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08
11
2020

Neujahrslauf 1990 - Foto: Klaus Weidt

Der Neujahrslauf wurde in Berlin geboren – Heinz Florian Oertel kam schon für den 1. Januar 1972 auf diese Idee, Horst Milde brachte die dann ans Brandenburger Tor – Klaus Weidt berichtet

By GRR 0

Wer weiß schon, wie die deutsche Neujahrslauf-Idee entstand? Reporterlegende Heinz Florian Oertel rief im Berliner Rundfunk anlässlich der bevorstehenden Olympischen Spiele von München 1972 zu einer „Olympiameile“ auf. 

Seine Idee: Wir laufen am 1. Januar 1972 – 1972 Meter. Im Volkspark Friedrichshain.

Seine in der DDR beliebte Rundfunksendung „He, he, he – Sport an der Spree“ benutzte er als wirksames Medium hierfür und hatte den erwarteten Premieren-Erfolg. Geschätzte 3000 Neujahrsläufer stellten sich um 11 Uhr am heutigen Platz der Nationen (damals Lenin-Platz) auf, um den Silvesterkater zu vertreiben.

Oertel, inzwischen 92, erinnert sich: „“Wir waren gespannt, wie die Berliner reagieren würden. Natürlich verzichteten wir auf Zeitmessung, und mit einer Distanz von 1972 m überforderten wir keinen.“ Der Erfolg gab ihm Recht. Und so trafen sich weiterhin am 1.1. der folgenden Jahre alte und neue Laufbegeisterte zum zwanglosen Neujahrsjoggen.

Was auch die wenigsten wissen: Dieser Berliner Neujahrslauf dürfte gemeinsam mit einem aus Sachsen der Erste in Deutschland gewesen sein. Fast zeitgleich starteten im damaligen Karl-Marx-Stadt 80 im Stadtwald und feierten zugleich ihre 190. Auflage „Lauf dich gesund“. Oertel warb in Rundfunk und Fernsehen weiter für den Berliner Jahreslaufbeginn und erreichte eine enorme Popularität. Bis zu 10 000 trafen sich bald im Friedrichshain am „Mont Klamott“, dem aus Trümmern einst aufgeschütteten Hügel.

Wie lange? Bis 1990.

„Haeder Laufgruppe  aus Stendal“ und Gerd Engel aus Stendal (Bannerträger r. mit Stirnband)  – Foto: Klaus Weidt

Und das wird als Einzigart in die Laufgeschichte eingehen: Am ersten Neujahrsmorgen nach der Wende fanden zwei Berliner Läufe statt: Um 11 Uhr an der Friedrichshainer Stelle mit 5000, um 14 Uhr auf der Straße des 17. Juni mit über 25 000.

Nicht wenige Berliner nahmen an diesem historischen Tag gleich beide wahr. Wer wie ich mit meiner Frau daran teilnahm, wird jenen Lauf durchs Brandenburger Tor nie vergessen. Gänsehaut und Jubelgesänge, Stempel der Grenzer auf die Startnummern und Urkunden, die einen ersten „Gesamtberliner Neujahrs-Lauf“ dokumentierten.

Horst Milde weiß es noch wie heute: Am 9. November wurde die Mauer geöffnet, am 10. November rief Michael Coleman von der Londoner Times bei ihm an und fragte, ob der Organisationschef des BERLIN-MARATHON nun auch einen Neujahrslauf organisieren würde. Falls ja, sollte die Strecke doch durch das Brandenburger Tor führen. Drei Tage später saß Milde in seiner Tempelhofer Bäckerei mit den DDR-Läufern Gerd Engel, Detlef Dalk und Roland Winkler zusammen und entwarf mit ihnen einen Brief an die Bürgermeister Ost und West. Mit Erfolg. Die damaligen Stadtoberhäupter Walter Momper (West) und Erhard Krack (Ost) stimmten zu  und gaben gemeinsam den Startschuss.

Nach diesem Jubelrennen trafen sich Horst Milde und Heinz Florian Oertel und vereinbarten, ab sofort stets nur einen Berliner Neujahrslauf zu starten, und diesen durchs Brandenburger Tor. Das Geburtsjahr 1972 im östlichen Friedrichshain wurde akzeptiert. Damit war 1990 der geschichtsträchtige Lauf der 19.

Urkunde zum Ersten Gesamt-Berliner Neujahrslauf 1990 – Foto: Klaus Weidt

Nun hoffen wir, dass das familienträchtige Neujahrsjogging ohne Zeit über 4 Kilometer auch am 1. Januar 2021 wieder die Berliner und ihre Freunde feiern können. Trotz Corona. Wie hieß es doch auf einem mitgeführten Transparent, damals vor 30 Jahren:

„Loofen durch janz Berlin – Mensch ick finde det scheen!“

Klaus Weidt

https://germanroadraces.de/?p=162479

author: GRR