Halluzination Nimmt man Psilocybin richtig dosiert ein, kann es eine positiv erlebte «ozeanische» Ich-Entgrenzung auslösen. - Foto: iStock / rancescoch
Depressions-Therapie – Ozeanische Gefühle – Roger Nickl – Universität Zürich – UZH
Der aus Pilzen stammende Wirkstoff Psilocybin entgrenzt das Ich und vermindert Ängste. Psychiater Franz X. Vollenweider möchte ihn deshalb für die Behandlung von Depressionen nutzen.
- Menschen in einer Depression kreisen um sich selbst. «Sie sind ständig mit sich beschäftigt», sagt Franz X. Vollenweider, «und das auf negative Weise.» Denn die Krankheit drückt sich in einer permanenten Selbstentwertung aus.
- Depressive Menschen haben das Gefühl, nie zu genügen, zu nichts nütze zu sein und nie ausreichend Feedback von aussen zu erhalten. Sie sind in einem Strudel negativer Gedanken und Gefühle gefangen. Das nimmt die Lebensfreude und trocknet den Tatendurst aus. Diesem negativen Sog zu entkommen, ist schwierig. Nur rund die Hälfte aller Menschen mit schwereren Depressionen sprechen auf gängige Therapien und antidepressive Medikamente
Um den Erfolg von Depressionsbehandlungen zu verbessern, arbeitet Franz X. Vollenweider an der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli an einer vielversprechenden, neuen Methode. Vollenweider ist Psychiater und Neurowissenschaftler. Seit mehreren Jahrzehnten erforscht er die psychologischen und neurobiologischen Grundlagen des menschlichen Ich und beschäftigt sich mit Krankheiten wie Depression oder Schizophrenie. Im Zentrum seines neuen Therapieansatzes steht Psilocybin, ein psychoaktiver Wirkstoff, der aus «Zauberpilzen», den so genannten Magic Mushrooms, stammt.
Zauberpilze sind in vielen Kulturen der Welt seit langer Zeit bekannt und werden als Heilmittel und in religiösen Riten genutzt. Sie wachsen auch auf Schweizer Wiesen. Seit einigen Jahren wird ihr Wirkstoff nun auch intensiv für eine Verwendung in der Psychiatrie erforscht.
Kleiner Bruder von LSD
Psilocybin gilt als kleiner Bruder der Hippiedroge LSD und hat wie dieses einen bewusstseinsverändernden Effekt. Franz X. Vollenweider untersucht, wie der Stoff auf unser Gehirn, unsere Emotionen und Ich-Funktionen wirkt. «Nimmt man Psilocybin in einem unterstützenden therapeutischen Setting richtig dosiert ein, kann es eine positiv erlebte ‹ozeanische› Ich-Entgrenzung auslösen», sagt Vollenweider, «mit der Lockerung der IchUmwelt-Abgrenzung baut sich ein tiefgreifendes Gefühl der Verbundenheit mit Mitmenschen und Umwelt auf.»
Aber nicht nur das: Vollenweiders Forschung hat auch gezeigt, dass Psilocybin positiv auf die Emotionsregulation einwirkt und Ängste reduziert. Das steht im Widerspruch zur gängigen Vorstellung, dass bewusstseinserweiternde Drogen wie LSD oder Magic Mushrooms unweigerlich zum Horrortrip führen. Entscheidend für die Entfaltung einer positiven Wirkung sei die Dosis, sagt Franz X. Vollenweider, erst ab einer relativ hohen Menge Psilocybin können das kohärente Ich-Erleben und seine integrierenden Funktionen tatsächlich zerreissen. Man ist sich dann nicht mehr sicher, ob man selbst noch Urheberin oder Urheber seiner Gefühle oder Gedanken ist. Diese Erfahrung kann Angst oder gar Panik auslösen und tatsächlich zum Horrortrip werden.
Stimmt dagegen die Dosierung, hat Psilocybin eine angstlösende Wirkung – auch bei depressiven Patienten. Dies haben Studien in Vollenweiders Labor deutlich gemacht. In einem Test zeigte er gesunden Probanden im Hirnscanner unterschiedliche Bilder. Die einen konnten positive Reaktionen, andere aber auch negative Gefühle auslösen. Zu Letzteren gehörten Szenen von Unfällen oder Gesichter, die Wut oder Hass ausdrücken. Depressive Patienten reagieren im Vergleich zu Gesunden üblicherweise verstärkt auf solch negative Reize. Wie sich zeigte, reduzierte Psilocybin nun nicht nur die Reaktion in den Angst verarbeitenden Zentren des Gehirns. Es vermindert auch subjektiv die Angst auslösende Wirkung der negativen Reize der Bilder.
«Der Wirkstoff ermöglicht für eine kurze Zeit eine innere Distanz zum eigenen Erleben», sagt Vollenweider, «sie erlaubt es, anders mit aufkommenden traumatischen Erinnerungen und Ängsten umzugehen, diese neu zu bewerten und zu integrieren.»
Weniger depressiv
Psilocybin wirkt rund eineinhalb Stunden. Es hat darüber hinaus aber noch einen längerfristigen positiven Effekt, wie Vollenweider und sein Forschungsteam herausgefunden haben. Patientinnen und Patienten fühlten sich nach ein bis zwei Dosen Psilocybin über drei bis sechs Monate hinweg deutlich weniger depressiv als zuvor. Aufgrund all dieser positiven Eigenschaften möchte Psychiater Vollenweider Psilocybin künftig vermehrt in der Depressionsbehandlung nutzen.
Er hofft, damit auch den schwer depressiven Patientinnen und Patienten helfen zu können, die bislang nicht auf die vorhandenen Medikamente angesprochen haben. Klar ist für ihn aber auch, dass Psilocybin klassische Gesprächs und Verhaltenstherapien nicht ersetzen, sondern vor allem unterstützen und ergänzen kann. «Es öffnet ein inneres Fenster, um auf ein anderes, positiveres Ich zu schauen», sagt Franz X. Vollenweider, «Depressionspatienten erzählten mir, dass sie einen Moment lang aufschnaufen konnten und sich für einmal nicht selber bedrängt und malträtiert haben.»
An diese Erfahrung kann die psychologische Behandlung anknüpfen und versuchen, sie aus dem psychedelischen Zauberland in die Realität hinüberzuretten.