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Der lange Weg zum Einheitsverband – Swiss Athletics
Leichtathletische Wettkämpfe gab es schon immer. Seit der Antike, um genau zu sein. An den 18. Olympischen Spiele im Jahre 708 vor Christus bildete der Pentathlon (Fünfkampf) einen der Hauptwettbewerbe, bestehend aus einem Stadionlauf über 192 Meter, Weitsprung, Speer- und Diskuswurf sowie einem Ringkampf.
Laufen, Springen, Werfen (und Ringen) darf man demnach als «olympische Urdisziplinen» bezeichnen. Die klassische Leichtathletik – als Unterscheidung zur Schwerathletik (Gewichtheben, Tauziehen, Schwingen und andere Kampfsportarten) – kam mit dem modernen Sport und der olympischen Bewegung der Neuzeit Ende des 19. Jahrhunderts wieder auf. Sie ist ein Phänomen der Industrialisierung, wo das Messbare und Exakte, die Leistung und Konkurrenz, ja der Rekord in den Vordergrund rückten. Und wie die Industrialisierung fasste der Sport erst in England Fuss, ehe er sich seinen Weg via Frankreich in die Romandie – mit Zentrum in Genf – bahnte und die bestehende Turnbewegung in der Deutschschweiz zu bedrängen begann.
ELAV versus SALV
Während Fussballclubs wie der Servette FC, FC Lugano, FC Zürich oder der FC Old Boys Basel die Leichtathletik in ihr Trainingsprogramm integrierten und entsprechende Abteilungen (LC, LAC) ins Leben riefen, fand die im Nationalen verwurzelte Athletik bei den Turnern Anklang. Letztere taten die beliebten Bewegungsformen Laufen, Springen und Werfen despektierlich als «volkstümliche Übungen» ab. Dies als Abgrenzung zum kunstvoll betriebenen Geräte- und Kunstturnen. Die beiden unterschiedlichen Philosophien führten nicht nur zu zwei getrennten Lagern, sondern auch zu zwei verschiedenen Verbänden, welche die Hoheit für die Sportart Leichtathletik auf nationaler Ebene für sich in Anspruch nahmen: Auf der einen Seite stand der 1924 gegründete Eidgenössische Leichtathleten-Verband (ELAV) als Unterverband des Schweizerischen Turnverbands (ETV/STV), auf der anderen der Schweizerische Amateur-Leichtathletik-Verband (SALV), 1949 entstanden als Unterverband des Schweizerischen Fussball- und Athletik-Verbands (SFAV/SFV).
Die zwei Verbände waren zwar durch eine Zwischenverbandskommission miteinander verbunden, Einigkeit herrschte indes selten. Der Zwist ging so weit, dass stets zwei Kaderlisten bestanden, jene der «Fussballerleichtathleten» und jene der «Turnerleichtathleten». Obwohl der ELAV dank seiner breiten Basis von Leichtathletik treibenden Turnvereinen (BTV, KTV, SATUS, STV, TV) deutlich mehr Mitglieder zählte, machte der SALV insofern einen grösseren Einfluss geltend, als sein Vorgänger, der 1905 gegründete Athletik-Ausschuss der Swiss Football Association (SFV), seit 1913 alleiniger Schweizer Ansprechpartner beim Internationalen Leichtathletik-Verband (IAAF) war. Das hatte zur Folge, dass ausschliesslich Leichtathletik-Clubs aus dem Fussballerlager internationale Länderkämpfe und nationale Meisterschaften organisieren durften.
Der «Fall Scheurer»
Den Tiefpunkt im Verbandskrieg markierte der «Fall Scheurer». Der an Heiligabend 1917 geborene Armin Scheurer wurde 1952 zum Nicht-Amateur erklärt und lebenslang gesperrt, weil er als ELAV-Athlet und Nationalliga-Fussballer gegen die Amateurbestimmungen der International Amateur Athletics Federation (IAAF) verstossen hatte – und damit gegen jene des Schweizerischen Amateur-Leichtathletik-Verbands (SALV). Nun war der Solothurner Abwart der Magglinger Sportanlagen nicht irgendjemand, sondern 15-facher Schweizer im Zehnkampf (6 Mal), Stabhochsprung (6 Mal), Drei- und Weitsprung (2 Mal/1 Mal), 1947 und 1951 Sieger des eidgenössischen Turnfests sowie 1950 erster Schweizer Sportler des Jahres. Der Vertreter des BTV Biel machte keinen Hehl daraus, als Schweizer Meister mit dem FC Biel (1947) – und Mitglied des Schweizerischen Fussball- und Athletik-Verbands – regelmässig Spielprämien bezogen zu haben (durchschnittlich 30 Franken pro Match). Nach dem Rücktritt und der späteren Rehabilitation wurde der eidgenössisch diplomierte Sportlehrer erster Mehrkampf-Nationaltrainer beim SLV, gefolgt vom jungen Hansruedi Kunz (LC Turicum), der das Amt bis 2020 fortführen sollte.
20 Jahre bis zur «Leichtathletik-Union»
Doch zurück ins Jahr 1952, zurück zum SLV-Vorgänger SALV. Dieser initiierte noch im gleichen Jahr das «Projekt für eine schweizerische Leichtathletik-Union». Ziel war die Gründung eines «einzigen schweizerischen Leichtathletik-Fachverbandes». Aus dem Motto «Getrennt marschieren, vereint schlagen» sollte an der Seite des ELAV ein gemeinsames Marschieren werden. Doch die Idee eines Einheitsverbandes versandete wieder. Fast zehn Jahre lang fanden die beiden Streithähne nur im Rahmen der Interverbandskommission für Leichtathletik (IKL) einen gemeinsamen Nenner, ehe der Vorort Basel 1960 abermals einen Anlauf nahm. In unzähligen Verhandlungen schufen die beiden grössten und wichtigsten Leichtathletik-Player das Konzept für den Schweizerischen Leichtathletik-Verband.
Mit der Loslösung des SALV 1966 vom Fussballverband war der Weg frei. SALV-Präsident Jean Frauenlob hielt in seinem Jahresbericht von 1968 vorausschauend fest: «Die Zeit der omnisportiven Verbände ist endgültig vorbei. Jede Sportart muss ihren eigenen unabhängigen Fachverband haben. Nur durch Zusammenschlüsse, rationelleres Arbeiten, einheitliches Denken, Zusammenlegung der finanziellen Mittel und der Kader ist es möglich, den Spitzensport zu fördern und den Anschluss an die internationale Spitze wieder herzustellen.»
Drei Jahre später war es so weit: Dem Beschluss der Delegiertenversammlung folgend, lösten sich die beiden bisherigen Verbände SALV und ELAV am 4. Dezember 1971 auf. Ab diesem Tag sollte es nur noch einen Leichtathletik-Verband geben. Aus «Fussballerleichtathleten» und «Turnerleichtathleten» wurden «Leichtathleten» – mit einer einheitlichen Lizenz, einheitlichen Meisterschaften, einheitlichen Kadern und einer einheitlichen Förderung.
«Der kleine Knirps SLV wird noch genügend Kapriolen schaffen, bis er zum richtigen Mann herangewachsen ist», schrieb Zentralpräsident Otto Grütter im letzten ELAV-Jahresbericht.
Quelle: Swiss Athletics