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21
07
2019

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold - Foto: privat

Bedeutung des Gehirns bei Ausdauerleistungen – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

By GRR 0

Das Gehirn ist als Befehlsgeber und Steuerungszentrale (Central Governor) für Qualität, Quantität und Intensität der körperlichen Beanspruchung von Bedeutung.

Die hierfür zuständigen Gehirnregionen sind grundsätzlich bekannt. Durch Anwendung von bildgebenden Verfahren wie Positronenemissionstomografie (PET) und funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) sowie Anwendung von radioaktiven Isotopen, Elektroenzephalogramm (EEG) und Bestimmung von Neurotransmittern, Hormonen und endogenen Peptiden konnten Details zum Zusammenwirken von Hirnarealen gezeigt werden und neue Erkenntnisse über die Beziehungen zwischen Gehirn und körperlicher Arbeit gewonnen werden.

Immer wieder wird die Motivation als ein leistungsbegrenzender Faktor für sportliche Beanspruchungen genannt. Darunter versteht man die Antriebsintensität für eine bestimmte Aufgabe, die als psychologische Größe der Großhirnrinde entstammt.

Für eine hohe sportliche Leistung ist auch eine hohe Gehirnaktivität erforderlich.

Körperliche Belastungen führen nicht nur zu Anpassungen des Herz-Kreislauf-Systems und der Muskulatur, sondern auch der kortikalen Aktivität (Ludyga et al. 2015). Während einer Dauerbelastung steigt die Hirnaktivität zunächst an und fällt dann unter Ermüdung wieder ab. Vermutlich soll dadurch der Organismus vor Überlastung geschützt werden soll (Gronwald 2012).

Üblicherweise wird die Ausdauerleistung durch die Kapazität des Herz-Lungen-Systems, die Kapillarisierung der Arbeitsmuskulatur und das Mitochondrienvolumen bestimmt. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass eine zusätzliche Willensanstrengung tatsächlich noch vorhandene Leistungsreserven mobilisieren kann. Somit ist die Psyche der entscheidende leistungsbegrenzende Faktor. Experimente haben bewiesen, dass eine zentrale Ermüdung eintritt, bevor sich eine lokale Ermüdung einstellt. Inwieweit eine „Neurotransmittererschöpfung “ existiert, ist noch nicht ausreichend geklärt. Gleiches gilt für eine Ermüdungsauslösung durch „Tryptophanüberschwemmung“ des Gehirns.

Tryptophan ist der Ausgangsbaustein für Serotonin, das in bestimmten Gebieten des Gehirns Müdigkeit und Schlafbedürfnis fördert.

Wichtig dabei ist auch, dass das Gehirn fast die Hälfte der in das Blut freigesetzten Glukose verbraucht. Da das Gehirn keine Energievorräte anlegen kann, reagiert es auf Glukose- und Sauerstoffmangel besonders empfindlich.

Bei Glukosemangel kann das Gehirn Ketonkörper aus dem Fettsäureabbau als Energieträger verwenden. Unter hoher Belastung und Erschöpfung der Glykogenreserven kommt es über die Aktivierung der Myokinase-Reaktion zu vermehrter Ammoniak-Bildung. Erhöhte Ammoniakkonzentrationen tragen zur zentralen Ermüdung des Gehirns und somit zur Abnahme der Leistungsfähigkeit bei (Nybo et al. 2005; Graf 2012).

Merksatz
Offenbar muss man sich von den bisherigen Vorstellungen hinsichtlich der Leistungsbegrenzung auf hämodynamischer und metabolischer Basis trennen und dem Gehirn mehr Aufmerksamkeit bezüglich seiner leistungsbegrenzenden Rolle widmen (Jones u. Kilian 2000; Sgherza et al. 2002).

 

Laufen! – Vom Einsteiger bis zum Ultraläufer – Lutz Aderhold und Stefan Weigelt – Foto: Elsevier Verlag

Funktionen wie Absichtsentwicklung, Lenkung, Ausführung und Kontrolle einer muskulären Bewegung sind primäre Aufgaben des Stirnlappens des Gehirns. Dieser Bereich ist also der „Sitz der Exekutive“ mit einer steuernden und leistungsbegrenzenden Rolle. Zentrale und periphere Ermüdungsfaktoren lassen die muskuläre Reaktion abnehmen, wobei eine intensive Verzahnung der Funktionen von Gehirn, Herz-Kreislauf-System, Lunge und Skelettmuskulatur vorliegt (Hollmann et al. 2006).

Die Evolution hat uns mit einem Schutzmechanismus ausgestattet, der eine Leistungsreserve erhält, um in Extremsituationen (z. B. Kampf um das eigene Leben) handlungsfähig zu bleiben. Einen weiteren wichtigen Schritt zum Verständnis der Rolle des Gehirns haben Forscher der Universität Zürich gemacht (Hilty et al. 2011). Ihnen gelang der Nachweis, dass Nervenimpulse des Muskels motorische Areale im Gehirn, sprich Thalamus und insulärer Kortex, hemmen.

Diese Bezirke vermitteln dem Organismus eine Bedrohung. Dabei wird die Kommunikation zwischen dem insulären Kortex und dem primären motorischen Areal mit fortschreitender Ermüdung immer intensiver. Das neuronale System wirkt regulierend auf die Muskelleistung und macht einen Lernprozess durch. Dies bedeutet, je mehr man „kämpft“, desto mehr kann man auch „kämpfen“.

Merksatz
Untersuchungen haben gezeigt, dass Champions im Wettkampf positive, optimistische, zuversichtliche, gewinnorientierte Gedanken haben, während Verlierer bereits das eigene Versagen durchspielen (Draksal 2007). Gewonnen wird im Kopf, verloren allerdings auch.

Eine Steigerung im Grenzbereich der Leistungsfähigkeit entscheidet oft über Sieg oder Niederlage.
Unsere Gedanken beeinflussen ganz erheblich, auf welche Art und Weise wir unsere Umgebung wahrnehmen. Mit der Steuerung unserer Gedanken besitzen wir ein wirkungsvolles Hilfsmittel, um unsere Wirklichkeit zu beeinflussen (Havener u. Spitzbart 2010; Aderhold 2018).

Merksatz
Körper, Kopf und Umgebung unterstützen sich wechselseitig in ihrem Wirken. Dem Kopf kommt dabei die Funktion der zentralen Steuerungs- und Regelzentrale zu.

Dies erleichtert ein geordnetes und perspektivisches Handeln. Könner sind in der Lage, ihr Bewerten so zu regulieren, dass ihnen auch dann etwas gelingt, wenn sie mit höchsten Anforderungen konfrontiert werden (Eberspächer 2008).

Diese Zusammenhänge machen den Einfluss der Psyche gerade bei den langen Ausdauerwettbewerben deutlich. Neben der körperlichen Fitness ist die mentale Stärke ein wichtiger Faktor. Erst gibt der Kopf auf und dann der Körper. Motivation, Willenskraft, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit zum „Kampf“ sind das Geheimnis des Erfolges und verdeutlichen die Bedeutung von geistiger Einstellung und mentalen Trainingstechniken.

Dazu mehr im nächsten Beitrag.

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

Literaturverzeichnis

Aderhold L. Veränderte Bewusstseinszustände und Langstreckenlauf. https://germanroadraces.de/?p=101012

Draksal M. Mentale Marathon-Vorbereitung. Praktisches Arbeitsbuch für Laufeinsteiger & Fortgeschrittene. Leipzig: Draksal 2007.

Eberspächer H. Gut sein, wenn’s drauf ankommt. Erfolg durch mentales Training. München: Hanser 2008.

Graf C. Lehrbuch Sportmedizin. Basiswissen, präventive, therapeutische und besondere Aspekte. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag 2012.

Gronwald T. Hirnaktivität im Sport – Analyse der zentralnervalen Aktivierung während definierter Ausdauerbelastungen auf dem Fahrradergometer unter Normoxie und Hypoxie. Hamburg: Verlag Dr. Kovac 2012.

Havener T, Spitzbart M. Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten. Die Macht der Gedanken. Reinbek: Rowohlt 2010.

Hilty L, Jäncke L, Luechinger R, Boutellier U, Lutz K. Limitation of physical performance in a muscle fatiguing handgrip exercise is mediated by thalamo-insular activity. Hum Brain Mapp 2011; 32: 2151–60.

Hilty L, Lutz K, Maurer K et al. Spinal opioid receptor-sensitive muscle afferents contribute to the fatigue-induced increase in intracortical inhibition in healthy humans. Exp Physiol 2011; 96: 505–17.

Hilty L, Langer N, Pascual-Marqui R, Boutellier U, Lutz K. Fatigue-induced increase in intracortical communication between mid/anterior insular and motor cortex during cycling exercise. Eur J Neurosci 2011; 34: 2035–42.

Hollmann W, Strüder HK, Tagarakis CVM, King G, Diehl J. Das Gehirn – der leistungsbegrenzende Faktor bei Ausdauerbelastungen? Dtsch Z Sportmed 2006; 57: 155–60.

Jones N, Kilian KJ. Exercise limitation in health and disease. New Engl J Med 2000; 343: 632–641.

Ludyga S, Hottenrott K, Gronwald T. Einfluss verschiedener Belastungssituationen auf die EEG-Aktivität. Dtsch Z Sportmed 2015; 66: 113–20.

Nybo I, Daalsgrad MK, Stensberg, Möller K, Secher NH. Cerebral ammonia uptake and accumulation during prolonged exercise in humans. J Physiol 2005; 563: 285–90.

Sgherza AL, Axen K, Fain R, Hoffmann RS, Dunbar CC, Haas F. Effect of naloxone on perceived exertion and exercise capacity during maximal cycle ergometry. J Appl Physiol 2002; 93: 2023–28.

https://germanroadraces.de/?p=129138

author: GRR