Symbol-Foto: Männer-Langstrecke mit v.l. Samuel Fitwi, Simon Boch, Kilian Schreiner (366) und Jan Becker (4017). - Foto: Wilfried Raatz - wus-media
Deutsche Crossmeisterschaften Sindelfingen 2020 – Titelkämpfe mit zahlreichen Überraschungen – aber auch klaren Favoritensiegen durch Samuel Fitwi, Simon Boch, Markus Görger und Domenika Mayer – Wilfried Raatz berichtet
Der württembergische Leichtathletik-Verband ist mit der Ausrichtung der deutschen Crossmeisterschaften im Badezentrum Sindelfingen einige Risiken eingegangen.
Die Stadt Sindelfingen „gönnte“ sich zum 100. Geburtstag des VfL Sindelfingen im weitläufigen Badezentrum die nationalen Titelkämpfe, allerdings wird die Stadt nach der Schlammschlacht vom Samstag einige Euro in die Hand nehmen müssen, um den Laufparcours wieder in eine Liege- und Spielwiese der Badehungrigen umzuwandeln.
Das Experiment ist aber zu 100 Prozent geglückt, der vollends einsehbare, ansprechend profilierte Rundkurs von 1100 m vorbei an Sprungtürmen, Wasserrutschen und Badebecken ist überzeugt, weil die Wettbewerbe ein Höchstmaß an Fitness und Wettkampfhärte verlangten und „wahre“ Champions auf der Freitreppe nahe des Eingangs des Badezentrums gekürt werden konnten.
Wohl selten gab es Titelkämpfen, die ohne taktisches Geplänkel über die Runden gegangen waren, denn stets setzten sich die crossaffinen Läufer mit beeindruckenden Vorstellungen durch.
Mit Samuel Fitwi, Somon Boch und Domenika Mayer setzten sich in den Hauptkonkurrenzen der Männer und Frauen Athleten durch, die durch ein „gnadenloses“ Tempodiktat kein taktisches Geplänkel zuließen. Er kann Spurt, er kann auch ein hohes Renntempo gestalten, die Erfolge der letzten Jahre haben Simon Boch zu einem Allround-Läufer reifen lassen.
Im über 4.400 m langen Mittelstreckenrennen schaute sich der Regensburger die Konkurrenz nicht lange an, sondern übernahm mit einem hohen Tempo das Heft des Handelns. Johannes Motschmann war letztlich der Einzige, der mit wenigen Metern Abstand bis zur Ziellinie Kontakt zu Simon Boch halten konnte- ohne ihm aber die Goldmedaille streitig machen zu können.
Mit 14:03 Minuten kam der LG Telis-Athlet zu seinem nächsten Titel nach 10.000 m und Berglauf, zwei Sekunden dahinter der bei Dieter Hogen beim SCC Berlin trainierende Johannes Motschmann. „Das war eine superharte Strecke, mit Laufen hat das wenig zu tun. Ehrlich gesagt, ich bin froh, wenn ich wieder auf der Bahn oder der Straße laufen kann“, so Simon Boch, der sich auf den letzten Metern immer wieder umschauen musste, ob nicht Johannes Motschmann im Spurt aufschließen und ihm den mit viel Mut greifbar nahen Titel noch streiten machen könnte.
Im spannenden Kampf um Rang drei wehrte Konstantin Wedel die mitfavorisierten Karsten Meier und vor allem Timo Benitz ab, der aufgrund der schweren Strecke unterwegs zu „viele Körner“ gelassen hatte, um sein gefürchtetes Sprintvermögen noch ausspielen zu können. Mit dem auf Rang sieben einlaufenden Florian Orth war einmal mehr die LG Telis Finanz Regensburg in der Teamwertung nicht zu schlagen, mit 11 Punkten lagen der SCC Berlin (19) und die LG farbtex Nordschwarzwald (24) doch deutlich zurück.
Vier Stunden später musste Simon Boch erkennen, dass er auf der 9.900 m langen Langstrecke bedingt durch den vorangegangenen Kräfteverschleiß gegen den leichtfüßig über den aufgeweichten Boden „schwebenden“ Samuel Fitwi keine Chance hatte. „Samuel ist eine Klasse besser als wir“, gestand Simon Boch anerkennend.
Der für die LG Vulkaneifel startende gebürtige Eritreer stürmte nach einem Drittel der Distanz auf und davon. Im Ziel betrug sein Vorsprung bei einer Siegerzeit von 32:34 Minuten eine ganze Minute auf Simon Boch, der seinen Teamkollegen Maximilian Zeus, den Berglaufmeister der Jahre 2017 und 2018, mit Mühe auf Rang drei verweisen konnte.
„Das Rennen hat mir viel Spaß gemacht“, freute sich der 24jährige, dessen großes Ziel die Olympischen Spiele sind, nach dem Rennen. Doch blutige Wunden am Knie und Fuß zwangen Samuel Fitwi direkt nach der Siegerehrung ins Krankenhaus, wo er mit mehreren Stichen genäht werden musste. „Ich hoffe, dass ich nur drei, vier Tage Pause machen muss…“, blickt er zuversichtlich voraus.
Auch hier heißt der Mannschaftsmeister LG Telis Finanz Regensburg, die damit zum vierten Malin Folge das Double mit den Meisterschaften auf der Mittel- und Langstrecke feiern konnten.
Nachdem Miriam Dattke (wegen einer Reizung im Oberschenkelbeuger) und Caterina Granz kurzfristig einen Start in Sindelfingen gestrichen hatten, sah Domenika Mayer plötzlich ihre Chance zum Titelgewinn. Die 29jährige Mutter zweier Kinder übernahm dann auch direkt nach dem Startschuss das Rennkommando über die 5.500 m lange Strecke – und weder die Schöneborn-Zwillinge Deborah und Rebecca noch sonst wer gingen dieses furiose Tempo mit.
Der Rest war eine außergewöhnliche Demonstration für eine Läuferin, die praktisch noch nie so richtig im Fokus gestanden hatte. „Cross ist einfach mein Ding“, freute sich die Regensburgerin über ihren ersten Einzeltitel, für den sie 21:24 Minuten brauchte. Elf Sekunden dahinter folgte Debbie Schöneborn, gefolgt von der U23-Meisterin Klara Kloppe (31:39). Den Mannschaftstitel sicherte sich erneut die LG Nord Berlin.
Sindelfingen anstelle Marrakesch, das mußte die Devise für Markus Görger sein, der nach der ausgefallen Studenten-Cross-WM in Marokko in der Bäderlandschaft am Rand von Sindelfingen eine Demonstration seiner läuferischen Klasse zeigte. Auf der 6.600m lange U23-Strecke hatte der Neu-Karlsruher bei einer Siegerzeit von 26:01 Minuten exakt eine Minute Vorsprung auf den Vizemeister Nick Jäger (27:02). Erfreulich, dass im leider nur 46 Teilnehmer starken Feld kamen mit Florian Bremm und Dominik Müller auf den Plätzen 4 und 6 zwei 20jährige.
Überzeugende Solorennen kennzeichnen auch die jüngeren Wettbewerbsklassen.
Auf der 4.400 m langen Strecke liefen Jule Behrens in der U18 und Anneke Vortmeier in der U20 ihren Konkurrentinnen mit frappierender Leichtigkeit auf und davon, alleine bei den Jungen gab es spannende Zieleinläufe bei der U20 durch Paul Feuerer vor dem zeitgleichen Roman Freitag und dem Lokalmatador Paul Specht bzw. bei der U18 durch Aras Belfqih und dem zwei Sekunden dahinter folgenden Kurt Lauer.
Wilfried Raatz