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22
03
2020

Hier gibt es auch in Zeiten von Corona Bewegung für Kinder und Jugendliche. Foto/Graphik: Alba Berlin

Alba animiert zur Bewegung : Schulsportstunde auf Youtube – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Die Corona-Pandemie sorgt auch für eine Bewegungskrise. Damit aber Kindern und Jugendlichen nicht die Decke auf den Kopf fällt, bieten die Trainer von Alba Berlin auf digitalem Weg Übungen an.

Schulen sind geschlossen, Kindertagesstätten haben zu, Sporthallen sind gesperrt und selbst Kinderspielplätze könnten geschlossen werden – das Corona-Virus sorgt auch für eine Bewegungskrise.

Beim größten deutschen Basketballverein, Alba Berlin, sind 120 Kinder- und Jugendtrainer, die Sport und Bewegung in 220 Kitas und Schulen von Stadt und Umland anbieten und allein in ihrem Klub siebzig Mannschaften betreuen, schlagartig ihrer Arbeitsgrundlage beraubt.

Etwa 10.000 Kinder und Jugendliche, die Tag für Tag mit ihnen zu tun hatten, sitzen nun für mindestens fünf Wochen zu Hause und wissen nicht, wohin mit ihrem Bewegungsdrang. Nicht nur die Profis des Klubs müssen, da Meisterschaft und EuroLeague pausieren und das gemeinsame Training ausfällt, sich etwas einfallen lassen, damit ihnen nicht die Decke auf den Kopf fällt.

Alba Berlin wird deshalb an diesem Mittwoch (10.00 Uhr), dem ersten Tag nach der Schulschließung in Berlin, zur ersten öffentlichen Schulsportstunde auf Youtube einladen – in die verwaiste Kabine der Alba-Profis in der Arena von Berlin. Freitagmittag soll dem Angebot fürs Grundschul-Alter von 45 Minuten Dauer die erste Kita-Sportstunde von dreißig Minuten folgen. Von Montag an wollen die Fachleute aus der riesigen Jugend-Abteilung des Klubs täglich für jede der drei Altersstufen – Kita, Grund- und weiterführende Schule – eine neue Sportstunde ins Netz stellen.

Sie will aus den eigenen vier Wänden eine Sportstätte machen, athletische und gymnastische Herausforderungen für Wohn- und Kinderzimmer anbieten. „Wir schaffen etwas, das definitiv auch in der Zeit nach der Krise Wert haben wird“, sagt Henning Harnisch, ehemaliger Basketballprofi und bei Alba Vizepräsident für den Jugendbereich.

Seit Jahren fordern Sport und Pädagogen die tägliche Sportstunde in der Schule. Nun, da die Schulen zwangsweise schließen, entsteht sie digital.

„Sie wird eine Diskussion darüber auslösen, wie altmodisch wir eigentlich mit den Kindern Sport machen und wie wenig wir das vernetzen“, prognostiziert Harnisch. „Vielleicht bin ich zu optimistisch. Aber vielleicht entsteht da eine neue Sportkultur.“

Der ehemalige Nationalspieler – Europameister mit Deutschland 1993 und neun Mal deutscher Meister mit Bayer Leverkusen und Alba – ist nimmermüder Vertreter einer Sportidee, die Training und Wettbewerb vom Diktat des Talents und der Bestleistung zu befreien sucht. Gewiss sollen dem Engagement von Alba bei der Jugend Nationalspieler wie die Brüder Moritz und Franz Wagner entspringen, von denen der eine gerade mit den Washington Wizards in der NBA pausiert, der andere mit dem Team der Universität von Michigan. Doch auch bei weniger Begabten soll sich mit Beweglichkeit und Fitness Lebensqualität durch Sport einstellen. Harnisch hat mit der Basketball-Academy vor Jahren ein Ausbildungssystem für seine Sportart entwickelt, das auf Videos basiert, in dem Profis dem Nachwuchs Bewegungen und Übungen steigenden Anspruchs zur Nachahmung vorführen 

Mit 150 Beschäftigten in der Jugend-Abteilung von Alba hat er ein Beispiel von public-private-partnership von Sport und Bildungsverwaltung geschaffen. Die digitale, per Mausklick abrufbare Schulsportstunde ist der nächste Schritt. Er dürfte ein Grund dafür sein, dass Alba-Geschäftsführer Marco Baldi derzeit nicht bereit ist, im Detail über die existenzbedrohende Krise der Sportklubs zu räsonieren. „Was ich an solchen Zeiten schätze“, sagt er über die Coronakrise. „Man erkennt Charaktere. Es gibt jetzt viel Anlass zur Klage, aber es ist auch die Zeit für Einfallsreichtum und pragmatischer Solidarität.“

Selbstverständlich beteiligen sich Trainer und Spieler der Alba-Jugend, deren Hallen und Geschäftsstelle im dicht bebauten Bezirk Prenzlauer Berg stehen, an der bundesweiten Initiative #NachbarschaftsChallenge, in der Jüngere Besorgungen für die gefährdeten Älteren erledigen. Zusätzlich erstellen sie, analog zum Unterricht in anderen Fächern, E-Learning-Programme für ihre Schülerinnen und Schüler sowie ihre Teams.

„Mode-Sport, Zeitgeist-Sport, alles, was Geld verdient mit Bewegung, arbeitet schon lange mit Bewegtbild im Netz“, sagt Harnisch. „Man muss sich fragen, warum sich noch niemand auf die Fahne geschrieben hatte, die digitalen Möglichkeiten zu nutzen, damit jemand Sportler werden und Sportler sein kann.“

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Mittwoch, dem 18. März 2020

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

author: GRR