Eluis Kipchoge - Foto: Victah Sailer
Aller guten Dinge sind vier: Eliud Kipchoge will es wissen – Jürg Wirz
Er ist seit 2014 ungeschlagen, hat in dieser Zeit acht Marathons gewonnen, darunter jenen an den Olympischen Spielen 2016 in Rio.
Außerdem hat er im Mai 2017 in Monza 42,195 Kilometer im Rahmen eines Werbe-Testlaufs in 2:00:25 Stunden zurückgelegt, zweieinhalb Minuten schneller als je ein Mensch vor ihm.
Keine Frage: Eliud Kipchoge ist der beste Marathonläufer aller Zeiten. Was ihm noch fehlt, ist der Weltrekord.
Im vergangenen Jahr machte ihm der Regen einen Strich durch die Rechnung. Die Witterungsverhältnisse ließen nicht das Tempo zu, das geplant war.
© SCC EVENTS/Petko Beier
Das soll sich in Berlin nun ändern, obwohl er mit dem für ihn typischen Understatement sagt: «Ich denke nur an eine persönliche Bestleistung. Wenn ich 2:03:04 laufe, bin ich zufrieden.» Wer nimmt ihm das ab? Wenn der Weltrekord jetzt nicht kommt, wann dann?
Sehr viel Zeit bleibt ihm dazu nicht mehr. Im Moment plant er seine Karriere bis zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio. Bis dahin möchte er auch noch die fehlenden Marathon-Majors in Boston, New York und Tokio zu seinen Erfolgen hinzufügen und nochmals einen Versuch unternehmen, unter «Laborbedingungen» die Zwei-Stunden-Grenze zu unterbieten wie schon vergangenes Jahr im Mai. Wann das sein wird, steht im Moment allerdings in den Sternen. «Der Aufwand ist für alle Beteiligten gewaltig, aber ich hoffe, ich bekomme nochmals eine Chance.» Irgendann wird auch er sein Leistungsniveau nicht mehr halten, geschweige denn verbessern können.
Man darf nicht vergessen: Der Kenianer, der in seiner Freizeit auch griechische Philosophen liest, blickt auf eine lange Karriere auf höchstem Niveau zurük:
Vor 15 Jahren, laut Geburtsschein noch als Junior, war er schon Weltmeister über 5000 Meter, von 2003 bis 2012 lief er die 5000 Meter mit Ausnahme des Jahres 2008 immer unter 13 Minuten. Dass er auf den Marathon umstieg, als er auf der Bahn noch absolute Weltklasse darstellte und nicht erst am Ende der Karriere, wie etwa Haile Gebrselassie, Paul Tergat oder Kenenisa Bekele, erklärt neben seiner Fähigkeit, sich wie kein anderer auf ein Ziel vorzubereiten, die beispiellose Dominanz.
Es gibt mehrere Gründe, warum es bis jetzt mit dem Weltrekord nicht klappte. Der wichtigste: Pech. 2015 in Berlin rutschten die Innensohlen nach wenigen Kilometern hinten aus den Schuhen. Jeder, der Marathon läuft, kann sich vorstellen, was das bedeutet. Gegen Ende des Rennens musste er das Tempo zurücknehmen und versuchen, weicher zu landen, weil die Beine bei jedem Schritt mächtig schmerzten. Trotzdem erreichte er das Ziel in 2:04:00, nur 63 Sekunden über dem Weltrekord. Im folgenden Frühling in London realisierte er erst auf den letzten Kilometern, wie nahe er dem Weltrekord war: Mit 2:03:05 verpasste er ihn um winzige acht Sekunden. Und dann kam das Jahr 2017. Mit der ihm eigenen Zielstrebigkeit bereitete er sich fast ein halbes Jahr auf den von seinem Sponsor Nike organisierten und wissenschaftlich begleiteten Versuch vor, als erster Mensch die 42,195 Kilometer unter zwei Stunden zurückzulegen. Am Schluss fehlten pro Kilometer ganze 0,6 Sekunden.
Vor dem BMW BERLIN-MARATHON im letzten Jahr war seine Form hervorragend. Doch ausgerechnet als es zum Gipfeltreffen der drei stärksten Marathonläufer kam, spielte das Wetter nicht mit. Zum ersten Mal nach sieben Jahren mit den Weltrekorden von Patrick Makau, Wilson Kipsang und Dennis Kimetto in Berlin verhinderten Regen, Wind und eine klatschnasse Straße den angepeilten Rekord. Für Eliud Kipchoge stoppte die Uhr nach 2:03:32 Stunden, 35 Sekunden über Kimettos Weltrekord. Die anwesenden Trainer und Manager waren sich einig: Wer bei diesen Bedingungen eine solche Zeit läuft, hat das Potenzial für eine «Sub 2:02». Der Maestro wollte sich an diesen Spekulationen nicht beteiligen und meinte nur: ««In der Vorbereitung auf einen Marathon kann man alles beeinflussen, nur das Wetter nicht. Was die Bedingungen betrifft, war das mein härtester Marathon.»
Am 22. April in London bot sich die nächste Chance. Im Vorfeld hatte er zwar nur davon gesprochen, er wolle ein «beautiful race» laufen, ein schönes Rennen. Von einem Rekordversuch sprach er nicht. Doch die Zwischenzeiten zeigten schnell, was er unter einem «beautiful race» verstand: 13:48 Minuten für die ersten fünf Kilometer (hochgerechnet ergibt das 1:56:27 h!) und 61:00 für die halbe Distanz! Die Spitzengruppe bestand da noch aus sieben Läufern. Einer nach dem anderen fiel zurück. Kenenisa Bekele benötigte für die zweite Hälfte fast 68 Minuten, Vorjahressieger Daniel Wanjiru sogar mehr als 69. Das Tempo war ganz einfach verrückt, denn inzwischen zeigte das Thermometer mehr als 20 Grad. Nach 30 Kilometern hatte Eliud Kipchoge nicht nur mit der Müdigkeit zu kämpfen, sondern auch mit Seitenstechen.
Das Ziel erreichte er in 2:04:17 trotzdem als souveräner Sieger. Aus seinem Umfeld war zu vernehmen, die Trainingsergebnisse seien sogar besser gewesen als in der Vorbereitung auf den Beaking2-Versuch in Monza und auf Berlin 2017. Sein Kommentar dazu: «Ich rede nicht gerne über die Vergangenheit. Wenn ein Rennen vorüber ist, denke ich ans nächste.»
Und nun? Die Vorbereitung sei gut verlaufen, sagt er. «Alles nach Plan.» Dass der viele Regen der letzten Monate ein Problem war, lässt er nicht gelten: «Ich trainiere, ich beschwere mich nicht.» Nach dem Motto «Never change a winning Formula» folgte er dem gleichen Programm wie vor seinen letzten Marathons. (Ein detailliertes Trainingprogramm von der letztjährigen Berlin-Vorbereitung findet sich unter «www.sweatelite.co/eliud.kipchoge-full-training-log.)
Auf die Frage, ob er mit seiner großen Erfahrung inzwischen selber entscheidet, was er wann macht, kommt die verblüffende Antwort: «Patrick Sang ist der Coach. Er bestimmt. Es gibt keine Diskussionen, was das Training betrifft. Er ist der Lehrer, ich bin der Schüler. Kennst du einen Hochschulprofessor, der die Vorlesungen mit seinen Studenten bespricht? Oder einen Doktor, der die Medikamente mit dem Patienten verhandelt? Patrick ist fürs Programm zuständig, ich für die Umsetzung.»
Eliud Kipchoge ist nicht nur der Größte, er ist auch der Besondere.
Obwohl inzwischen mehrfacher Dollar-Millionär, wohnt er mit seiner Frau und den drei Kindern nach wie vor in einem bescheidenen Haus.
«Meine Kinder sollen nicht anders aufwachsen als andere», sagt er.
Jürg Wirz