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Burnout- und Übertrainingssyndrom – eine aktuelle Übersicht – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Burnoutsyndrom
In den Medien nimmt das Thema Burnout (Ausgebranntsein) einen breiten Raum ein. Heute fühlen sich 12% aller Beschäftigten in Deutschland im Beruf überfordert.
Bisher gibt es allerdings keine einheitliche Definition des Burnout-Syndroms und auch in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) gibt es diese Diagnose nicht (Kaschka et al. 2011). In der ICD-10 werden im Anschluss an die Krankheitskapitel Problembereiche genannt, so in der Rubrik „Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ unter der Ziffer Z 73.0 „Burnout, Zustand der totalen Erschöpfung“.
Burnout muss als ein Risikozustand für nachfolgende psychische oder körperliche Erkrankungen angesehen werden (Berger et al. 2012). Burnout kann auch Folge einer spezifischen Erkrankung sein, z.B. Multiple Sklerose, Demenz, chronisches Schmerzsyndrom, Tumorerkrankung.
Die Medizin spricht dann von einem Syndrom, wenn zwar das gleichzeitige Vorliegen von Symptomen bekannt, die Entstehung (Pathogenese) aber ungeklärt ist. Unter Burnout wird ein Zustand emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und persönlicher Leistungseinbuße verstanden (Maslach 1982).
Obwohl Burnout in aller Munde ist, so hat es dieses Phänomen mit großer Wahrscheinlichkeit schon immer gegeben. Der Begriff Burnout geht auf den amerikanischen Psychoanalytiker Freudenberger (1974) zurück, der es als Reaktion auf chronischen Stress im Beruf beschrieb. Dabei erweist sich die Symptomatologie (Krankheitszeichen) von Burnout als sehr komplex und wenig spezifisch (depressiv und ängstlich gefärbte Erschöpfung mit psychosomatischen Reaktionen ohne organischen Befund: Herz-Kreislauf, Magen-Darm, Bewegungsapparat, Immunsystem, Schlaf usw.).
Als Einzelsymptome wurden bereits mehr als 130 verschiedene Beschwerden publiziert (Burisch 2010). Burnout-Prozesse können in jedem Beruf, an jedem Arbeitsplatz und in jeder Lebenssituation auftreten. In den meisten Fällen ist Burnout ein schleichend einsetzender und langwieriger Prozess.
Freudenberger (1982) erklärt die Entwicklung eines Burnout mit einem Phasenmodell (modifiziert):
- Zwang, sich zu beweisen,
- verstärkter Einsatz, extremes Leistungsstreben („brennen“),
- Überarbeitung mit Vernachlässigung eigener Bedürfnisse und sozialer Kontakte,
- Verdrängung von Konflikten,
- keine Zeit mehr für nicht-berufliche Bedürfnisse,
- zunehmende Verleugnung des Problems, abnehmende Flexibilität im Denken/Verhalten,
- Rückzug, Orientierungslosigkeit, Aggression, Zynismus,
- Leistungsverlust, Verhaltensänderung / psychosomatische Reaktionen,
- Verlust des Gefühls für die eigene Person/Bedürfnisse,
- innere Leere, Angstgefühle, Suchtverhalten,
- zunehmende Sinnlosigkeit und Desinteresse (Depression),
- Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Suizidneigung.
Als Ursachen (ätiologische Faktoren) werden persönlichkeitsbedingte (innere) und umweltbedingte (äußere) Faktoren verantwortlich gemacht (Kaschka et al. 2011, Glaser und Herbig 2012). Bei den inneren Ursachen sind zu nennen (Selbstverbrenner – aktives Burnout):
- hohe Erwartung an sich selbst (Idealismus, Ehrgeiz, Perfektionismus),
- starkes Bedürfnis nach Anerkennung (Dynamik, Zielstrebigkeit, Machtstreben),
- es anderen immer recht machen wollen, dabei eigene Bedürfnisse unterdrücken,
- nicht delegieren können/wollen,
- Einsatz bis zur Selbstüberschätzung und Überforderung,
- Arbeit als Ersatz für soziales Leben.
Als äußere Ursachen gelten (Opfer der Umstände – passives Burnout):
- hohe Arbeitsanforderung, Verantwortung und Zeitdruck,
- schlechtes Arbeitsklima, Mobbing,
- mangelnder Einfluss, wenig Autonomie,
- schlechte Kommunikation,
- Mangel an Feedback,
- fehlende Unterstützung/Anerkennung.
Es steht eine Reihe von Fragebögen für die Erfassung zur Verfügung. Am häufigsten wird das Maslach Burnout-Inventory (MBI) verwendet (Maslach et al. 1996). In psychiatrischen Fachbüchern findet man den Begriff Burnout nicht. Zweifellos liegen Überschneidungen mit bekannten psychiatrischen Diagnosen wie Depression oder Anpassungsstörung vor. Teilweise wird Burnout auch nur als Risikofaktor für die Entwicklung einer Depression angesehen.
Sehr häufig liegen aber alle Kriterien einer Depression vor, wenn von Burnout gesprochen wird. Nur klingt eben Burnout einfach moderner und hat nicht diesen stigmatisierenden Charakter wie eine Depression. Der Terminus wird teilweise als Ausweichdiagnose benutzt, weil psychische Krankheiten immer noch als Schwäche gelten. Burnout gilt in der Öffentlichkeit als Krankheit der Tüchtigen.
Offensichtlich liegt aber bei Burnout und Depression ein breiter Überlappungsbereich vor. Stationär behandelte Burnout-Patienten weisen in der Regel eine depressive Episode auf. Zwischen depressiven Patienten mit Burnout-Prozess und ohne Burnout-Prozess konnten jedoch keine deutlichen Unterschiede gefunden werden (Zaudig et al. 2012).
Das Problem liegt einfach darin, dass es zwar Symptomenkataloge für das Burnout gibt, die neurobiologischen Mechanismen, die dafür verantwortlich sind, aber noch weitgehend ungeklärt sind. Nach funktionellen Untersuchungen der Sympathicus-Nebennierenmark-Achse (SNM-Achse) und der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNRP-Achse) sowie verschiedener Neurotransmitter (z.B. Glutamat, Serotonin, Adrenalin, Noradrenalin) und Hormone (Corticotropin-releasing Hormon – CRH, Adrenocorticotrope Hormon – ACTH, Wachstumshormon, Schilddrüsenhormon) scheint die Fähigkeit zu einer angemessenen Stressantwort gestört zu sein.
Cortisol und Katecholamine haben tief greifende Auswirkungen auf die angeborene und adaptive Immunabwehr. Eine Verschiebung im Gleichgewicht dieser beiden Komponenten des Immunsystems erhöht das Infektionsrisiko und die Anfälligkeit für chronische Krankheiten (Schubert 2011).
Es finden sich nicht selten chronisch erhöhte Cortisolwerte und chronisch erniedrigte Testosteronwerte. Im späten Stadium sind häufig beide Werte auffällig tief, können aber auch völlig normal sein. Chronischer Stress verkürzt die Telomere und damit die Lebensdauer und schwächt die Aktivität der Telomerase (Blackburn u. Epel 2017).
Im Mittelpunkt der biologischen Depressionstheorien stehen die Neurotransmitter- und Rezeptorstörungen sowie Stresshormonerhöhung. Die auslösende Funktion von Stress für die Entstehung von Depressionen bei bestehender genetischer Disposition gilt heute als wissenschaftlich gesichert (Holsboer 2009). Unter Stress versteht man die Antwort eines Organismus auf jede Art von Beanspruchung. Positiven Stress (EuStress) erlebt eine Person, wenn Freude empfunden wird oder etwas Angenehmes eintritt. Unglück, Frustration und Krankheit führen zu negativem Stress (DisStress).
Die Reaktionen sind in beiden Fällen identisch, jedoch stellt nur der DisStress eine Bedrohung für die Gesundheit dar. Stress stellt außerdem etwas Individuelles dar. Dieselbe Belastung kann individuell als völlig unterschiedliche Beanspruchung empfunden werden (Fuchs u. Gerber 2018).
Die Interaktionen zwischen dem Immunsystem, Neurotransmittern und dem Tryptophan-Kynurenin-System sind entscheidende Komponenten für die Entstehung von Stress und Depression. Dabei spielen entzündliche Prozesse mit einem Anstieg von Zytokinen eine Rolle. Dies erklärt auch die antidepressive Wirkung des selektiven COX-2-Hemmers Celecoxib (Müller und Schwarz 2012).
Unsere Arbeitswelt hat sich verändert, es liegen eine zunehmende Arbeitsverdichtung, Flexibilisierung und Zeitarbeit mit damit verbundener Unsicherheit vor. Unsere Gesellschaft zeigt eine wachsende Anonymität und Unpersönlichkeit. Tatsache ist, dass in den letzten Jahren die Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen und die Verschreibung von Psychopharmaka deutlich zugenommen haben. Da eine valide Diagnostik fehlt, ist der Beitrag des Burnout hierzu unklar. Teilweise wird auch die Meinung vertreten, dass es keine Zunahme von psychischen Erkrankungen gibt, es erfolge nur eine frühere Feststellung und Behandlung.
Therapie
Zur Behandlung können in leichteren Ausprägungen des Burnout (Erschöpfung) Veränderungen der Berufs- und Lebensgewohnheiten (Coaching, Ordnungstherapie, Zeitmanagement – Work-Life-Balance, Arbeits-/Stress-Tagebuch) und Erholungsmaßnahmen (Entspannung, ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung, soziale Kontakte, Hobbys, Sport, Urlaub) helfen. Der Betroffene muss lernen, elementare Grundbedürfnisse seelischer und körperlicher Art nicht zu ignorieren und Autonomie wieder zu gewinnen (Forster u. Janda 2012; Bergner 2013).
In der Therapie des Burnout gilt eine der individuellen Belastbarkeit angepasste, auf aerobe Ausdauer gerichtete Bewegungstherapie (Bartmann 2009, Mösch 2010) als eine effektive Basismaßnahme (z.B. Lauftherapie). Körperliche Aktivität soll den Stoffwechsel der zerebralen Überträgerstoffe Serotonin, Dopamin und Noradrenalin positiv beeinflussen, Stresshormone (Cortisol, CRH, Katecholamine) abbauen und damit zu einer Stimmungsaufhellung führen (Aderhold und Weigelt 2012).
Die Therapieplanung sollte den Persönlichkeitstyp berücksichtigen, denn es fanden sich deutliche Hinweise für das gehäufte Vorliegen von Persönlichkeitsstörungen (Berberich et al. 2012). Persönlichkeitsstörungen stellen einen Risikofaktor für eine Chronifizierung der Burnout- oder depressiven Symptomatik dar. Liegen Persönlichkeitsstörungen vor, reicht eine Kurztherapie oder Beratung (Coaching) meist nicht aus (Gündel und Dammann 2012). Bei stärkeren Ausprägungen des Burnout-Syndroms sind meist Psychotherapie (kognitive Verhaltenstherapie) und auch Medikamente (Antidepressiva) erforderlich.
Die kognitive Verhaltenstherapie macht Einstellungen, Gedanken, Bewertungen und Überzeugungen bewusst, überprüft und versucht diese Erkenntnisse in eine konkrete Änderung des Verhaltens zu übertragen. Auch die achtsamkeitsbasierte Stressbewältigung wirkt unterstützend (Gustafsson et al. 2015; Fuchs u. Gerber 2018).
Bei einer echten Depression kann die Symptomatik durch mehr Schlaf verstärkt werden. Schlafentzug hat nämlich antidepressive Wirkung und wird in der Therapie auch praktiziert. Die Behandlung muss also individuell gehandhabt werden. Der Betroffene muss lernen, sparsam mit seinen mentalen und zeitlichen Ressourcen umzugehen sowie die notwendige Distanz zur Arbeit zu schaffen. Dabei können Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung unterstützend wirken. Die erforderlichen Erholungszeiten und die Durchführung von Regenerationsmaßnahmen scheinen in der Wirtschaft völlig vernachlässigt.
Ziel der Therapie kann es nämlich nicht sein, inakzeptable Arbeitsbedingungen und –anforderungen wieder tolerieren zu können, sondern es muss darauf hingewirkt werden, das Risiko einer arbeitsbedingten Wiedererkrankung zu minimieren. Präventiv können veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen über den Einfluss von Politik und Sozialpartner wirken.
Aderhold L, Weigelt S. Laufen! …durchstarten und dabeibleiben – vom Einsteiger bis zum Ultraläufer. Stuttgart: Schattauer 2012.
Übertrainingssyndrom
Das Übertrainingssyndrom ist ein Komplex von Symptomen wie er auch in ähnlicher Form beim Burnout-Syndrom auftreten kann. Hoher Leistungsdruck birgt die Gefahren einer physischen und mentalen Erschöpfung. Jeder 2. Leistungssportler fühlt sich durch extreme Anforderungen immer wieder ausgebrannt (Chen et al. 2009; Thiel et al. 2010; Gotwals 2011; Breuer und Hallmann 2013).
Ursache des Übertrainingssyndroms ist ein Missverhältnis von Trainingszustand und Trainingsbelastung durch zu hohe Umfänge und Intensität.
Aufgrund ungenügender Regeneration zwischen den Belastungen kommt es zur Leistungsstagnation bzw. –abfall, denn mit zunehmender Beanspruchung steigen proportional die notwendigen Erholungsaufwendungen (Kallus u. Kellmann 2000). Dabei ist die Summe der Belastungen, also auch die Stressfaktoren durch Beruf und soziales Umfeld, zu berücksichtigen. Selbst ohne schwerwiegende Fehler im Trainingsaufbau kann der Sportler an die Grenzen von Anpassung und Regeneration kommen, wenn z.B. Veränderungen am Arbeitsplatz oder im familiären Bereich eintreten. Hinzu kommt die eigene oder von außen aufgezwungene Erwartungshaltung (Fußinger 2010; Winsley u. Matos 2011; Sulprizio u. Kleinert 2014).
Besonders die hochmotivierten und ehrgeizigen Wettkämpfer unterliegen einem erhöhten Risiko, in ein Übertrainingsyndrom und Burnout zu geraten (Hill u. Curran 2016). Auch klimatische Einflüsse und Ernährungsumstellungen können eine Rolle spielen. Da die Belastungsgrenze für den einzelnen Menschen sehr unterschiedlich sein kann, gibt es keine allgemeingültigen Empfehlungen. Es kommt beim Übertrainingsyndrom zu einem sehr unspezifischen Reaktionsmuster, was diagnostische Probleme aufwirft.
Auch das Übertrainingssyndrom ist bisher nur in Ansätzen erforscht. Von der Psychoneuroimmunologie werden hier in Zukunft neue Impulse erwartet (Schubert 2011).
Man spricht dann von einem Übertrainingszustand, wenn trotz eines intensiven Trainings ein Leistungsabfall, frühzeitige Ermüdbarkeit und verzögerte Regeneration ohne erkennbaren krankhaften Organbefund vorliegen. In der englischsprachigen Literatur wird die mildere Form des Übertrainings als „Overreaching“ oder „Short-term-Overtraining (STO)“ bezeichnet. Die schwerwiegende oder Spätform wird „Overtraining“, „Long-term-Overtraining (LTO)“ oder „Chronic Fatique of the athlete“ genannt (van Look 2009). Raedeke (1997) formulierte das „Athlete-Burnout“ als ein multidimensionales Syndrom mit physischer und emotionaler Erschöpfung, Abwertung des Sports und sportlicher Leistungsunzufriedenheit.
Diese Form stellt den Endpunkt und schwerste Form des Übertrainings dar (Gustafsson et al. 2011). Hohe körperliche Belastungen, eine Vernachlässigung eigener Bedürfnisse, fehlende Autonomie sowie äußere Gründe wie Leistungsdruck und zu hohe Erwartungen wirken begünstigend. In neuerer Zeit werden weniger hohe Trainingsbelastungen als psychosoziale Faktoren als ursächlich vermutet. Im Zentrum steht die Erschöpfung, die auch mit einer Beeinträchtigung des Immunsystems verbunden ist (Gustafsson et al. 2011 u. 2018).
In Anlehnung an das Maslach Bournout Inventory (MBI) wurde zur Erfassung des Athleten-Burnouts das Athletes Burnout Questionaire (ABQ) entwickelt (Raedeke u. Smith 2001). Im Spitzensport wird bei 1-9% eine Burnout Symptomatik festgestellt (Gustafsson 2007; Gustafsson et al. 2007, 2017 u. 2018).
Im deutschen Schrifttum unterscheidet man zwei Arten von Übertraining, die von dem Sportwissenschaftler Israel (1958) beschrieben wurden.
Beim sympathicotonen Übertrainingssyndrom (Erregungsübertraining) sind der Ruhepuls und der –blutdruck erhöht. Auch nach Belastung kommt es zu einem verzögerten Abfall der Herzfrequenz und des Blutdrucks. Weitere Symptome sind:
- Kreislaufdysregulation mit Schwindel,
- Übelkeit,
- Müdigkeit,
- Schlafstörungen,
- Nachtschweiß,
- feuchte Hände,
- verminderte Leistungsfähigkeit,
- erhöhte Infektanfälligkeit,
- Gewichtsverlust,
- Schlafstörungen,
- Appetitmangel,
- Magen-Darmprobleme,
- verminderte Trainingslust,
- innere Unruhe,
- leichte Erregbarkeit,
- depressive Verstimmung,
- Zyklusstörungen,
- Libidomangel sowie
- Muskel- und Gelenkschmerzen.
Das parasympaticotone Übertrainingssyndrom (Hemmungsübertraining) ist schwieriger zu erkennen und ist von Hemmungsfunktionen, körperlicher Schwäche und Antriebslosigkeit geprägt. Unter Ruhebedingungen sind meist keine Störungen vorhanden, bei Wettkämpfen kommt es zu stark eingeschränkter Leistungsfähigkeit. Betroffen sind vor allem Ausdauersportler.
Heute nimmt man an, dass es nicht diese zwei verschiedenen Formen isoliert gibt, sondern dass sie nur zwei verschiedene Phasen des Übertrainingssyndroms darstellen. Es soll mit der sympathikotonen Ausprägung beginnen und dann nach einigen Wochen, wenn nicht mit Trainingsreduzierung reagiert wird, in die parasympathikotone Form übergehen.
Die genauen Ursachen der vielfältigen Symptomatik eines Übertrainingssyndroms sind bisher nicht bekannt. Es wird eine tiefgreifende Störung in der hormonellen Achse Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde angenommen. In der Folge werden Veränderungen im Aminosäurestoffwechsel, eine Überbeanspruchung des vegetativen Nervensystems, eine Störung der Energiegewinnung und eine Beeinflussung komplexer muskulärer Bewegungen durch Verschlechterung der neuromuskulären Übertragung vermutet.
Es ist eine ganze Vielzahl von Einzelaspekten und Hypothesen bekannt, nur fehlt die globale Erklärung. Aufgrund der vielfältigen Symptomatik gibt es auch keine genaue Abgrenzung zwischen einem Übertraining und einem Burnout, es liegen fließende Übergänge vor (Markser 2011).
Leider gibt es auch keine zuverlässigen diagnostischen Parameter, die ein Übertrainingssyndrom nachweisen (Urhausen und Kindermann 2000, 2002, Meeusen et al. 2006, 2013). Bei übertrainierten Athleten konnte eine Abnahme der Herzfrequenzvariabilität nachgewiesen werden (Hottenrott et al. 2006). Es wurden auch teilweise erniedrigte Gukokortikoidspiegel, verminderte ACTH-Freisetzung (adrenocortikotropes Hormon), vermindertes Ansprechen auf CRH (kortikotropes Releasing Hormon), verminderte Freisetzung von CRH, Testosteron und Katecholaminen festgestellt.
Bei einer ärztlichen Untersuchung müssen andere mögliche Ursachen für den Leistungsverlust wie Blutarmut, Störungen des Mineralhaushalts, Vitamin- und Spurenelementmangel, rheumatische Erkrankungen, Virus- oder bakterielle Infektionen (z.B. Epstein-Barr-Virus), Hormonstörungen, Herz-Kreislauferkrankungen oder auch eine Allergie ausgeschlossen werden. Bei der sympathikotonen Form des Übertrainingssyndroms ist z.B. eine Schilddrüsenüberfunktion auszuschließen, die ähnliche Symptome zeigen kann.
Das parasympathikotone Übertrainingssyndrom gleicht einer Nebenniereninsuffizienz. Bei Verdacht auf ein Übertrainingssyndrom können Bestimmungen der Werte von Cortisol, Testosteron, Adrenalin und Noradrenalin in Ruhe und Belastung, Harnstoff, Natrium, Kalium, Magnesium, Calcium und Kreatinkinase Hinweise liefern. Auch Defizite bei den Aminosäuren (Tryptophan, Phenylalanin,Valin Leucin, Isoleucin, Glutamin, Arginin u.a.) können vorliegen (Meeusen et al. 2013; Strunz 2016).
Therapie
Um ein Übertrainingssyndrom zu behandeln, muss zunächst der Zustand erkannt werden. Hier spielen das soziale Umfeld und der Trainer eine wichtige Rolle. Screening Tests und spezielle Stress-Resistenz-Trainings können helfen, Übertrainingszustände zu erkennen, zu vermeiden und zu therapieren (Carfagno u. Hendrix 2014; Sallen 2018). Der Sportler benötigt eine sportärztliche und psychologische Betreuung. Übertraining hat viele Gesichter. Häufig werden die Symptome missachtet und schlechte Leistungen mit überhartem Training versucht zu kompensieren. Der Sportler gerät in einen Teufelskreis. Meist geht die Leistung dann stark zurück.
Im Leistungssportbereich ist der Pfad zwischen Leistungsgewinn und Absturz sehr schmal. Die notwendige Regeneration wird oft vernachlässigt, was häufig zur Schwächung des Immunsystems führt und die Infektanfälligkeit erhöht (Purvis et al. 2010; Hackney u. Koltun 2012). Nur durch deutliche Reduktion von Trainingsintensität und –umfang und muskulären sowie mentalen Regenerationsmaßnahmen kann der Zustand überwunden werden.
Dabei kann die Dauer der notwendigen Erholungsphase sehr unterschiedlich lang ausfallen. Aktive Erholungsmaßnahmen mit einem Training geringer Intensität sind der absoluten Ruhe vorzuziehen (Trainingstagebuch). Ausgleichende Sportarten wie Schwimmen, Spielsportarten, Gymnastik, Massagen, Sauna und Kneipp-Güsse unterstützen die Regeneration. Förderlich sind auch ausreichend Schlaf, eine vollwertige Ernährung zum Ausgleich des Säure-Basen-Haushalts, die Ergänzung wichtiger Mineralien, Spurenelementen und Vitamine sowie ein Milieuwechsel.
Die kognitive Verhaltenstherapie und die achtsamkeitsbasierte Stressbewältigung wirken unterstützend (Schubert 2011; Gustafsson et al. 2015; Schubert u. Amberger 2017). Die Belastungen in Beruf und Familie müssen berücksichtigt werden und das zukünftige Trainingskonzept bzw. das Wettkampfziel ist zu überdenken. Das normale Trainingspensum soll erst dann wieder aufgenommen werden, wenn der Sportler sich körperlich und geistig erholt fühlt und Lust zur Belastung hat (Fullagar et al. 2015; Schwellnus et al. 2016).
Der menschliche Organismus ist ein komplexes offenes System und zeichnet sich durch ein Netz von Wechselbeziehungen aus. Jedes Individuum hat anlagebedingt Schwachpunkte oder auch Empfindlichkeiten. Kommt es durch eine lange chronische Belastung zu einer Dekompensation der Regulationsmechanismen, bilden sich insbesondere dort Symptome aus, wo genetisch bedingt eine geringere Kompensationsfähigkeit besteht, es entsteht ein chronisches Belastungssyndrom.
Als Ursachen kommen alle Faktoren in Betracht, welche die Regulation belasten: Stress, Infektionen, Umweltbelastungen, Fehlernährung, Bewegungsmangel oder körperliche Überlastung, psychische Belastungen usw. Häufig ist es einfach die Vielzahl der Belastungen, welche die Regulationsfähigkeit des menschlichen Organismus überfordert. Sensibilitäten (Vulnerabilität) oder Stärken (Resilienz) werden durch genetische Prädispositionen, Persönlichkeitseigenschaften, Stresserfahrungen, Erziehung, Ausbildung, Lebensstil und die sozioökonomische Situation beeinflusst, wobei psychosomatische und somatopsychische Reaktionen auftreten können (Rüegg 2011; Schubert 2011; Egle und Zentgraf 2012; Zaudig et al. 2012).
So kann es auch nicht weiter verwundern, dass durch dieselbe Belastung dispositionsabhängig verschiedene Symptome auftreten oder verschiedene Ursachen das gleiche Symptom hervorrufen. Die chronische Erschöpfung (Burnout) und das Übertrainingssyndrom sind nur zwei einer ganzen Reihe von chronischen Belastungssyndromen.
Weitere Beispiele wären das Chronische Müdigkeitssyndrom (Chronic fatique syndrome – CFS) und das Fibromyalgiesyndrom (FS). Auch zu diesen gibt es symptomatische Überschneidungen (Berg 2003). Belastungssyndrome treten in allen Lebensbereichen, Berufsgruppen, sozialen Schichten und Altersklassen auf und betreffen eben auch Sportler.
Beim Übertraining kann die sportartspezifische Leistungsminderung durch Leistungsdiagnostik gemessen werden, beim Burnout gibt es keine objektiv messbaren Werte (Van Look 2009). Bei beiden Syndromen liegt eine lang anhaltende Unausgewogenheit von Anforderungen und Ressourcen vor, wobei immer das Zusammenspiel diverser Faktoren zu einer Gefährdung führt.
In der Ätiologie werden neben infektiösen Ursachen auch neuroendokrine und biochemische Regulationsstörungen diskutiert. Chronischer Stress kann zu einer Störung des Regelsystems, das die Vernetzung von Hormonsystem, autonomem Nervensystem und Immunsystem kontrolliert, führen. Dadurch kann es zu Auswirkungen wichtiger neurovegetativer Funktionen und des Abwehrsystems kommen, was sich in unterschiedlichen Beschwerdekomplexen äußert.
Fazit:
Bei allen chronischen Belastungssyndromen ist eine individuell angepasste Behandlung am effektivsten. Die Aufgabe des Therapeuten muss es deshalb sein, die individuellen Belastungen zu verifizieren und zu minimieren, wobei je nach vorherrschenden Beschwerden verschiedene Fachdisziplinen gefragt sind. Die Forschungen der Neurobiologie und Psychoneuroimmunologie werden in Zukunft zu einem besseren Verständnis der Ursachen dieser chronischen Belastungssyndrome und deren Behandlung beitragen.
Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
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