, Spiegel der Bundesländer sowie der Städte und Gemeinden:

100 Objekte aus der jeweiligen Sportgeschichte zusammenzustellen, das dürfte so oder so eine leicht lösbare Aufgabe sein  … und wer wollte sich da nicht irgendwann selbst mit seinem Sport im Spiegel betrachten?

Michael Krüger (Hrsg.): Deutsche Sportgeschichte in 100 Objekten. Neulingen 2020: J. S. Klotz Verlagshaus. 456 S.; 29,80 €

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann in der DOSB-Presse

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