Eliud Kopchoge - Leichtathletik Berlin 16.09.2018 45. BMW Berlin Marathon Neuer Weltrekord in 2:01:39 Stunden von Eliud Kipchoge (KEN) Foto: Camera4
Das Marathon-Spektakel von Wien Eliud Kipchoge, die Mondlandung und der Schuh des Weisen – Von KLAUS BLUME
„Der Start von Eliud Kipchoge ist das bedeutendste Sportereignis, das je in Wien stattgefunden hat, weil es einzigartig und weltumspannend ist“.
Kipchoge selbst vergleicht es mit der Mondlandung. Es soll die menschlichen Möglichkeiten neu definieren. Die internationale mediale Strahlkraft ist in Österreich nur mit dem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker zu vergleichen.“ So tönt Wolfgang Konrad, der Veranstalter des Vienna City Marathon.
Haben wir‘s denn nicht ein bisserl kleiner?
Es geht doch nur um einen Dauerlauf über 42,195 Kilometer im Wiener Prater. Falsch gedacht! Es geht um um mehr. Um sehr viel mehr. Es geht um Werbung. Es geht um Marketing. Es geht um Technologie. Es geht um Arbeitsplätze. Es geht darum, welcher Sportartikel-Hersteller beim Schuhverkauf in den nächsten Wochen das große Rennen macht; es geht letzten Endes also ums Prestige. Zu erzielen möglichst mit Hilfe eines neuen Marathon-Weltrekordes, auch wenn dieser – weil er in Wien gegen alle Regeln zelebriert wird – gar nicht als solcher gelten würde. Selbst, wenn der Kenianer Eliud Kipchoge die 42, 195 Kilometer in 1:59 Stunden durcheilen sollte.
Es geht dem amerikanischen Sportschuh-Giganten Nike am Wochenende in Wien aber nicht nur darum. Es geht ihm auch darum, nach der Verbannung seines Trainer-Gurus Alberto Salazar von der Leichtathletik-WM in Doha die dadurch entstandene imaginäre Wagenburg hoch erhobenen Hauptes zu verlassen, um aller Welt zu verkünden: Alles halb so schlimm! Sehet her, unser Marathon-Haudegen Eliud Kipchoge gehört noch nicht mal zum verschrienen Nike Oregon-Projekt.
Er lebt und trainiert als Kenianer nämlich in seiner Heimat. Seit 18 (!) Jahren bei seinem Landsmann Patrick Sang, ehedem Olympia- und WM-Zweiter über 3000 Meter Hindernis und jahrelang Aushängeschild des renommierten Leichtathletik Club Zürich.
Sang, der Außergewöhnliche, führte Eliud Kipchoge am 16. September 2018 in Berlin in einem ganz und gar normalen Marathon schon zu seinem (regulären) Fabel-Weltrekord von 2:01:39 Stunden. Der Mann kann‘s also wirklich, sagen sie jetzt bei Nike, der braucht tatsächlich keine Laborbedingungen – wie sie ihm jetzt in Wien bereitet werden. Der Mann brauche für einen Lauf unter zwei Stunden nur die richtigen Schuhe, um die sein amerikanischer Partner allerdings eine Gewese macht, als gehe es um die Suche nach dem goldenen Vlies oder ähnlich Mythischem.
Aber im Ernst: Wie sehen die neuen Schuhe für das Wiener Weltrekordrennen denn aus?
Nikes neueste Laufschuhe haben schließlich viele Athleten verunsichert. Denn das, was Eliud Kipchoge im vorigen Jahr beim Weltrekord in Berlin getragen haben soll, sei ein Prototyp gewesen, der danach gar nicht im Handel erhältlich war. Heißt es in der Szene.
Als die Engländerin Laura Muir mit Schuhen jener Art im letzten Winter in der Halle den britischen Rekord über die Meile (1609 Meter) brach, wollte ein anderer Hersteller herausfinden, ob Muirs Schuhe überhaupt dem Reglement entsprachen. Um es vorweg zu nehmen: der Beweis gelang nicht.
Warum?
Wohl, weil im Laufsport derzeit eine technische Revolution stattfindet, und weil Rekordläufer schon deshalb Protoypen tragen. Zwar gibt es Studien der Konkurrenz über die Wirkung des Nike-Laufschuhs Vaporfly, doch diese zeigen nicht deutlich auf, was er dem Athleten tatsächlich effektiv an Zeitgewinn bringen kann.
Auch die niederländische “Wunderläuferin“ Sifan Hassan trug in Doha bei ihren wahnwitzigen Sturmläufen über 10 000 und 1500 Meter neue Nike-Schuhe. Doch welche? Jedenfalls nicht solche, sagen deren Widersacherinnen, wie man sie im Laden an der Ecke kriegt. Die Konkurrenz versucht dennoch, ähnliche Schuhe zu entwickeln – ob es klappt?
Ähnliches Gewese, wie um Kipchoges Schuhe, gibt‘s übrigens um die Startzeit des Weltrekord-Versuchs im Wiener Prater – irgendwann am Freitag, Samstag oder Sonntag zwischen fünf und neun Uhr in der Früh‘ soll‘s geschehen. Das alles werde kurzfristig entschieden, denn dafür seien Temperaturen zwischen sieben und 14 Grad Celsius, eine Luftfeuchtigkeit unter 80 Prozent und nicht allzu viel Wind ausschlaggebend. Welche Winde für Kipchoge dann als richtig erachtet werden, soll der weltberühmte britische Segler Sir Charles „Ben“ Ainslie entscheiden. Erst, wenn der sein „Okay“ gibt, geht‘s los . . .
Man muss den dreißig TV-Stationen, die das Spektakel angeblich in 200 Länder übertragen wollen, schließlich etwas bieten. Zum Beispiel 41 zum Teil weltberühmte Pacemaker, darunter auch den 19jährige Norweger Jakob Ingebrigtsen.
Bei der WM in Doha hatte das „Jahrhunderttalent“ (VG, Oslo) über 1500 Meter nur den enttäuschenden vierten Platz belegt, „aber für Wien nimmt er extra Urlaub, denn das Engagement dort zählt,“ sagt Vater Gjert, sein Trainer.
Fragt sich nur, für wen.
Klaus Blume
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