Betrug mit ärztlichen Attesten: Hochspringer Danil Lyssenko - 2018 IAAF World IndoorChampionships Birmingham, UK March1-4, 2018 Photo: KevinMorris@PhotoRun
Der russische Patient: Sauerstoff vom Minister – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Die wegen systematischen Dopings gesperrten russischen Leichtathleten haben eine weitere Frist erhalten, bis zu der sie ihre Schulden zahlen sollen. Die Aufhebung des Banns ist an weitere Bedingungen geknüpft.
Der Weltverband der Leichtathleten, World Athletics (WA), hat große Pläne und noch mehr Sorgen. Nicht alle haben mit Dopern aus Russland zu tun. Die Covid-19-Pandemie verhindert praktisch alle internationalen Wettkämpfe der Sportart.
WA-Präsident Sebastian Coe befürchtet, die mangelnde Präsenz könnte ihr, falls es im kommenden Jahr so weitergeht, schaden; deshalb will er einen Plan für die Stärkung regionaler Veranstaltungen erarbeiten.
Er befürchte zudem, sagte er nach der zweitägigen Video-Sitzung des WA-Councils am Donnerstagabend, dass die Konfrontationen in der internationalen Politik Folgen für den Sport haben könnten. Lange habe er keine Politiker mehr vom Boykott von Sportveranstaltungen sprechen hören, orakelte Coe. Aber die Konflikte der Staatenlenker miteinander hätten Auswirkungen auf den Sport. Damit werde dieser umgehen müssen.
Ein weiterer Plan der Leichtathleten ist, den Crosslauf zurück ins Programm der Olympischen Spiele zu bringen.
Dies soll mittels einer gemischten Staffel nicht bei Winterspielen geschehen, sondern schon bei den Sommerspielen von Paris 2024 – alles in allem eine schöne Idee, da hundert Jahre zuvor, bei Olympia 1924, dort der letzte olympische Geländelauf stattfand. Nach den Vorstellungen von World Athletics sollen die vier Mitglieder der Cross-Staffel je zweimal 2,5 Kilometer laufen. Dafür könnten sie die gemischte 4×400-Meter-Staffel opfern.
„In allen Kirchen wird gebetet“
Der russische Patient bleibt den Leichtathleten erhalten und damit eine große Sorge. Kurz bevor das Council am Donnerstag seinen Plan vom Ausschluss des seit November 2015 wegen systematischen Dopings suspendierten russischen Verbandes (Rusaf) realisieren konnte (dem die Vollversammlung auf einer Sondersitzung hätte zustimmen müssen), rang sich der russische Staat zur Lebensrettung durch. „Der Sportminister hat der russischen Leichtathletik Sauerstoff verabreicht“, urteilte Juri Ganus, der die russische Anti-Doping-Agentur leitet und häufig das Beharrungsvermögen mächtiger Netzwerke beklagt.
Er meinte das bedingungslose Versprechen von Oleg Matyzin, die seit mehr als einem Monat überfällige Strafe von fünf Millionen Dollar für den jüngsten Betrug plus Verfahrenskosten von 1,3 Millionen Dollar vor dem 15. August zu überweisen. Matyzin versprach, sich in die Erneuerung des Verbandes einzubringen. „In allen Kirchen wird gebetet werden, dass er sein Versprechen wird halten können“, kommentierte die sportpolitische Website „Inside The Games“.
World Athletics hat den Ausschluss gleichwohl beschlossen; der Beschluss bleibt unter der Voraussetzung ausgesetzt, dass die Russen drei Bedingungen erfüllen. Das Geld, übrigens nur die Hälfte der Strafe, die für den Betrug mit ärztlichen Attesten im Fall des Hochspringers Danil Lyssenko verhängt wurde, muss eintreffen. Spätestens Ende August müssen die Russen einen Plan für die Erneuerung ihres Verbandes vorlegen. Bis Ende September müssen sie Kritik und Änderungsvorschläge der Arbeitsgruppe zur Wiederaufnahme der Russen annehmen und schließlich bei der Umsetzung des Plans „zufriedenstellenden Fortschritt“ erreichen, unter anderem durch die Einbindung zweier unabhängiger, vom Weltverband benannter Experten.
Frühestens im Oktober will World Athletics dann wieder sogenannte neutrale Athleten aus Russland anerkennen und ihnen internationale Starts erlauben. Ihre Zahl ist auf zehn begrenzt.
Über die Möglichkeit zur Olympiateilnahme in Tokio 2021 – in Rio 2016 war lediglich eine Leichtathletin aus Russland zugelassen – will der Weltverband erst Ende des Jahres entscheiden, abhängig von der Umsetzung der russischen Pläne.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 31. Juli 2020
Michael Reinsch Korrespondent für Sport in Berlin.