Weltspitze auch über 2000 Meter ohne Hürden und Wassergraben: Hindernisläuferin Gesa Krause (lks.) mit ihrem Trainer Wolfgang Heinig und rechts Tochter Katharina. - Foto: Horst Milde
Corona und die Leichtathletik: Gesa Krause und das zerbrochene Puzzle – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Bis ins Detail hatte Trainer Wolfgang Heinig die Olympia-Vorbereitung der Hindernisläuferin Gesa Krause geplant.
Dann kam Corona – und alles begann von vorne. Das ist gar nicht so leicht, wie es scheint.
Wolfgang Heinig ist jetzt nicht einmal der Odenwald ruhig genug. Der erfahrene Langlauf-Trainer hat sich, statt nach Hause in Erbach, ins Allgäu zurückgezogen. Er muss Abstand gewinnen. Abstand zu den Jahren der Olympia-Vorbereitung von Gesa Krause, von der täglichen Arbeit mit der Hindernisläuferin, mit der gemeinsam er so große Pläne für Tokio 2020 hatte. Mit der Verschiebung der Sommerspiele läuft alles, was sie getan und sich vorgenommen haben, abrupt ins Leere.
Für Heinig, der gern Puzzles zusammensetzt, muss sich das anfühlen, als hätte das Schicksal, kurz bevor er die letzten Teile in ein riesengroßes, hochkomplexes Bild einfügen kann, den Tisch umgeworfen.
„Dem Trainer geht es wie seinen Athleten“, sagt er am Telefon. „Wir haben eine Mehrjahreskonzeption. Wir hatten eine Hypoxiekette aufgebaut“ – eine Reihe von Höhentrainingslagern –, „alles war bis ins Kleinste geplant“. Aus dem Training in Kenia ist Hindernisläuferin Gesa Krause in die Vereinigten Staaten geflogen, um dort einen Straßenlauf zu bestreiten, den ersten Wettkampf der Olympia-Saison. Längst sollte sie im Trainingslager in Potchefstroom in Südafrika eingetroffen sein.
Doch die Europameisterin von Amsterdam 2016 und Berlin 2018, die Dritte der Weltmeisterschaften von Peking 2015 und von Doha 2019 hängt im frisch verschneiten Boulder (Colorado) in den Rocky Mountains fest. „Sie ist, ganz Profi, rechtzeitig in die USA geflogen und dort geblieben“, sagt Heinig. „Auch sie muss sich jetzt neu fokussieren. Ein richtiger Olympionike kann nicht sagen: Ist doch egal.“
„Mein Herz blutet“, sagt Gesa Krause im Interview mit der Zeitung „taz“ über ihren Traum von einer olympischen Medaille, der sie jeden Tag angetrieben habe. „Natürlich nagt das jetzt an mir, und ich frage mich, wie ich es noch ein Jahr weiter schaffen soll.“ Ihre Leidenschaft Laufen mache sie aus, sagt sie im Gespräch mit der „Frankfurter Rundschau“: „Wenn ich sagen würde, das macht jetzt alles keinen Sinn mehr, dann ist die Frage: Was mache ich denn dann? Dann habe ich ja auch nichts zu tun.“
Heinig, seit Februar 69 Jahre alt und damit 42 Jahre älter als seine Läuferin, muss sich neu sortieren. Urlaub war erst für den Herbst vorgesehen, nach Olympia. Nun zwingt ihn das Coronavirus zur Untätigkeit. Gesa Krause solle nun in der Höhe von Boulder an der Grundlagenausdauer arbeiten, das hohe Level, das sie in Iten mit 160 bis 180 Kilometern pro Woche erreicht hat, stabilisieren. „Sie soll mit einem höheren Niveau rauskommen“, sagt Heinig, „wenn der Spuk endlich vorbei ist.“
Doch selbst eine so ehrgeizige Athletin wie Gesa Krause braucht Ziele und Sicherheit. „Ich erwarte, dass die Funktionäre auf internationaler und auf deutscher Ebene schnell sagen, dass die für Tokio 2020 erreichte Qualifikation erhalten bleibt“, sagt Heinig. „Es anders zu machen als die Kanadier, die Amerikaner und die Dänen wäre unfair.“ Veranstaltungen für den Herbst neu zu terminieren, wie es Dessau mit seinem Sportfest getan und es in die Woche vor dem Finale der Diamond League in Zürich und dem Istaf in Berlin im September gelegt hat, lobt er. „Das ist wichtig jetzt. Alles ruhen zu lassen wäre der falsche Weg.
Die Marathonläuferin Katrin Dörre lief 1988 zur Bronzemedaille der Olympischen Spiele von Seoul, drei Jahre später wurde sie Dritte der ersten Weltmeisterschaft, der von Tokio 1991. Wie ihr, seiner heutigen Frau, will Heinig auch Gesa Krause den Gewinn einer Olympiamedaille ermöglichen, dafür hat er mehr als drei Jahre über seinen Renteneintritt hinaus gearbeitet. „Auch für den Trainer ist eine Welt zusammengebrochen“, sagt er. „Ich muss mein Leben neu ausrichten.“
Hatte er nicht geplant, nach Tokio 2020 Schluss zu machen mit der Arbeit als Trainer? „Das entscheide ich nicht allein“, erwidert Heinig. Doch sicher ist er sich, dass er und Gesa Krause den Anlauf zu ihren dritten und wichtigsten Olympischen Spielen gemeinsam unternehmen werden.
Er fühle sich noch fit. Bald wird er wieder am größten Puzzle sitzen, das es derzeit für ihn gibt. Wenn es fertig ist, soll es eine Medaille für Gesa Krause ergeben.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 8. April 2020
Korrespondent für Sport in Berlin.