Berlin historisch - 119. Deutsche Leichtathletik-Meisterschaften - Cover: Leichtathletik
Berlins DM-Geschichte – Rückkehr nach Berlin zu den FINALS Berlin 2019 – Kerstin Börß in Leichtathletik
Vor 21 Jahren war Berlin zum letzten Mal Austragungsort für die Deutschen Meisterschaften. Am letzen Wochenende kehrten die Leichtathleten zu den FINALS BERLIN 2019 nun endlich wieder ins Olympiastadion zurück – und damit an einen Ort mit einer langen Leichtathletik-Tradition.
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin – normalerweise erklingt dieser Schlachtruf in den Fußballstadien, wenn ein Spiel des DFB-Pokals läuft. Doch in diesem Jahr können auch die Athleten und Fans der Leichtathletik dieses Liedchen anstimmen. Schließlich wurde das Berliner Olympiastadion am letzten Wochenende zum Austragungsort der 119. Deutschen Meisterschaften.
Doch anders als beim DFB-Pokalfinale, das traditionell jedes Jahr in der Hauptstadt ausgetragen wird, muss man in den Ergebnislisten der Leichtathletik ein ganzes Stück zurückblättern, um auf die letzte Leichtathletik-DM in Berlin zu stoßen.
Vor mittlerweile 21 Jahren reiste die deutsche Leichtathletik-Elite zum letzten Mal für eine DM in die Metropole an der Spree. Damals begeisterte vor allem eine Berlinerin das heimische Publikum. Das Jahr 1998 – das letzte Jahr der alten Speere bei den Frauen – war das erfolgreichste Jahr in der Karriere von Tanja Damaske. Und den weitesten Wurf ihrer Karriere feuerte sie ausgerechnet bei der DM in ihrer Heimatstadt ab. 1997 war die Speerwerferin des OSC Berlin mit 67,12 Metern Dritte bei der Weltmeisterschaft geworden, bei den Deutschen Meisterschaften landete ihr weitester Wurf ein Jahr später bei 70,10 Metern.
Für die in Ost-Berlin geborene Damaske bedeutete das nicht nur den Meistertitel, sondern auch den ersten Rang in der Weltjahresbestenliste. Und ihre Erfolgsserie riss in jenem Sommer nicht ab. Wenige Wochen nach den Deutschen Meisterschaften krönte sie ihre Laufbahn mit der Goldmedaille bei den Europameisterschaften in Budapest. Dafür reichte ihr sogar eine um rund zwei Meter kürzere Weite.
Nürnberg statt Berlin
Während Tanja Damaske die gefeierte Frau bei der DM war, holte sich bei den männlichen Athleten Dieter Baumann den großen Applaus ab. Der Läufer startete sowohl über 1.500 Meter als auch über 5.000 Meter und war in beiden Wettbewerbe nicht zu schlagen. Auf seiner Paradestrecke, den 5.000 Metern, distanzierte Baumann, der damals noch für Leverkusen startete, den ebenfalls stark aufgelegten Berliner Stéphane Franke.
Als Baumann die Ziellinie überquerte, waren 13:20,56 Minuten verstrichen, bei Franke stoppte die Uhr nach 13:26,17 Minuten. Ein weiteres Duell, auf das sich die Zuschauer freuen konnten, war das, der bei den Stabhochspringer Tim Lobinger und Danny Ecker. Doch das Wetter in Berlin spielte nicht mit. Der Regen wollte einfach nicht stoppen.
In Absprache mit den Sportlern wurden die Wettbewerbe verlegt. Die Frauen mussten sich daraufhin fünf Wochen gedulden – bis zum Wettkampf in Riesa. Für die Männern ging es hingegen eine Woche später in Nürnberg weiter. Mit Verzögerung gewann dann Tim Lobinger, weit entfernt von Berlin, mit übersprungenen 5,92 Metern vor seinem Leverkusener Konkurrenten Ecker (5,80 m) den Kampf um den DM-Titel. Doch das war nicht die einzige Besonderheit der Deutschen Meisterschaften. Denn anders als bei den Meisterschaften, die vor jener schon in Berlin stattfanden, war nicht das Olympiastadion der Ort des Geschehens, sondern der Jahn-Sportpark im Prenzlauer Berg. Damit wird die nun anstehende DM sogar die erste im Olympiastadion seit 1986 sein, damals war Berlin zum vorletzten Mal Gastgeberstadt.
Und auch vor 33 Jahren war es eine Speerwerferin, die alle Blicke auf sich zog. Schließlich konnte die ehemalige Wattenscheider Athletin Beate Peters bei ihrem Erfolg mit 69,56 Metern die damalige nationale Bestmarke nach oben schrauben. Damit, dass einmal Athletinnen im Olympiastadion im Mittelpunkt stehen würden, war bei den ersten Malen, als Berlin Austragungsort von Deutschen Meisterschaften war, noch nicht zu rechnen. Schließlich wurden erst ab dem Jahr 1920 auch weibliche Titelträgerinnen ermittelt. Die erste DM in Berlin fand allerdings schon weit zuvor statt. Nach der DM-Premiere 1898 in Hamburg war Berlin 1900 Berlin das erste Mal an der Reihe – jedoch nicht als alleiniger Austragungsort.
Auch in Straßburg und Hamburg fanden Wettkämpfe statt. Anfang des Jahrhunderts sammelte ein Berliner Sprinter Erfolge und war auch bei Meisterschaften in seiner Heimat erfolgreich. Max Wartenberg von Britannia Berlin trug sich 1900 und 1901 in Berlin in die Siegerlisten über 100 und 200 Meter ein.
Im August 1908 war Berlin dann erstmals alleiniger Austragungsort der DM – und das nutzten die heimischen Athleten eindrucksvoll. Besonders die Sportler des SC Komet Berlin taten sich mit mehreren Titeln hervor. Unter ihnen war zum Beispiel Arthur Hoffmann. Er gewann gleich zwei Meistertitel im Weitsprung und im 100-Meter-Lauf. Während der Zeit des Ersten Weltkriegs war Berlin dreimal Austragungsort von deutlich reduzierten Meisterschaften – 1915, 1917 und 1918.
Ein bedeutender Leichtathlet war in diesen Jahren der Diskus- und Speerwerfer Heinrich Buchgeister, der wie so viele erfolgreiche Athleten dieser Zeit, für einen Berliner Verein startete. 1917 gewann er bei der DM in Berlin sowohl den Diskus als auch den Speerwurfwettbewerb. Noch heute ist in seinem Heimatort in Werl das Leichtathletik-Stadion nach ihm benannt.
DM-Titel und Olympiasieg
Obwohl ab 1920 auch Frauen bei den Deutschen Meisterschaften teilnehmen durften, musste das Publikum auf die ersten in Berlin gekrönten Deutschen Meisterinnen noch etwas länger warten. So entschlossen sich die Verantwortlichen 1925 dazu, die Wettbewerbe räumlich voneinander zu trennen. Die Männer kämpften in Berlin um die Titel, die Frauen in Leipzig und auch 1927 waren wieder nur die Männer in Berlin zu Gast.
Damals überzeugte besonders Helmut Körnig. Der mehrfache Medaillengewinner bei den Olympischen Spielen gewann über 100 und 200 Meter und stellte auf der längeren Distanz in 21,4 Sekunden auch einen neuen deutschen Rekord auf. Im Jahr darauf waren dann allein die Frauen zur DM in Berlin – und Lina Radke wurde der erste weibliche DM-Star des Olympiastadions.
Die Athletin des VfB Breslau gewann den 800-Meter-Lauf und siegte im gleichen Jahr auch bei den Olympischen Spielen in der Weltrekordzeit von 2:16,8 Minuten. Die Trennung der Geschlechter hatte bei der DM 1934 in Nürnberg ein Ende und 1935 waren in Berlin nun zum ersten Mal sowohl Frauen als auch Männer am Start. Das ist aber auch schon der einzige positive Aspekt, den man mit Blick auf diese DM erwähnen kann. Schließlich wurde den meisten jüdischen Athleten die Teilnahme verwehrt.
Von 1935 bis 1943 war Berlin – mit einer Ausnahme 1938 (Breslau/Wroclaw) – durchgehend Austragungsort der DM. Die herausragende Athletin in den 1930er-Jahren war Käthe Krauß, die über 100 Meter sechs Titel sammelte und außerdem auf der doppelten Distanz und im Weitsprung sowie im Fünfkampf erfolgreich war. Die DM 1943 war die letzte Meisterschaft zu Kriegszeiten. In den Ergebnislisten heißen die Vereine „Luftwaffen SV Stralsund“ oder „Luftwaffen SV Berlin“.
Fast Weltrekord
Nach dem Krieg ging es 1946 zur DM nach Frankfurt. 1952 war wieder Berlin Austragungsort – eine DM, die gleichzeitig eine Generalprobe für die Olympischen Spiele war. Eine Deutsche Meisterin und später Medaillengewinnerin von Helsinki war Marianne Werner. Nachdem die Athletin erst mit dem Diskus den nationalen Titel holte, gewann sie bei den Olympischen Spielen die Silbermedaille im Kugelstoßen. In den folgenden Jahren behielt Berlin den Status der „Generalprobe“ bei.
Denn auch 1956, 1960, 1964 und 1968 machte die DM jeweils in der Spree-Metropole Station – im schönen Vier-Jahres-Rhythmus. Während 1956 Manfred Germar und Inge Fuhrmann die erfolgreichsten Athleten waren, glänzte vier Jahre später der Sprinter Armin Hary als Doppelsieger. Außerdem gab es damals kurz vor den Olympischen Spielen in Rom noch fast einen Weltrekord im Weitsprung. Manfred Steinbach (VfL Wolfsburg) sprang 8,14 Meter – leider bei einem Rückenwind von 3,2 m/s. Den Titel holte er trotzdem, mit einer gültigen Weite von 7,93 Meter und verbesserte damit den deutschen Rekord. Allerdings nur bis zu den Olympischen Spielen. Dort sprang er 8,00 Metern – was jedoch nur für den vierten Platz reichte. 1970 und 1973 wurde mit dem Berliner Vier-Jahres-Rhythmus für die DM gebrochen.
Während Berlin in dieser Zeit also immer wieder Ort der Meisterschaften der BRD war, waren die Sportler aus der DDR nur zweimal in Berlin zu Gast (1957 und 1969), um dort um die nationalen Titel zu kämpfen.
Kerstin Börß in Leichtathletik vom 31. Juli 2019 – Nr. 31
PS: Nach dem 2. Weltkrieg fanden die Deutschen Meisterschaften in Berlin alle im Olympiastadion statt. Ausgerechnet im Beitrag erwähnten Jahr 1998 – zum 100 Jubiläum des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) – war der Austragungsort das Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion im vormaligen Ost-Berlin, das dann völlig verregnete.
DLV: Am Sonntag waren beeindruckende 34.350 Zuschauer im Olympiastadion.
Zusammen mit den 26.200 DM-Gästen des Vortages verfolgten insgesamt 60.550 Zuschauer die Wettkämpfe der Leichtathleten – die höchsten DM-Zuschauerzahlen in den letzten 40 Jahren.