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30
05
2018

Bewegung am Schreibtisch tut Körper und Seele gut - Deutsche Sporthochschule Köln - Foto: Dominik-Buschardt/DGUV

Bewegung am Schreibtisch tut Körper und Seele gut – Deutsche Sporthochschule Köln

By GRR 0

IFA und Deutsche Sporthochschule belegen physiologische und psychologische Effekte von dynamischen Arbeitsstationen

Köln, 30. Mai 2018 – Unsere Arbeitswelt wird immer digitaler; das bedeutet aber auch: Die Zahl derer, die im Sitzen arbeiten, steigt und damit die Gefahr von Gesundheitsschäden durch mangelnde Bewegung.

Das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) und die Deutsche Sporthochschule Köln haben in einer gemeinsamen Praxisstudie mit der Deutschen Telekom AG nachgewiesen, dass speziell bewegungsfördernde Arbeitsstationen im Büro nicht nur gut angenommen werden, sondern auch körperlich und psychisch förderlich sein können.

Nach Zahlen der Deutschen Krankenversicherung aus dem Jahr 2016 sitzen Deutsche mit Bürojobs durchschnittlich elf Stunden pro Tag. In Deutschland arbeiten inzwischen deutlich mehr als 40 Prozent der Beschäftigten an solchen bewegungsarmen Arbeitsplätzen. Hinzu kommen lange Anfahrtswege zur Arbeitsstelle. Und auch die Freizeitgestaltung ist immer öfter von Bewegungsmangel vor dem Fernseher oder dem Computer geprägt.

Die gesundheitlichen Folgen: chronische Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, ein erhöhtes Risiko für Typ-II-Diabetes, Übergewicht, Muskel-Skelett-Beschwerden durch körperliche Unterforderung und einseitige Haltungen, aber auch psychische Effekte wie depressive Verstimmungen oder Antriebsarmut.

„Marktübliche Konzepte zur Bewegungsförderung verknüpfen die Schreibtisch- und Computerarbeit mit leichten Radfahrbewegungen. Unsere Studienergebnisse zeigen, dass diese bewegungsfördernden Arbeitsstationen tatsächlich positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben“, sagt Professor Dr. Rolf Ellegast, stellvertretender IFA-Leiter.

„Wenn Beschäftigte die Arbeitsstationen nutzen verbessern sich Stimmung und Arbeitsbereitschaft merklich“, so Prof. Jens Kleinert, Leiter des Psychologischen Instituts der Deutschen Sporthochschule. Die Kölner konnten außerdem zeigen, dass die Effekte der Geräte von der Trainingshäufigkeit abhängen. „Dreimal pro Woche muss schon sein, damit das Wohlbefinden langfristig profitiert“, so Kleinert. Es scheint so zu sein, dass in diesen Fällen die regelmäßige Bewegung am Schreibtisch das Aufschaukeln von Stress- und Beanspruchungszuständen verhindern kann.

Auch körperliche Veränderungen waren in der untersuchten Gruppe von 30 Beschäftigten der Deutschen Telekom AG über einen Zeitraum von sechs Wochen an realen Arbeitsplätzen nachweisbar So waren Energieumsatz und Herzfrequenz der Testpersonen an dynamischen Arbeitsplätzen statistisch signifikant höher als bei normaler Arbeit im Sitzen. Ellegast vom IFA: „Die Weltgesundheitsorganisation fordert zur Gesunderhaltung von Erwachsenen mindestens 150 Minuten moderate bis intensive Aktivität pro Woche. Diese Forderung erfüllen die Probanden, wenn sie die untersuchten Arbeitsstationen täglich gut eine Stunde nutzen. Aus unserer Sicht haben damit solche Arbeitsplatzkonzepte das Potenzial, Übergewicht vorzubeugen.“

In der Studie, die auf Voruntersuchungen des IFA im Labor aufbaute, konnten die Forscher der Deutschen Sporthochschule zudem zeigen, dass Beschäftigte in der Praxis dynamische Arbeitsstationen gut annehmen und positiv bewerten.

Ellegast: „Bei unserem Studienpartner, der Deutschen Telekom AG, haben die Ergebnisse die Entscheidung begründet, zukünftig größere Stückzahlen solcher Arbeitsstationen einzusetzen. Wir hoffen, dass weitere Unternehmen diesem Beispiel folgen.“

Hintergrund:
Bewegungsmangel am Arbeitsplatz ist seit vielen Jahren ein bedeutsames Problem im Zuge der Veränderung des Arbeitslebens und wird auch in Zukunft hohe gesellschaftliche Relevanz besitzen. Daher hat sich das Psychologische Institut der Deutschen Sporthochschule bereits in den 90er Jahren mit diesem Thema (damals zur Bewegungspause am Arbeitsplatz) beschäftigt.

Die psychologische Betrachtung von Bewegungsförderung am Arbeitsplatz betrifft die psychischen Effekte von Bewegungsmaßnahmen und die Motivation zur Bewegung. Die psychischen Effekte sind sowohl langfristig beschreibbar (z.B. Steigerung der psychischen Gesundheit und Verringerung von Depressivität) als auch kurzfristig im Laufe des Arbeitstages (z.B. Reduktion von akutem Stress, Steigerung von Stimmung, Aktiviertheit oder Wachheit). Im Rahmen der Motivation zu Bewegung am Arbeitsplatz untersucht das Psychologische Institut Bedingungen der Akzeptanz (z.B. Einstellungen, Überzeugungen) und Bedingungen der Umsetzbarkeit (z.B. Verringerung von Barrieren oder Schwierigkeiten). Eine besondere Betrachtung betrifft soziale Umstände der Motivation, z.B. die Bewegung in Gruppen oder die Unterstützung durch Vorgesetzte oder andere MitarbeiterInnen.

Die Betrachtung dynamischer Arbeitsstationen (siehe aktuelle Pressemitteilung) ist eines von mehreren Projekten der Arbeitsgruppe Gesundheit und Sozialpsychologie (Leitung Prof. Jens Kleinert), die sich mit der gesellschaftlichen Problematik des Wandels der Arbeitsorganisation beschäftigt. Weitere Forschungsprojekte betrachten Bewegungsarmut bei Fernfahrern („Truck Active“) und „Stress bei Lehrkräften“ (im Rahmen der bundesweiten Qualitätsoffensive Lehrerbildung „Schulsport2020“).

Zur Abteilung Gesundheit und Sozialpsychologie am Psychologischen Institut:
Die Forschungsarbeit der Abteilung Gesundheit und Sozialpsychologie (Leitung Prof. Jens Kleinert) fokussiert vor allem zwischenmenschliche (d.h. interpersonale) Prozesse der körperlichen Aktivität oder des Sports. Zwischenmenschliche Beziehungen beeinflussen nicht nur die Motivation oder die Stress- sowie die Stimmungslage, sondern sind hierdurch auch die Grundlage von Verhalten und Leistung. Auf der Basis interpersonal ausgerichteter Theorien und Modelle entwickelt die Arbeitsgruppe um Prof. Kleinert Trainings- und Interventionsprogramme und evaluiert deren Effekte. Anwendungsbezüge der Forschung liegen vor allem im Gesundheits- und Rehabilitationssport, im Leistungssport, im Schulsport und im betrieblichen Kontext.

Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung:
Der aktuellen Feldstudie gingen Untersuchungen im Labor mit einem kleinen Probandenkollektiv von 12 Personen voraus (https://www.dguv.de/ifa/publikationen/reports-download/reports-2014/ifa-report-4-2014/index.jsp).

Die dabei ermittelten Ergebnisse sollten in der Praxis evaluiert werden, da der Kenntnisstand zur Nutzung innovativer dynamischen Arbeitsstationen in realen Büroumgebungen sehr begrenzt ist. Auch ist wenig zu den physiologischen und psychologischen Effekten solcher Bewegungsangebote in der Praxis bekannt, obgleich die Studienlage zu dynamischen Arbeitsstationen bis in das Jahr 1989 zurückreicht.

Ziel der Forschung war es deshalb, Nutzungseffekte und Nutzungsbedingungen im Feld zu untersuchen. Auch sollten verschiedene dynamische Stationen hinsichtlich dieser Aspekte miteinander verglichen werden. Dazu kooperierte das IFA mit der Sporthochschule Köln als Forschungspartner und mit der Deutschen Telekom AG, die Probanden und Büroumgebung stellte.

Die Studie bestand aus drei getrennten Untersuchungsteilen:

  1. Objektive Verhaltenserfassung zur Ausleihe und Nut­zung dynamischer Arbeitsstationen.
  2. Physiologische Untersuchung, um Beanspruchungsunterschiede zwischen Nutzung und Nicht-Nutzung zu messen.
  3. Psychologischer Untersuchung von drei Aspekten:
  • a.   Bewertung der Intervention (z. B. Nutzbarkeit, Handhabbarkeit, subjektiv erlebte Effekte)
  • b.   Befindlichkeitseffekte über die gesamte Interventionszeit (vorher/nachher)
  • c.   Unmittelbare Befindlichkeitseffekte eines einzelnen Nutzungszeitraumes.

Durch die Zusammenarbeit mit der Deutschen Telekom AG ergab sich die Grundgesamtheit der Teilnehmenden aus Beschäftigten des Unternehmens. Die Betroffenen arbeiteten in einer administrativen Abteilung der Konzernzentrale, wo sie mit Bildschirmarbeit und Lese- und Schreibaufgaben betraut sind.

Insgesamt nahmen 30 Personen (13 Frauen, 17 Männer) an der Untersuchung teil. Sie waren durchschnittlich 43 Jahre (SD = 11,5 Jahre) alt mit einem durchschnittlichen BMI von 24,4 (SD = 6,6). Die Teilnahme an allen Datenerhebungen war freiwillig und konnte jederzeit beendet werden. Zum Vergleich der Daten diente eine Kontrollgruppe aus einer weiteren Abteilung des Unternehmens.

Für den Zeitraum von sechs Wochen mit insgesamt 28 regulären Arbeitstagen standen den Teilnehmenden acht dynamische Arbeitsstationen zur Ausleihe zur Verfügung. Vier davon waren mobile Untertischgeräte mit einer elliptischen Beinbewegung. Die weiteren vier waren mobile Fahrradergometer mit einer aufrechten Sitzposition, die an höhenverstellbaren Schreibtischen eingesetzt werden können. Ein speziell entwickeltes System erfasste die Dauer der Geräteausleihe durch eine bestimmte Person. Fahrradsensoren registrierten die tatsächliche Länge der Nutzung.

Das IFA als ein Forschungsinstitut der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung will mit seiner Arbeit dazu beitragen, dass Berufsgenossenschaften und Unfallkassen ihren gesetzlichen Auftrag zur Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren erfüllen (vgl. Sozialgesetzbuch VII).

Mit der beschriebenen Untersuchung unterstützt das Institut innovative Maßnahmen zur Bewegungsförderung am Arbeitsplatz und damit die Verhütung arbeitsbedingter Bewegungsarmut mit Risiken u.a. für das Muskel-Skelett- und das Herz-Kreislauf-System.

Die untersuchten bewegungsfördernden Arbeitsstationen sind am Markt käuflich erhältlich. Dem IFA erwachsen aus den Studienergebnisse keine finanziellen Vorteile.

Univ.-Prof. Dr. Jens Kleinert

Psychologisches Institut

Tel.: 0221 4982-5490

E-Mail: kleinert@dshs-koeln.de

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author: GRR