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Adipositasprävention durch ein ernährungs- und bewegungsbasiertes Familienprogramm – Deutsche Sporthochschule Köln
Dicke Kinder werden zu dicken Erwachsenen, so wird landläufig behauptet. Studien bestätigen, dass die meisten Kinder und Jugendlichen mit Übergewicht auch noch im Erwachsenenalter zu viele Kilos mit sich herumschleppen.
Aber bekommen dicke Erwachsene auch dicke Kinder? Das Projekt ADEBAR (ADipositasprävention durch ein Ernährungs- und Bewegungsbasiertes FAmilienpRogramm), an dem die Deutsche Sporthochschule Köln beteiligt ist, nimmt die Phase der Schwangerschaft in den Blick.
Die Wissenschaft weiß mittlerweile, dass Übergewicht und Adipositas (sehr starkes Übergewicht) durch genetische Faktoren und durch den Lebensstil beeinflusst wird. Das heißt, sie kann erblich bedingt, aber auch von Umweltbedingungen geprägt sein. In der Medizin beschreibt der „Lebensstil“ vor allem gesundheitliche Aspekte wie das Bewegungs- und Ernährungsverhalten. Doch können regelmäßige körperliche Aktivität und Ernährungsberatung während der Schwangerschaft Adipositas vorbeugen? Dies festzustellen, ist das Hauptziel der ADEBAR-Studie.
Das Forschungsprojekt beruht auf umfangreichen Forschungsarbeiten und Datenauswertungen der letzten Jahre, nimmt gleichzeitig aber auch interessante neue Aspekte in das Studiendesign auf. „Die meisten der bisherigen Studien untersuchen den Effekt, den Lebensstilveränderungen bei Schwangeren haben. Wie sich Bewegung beziehungsweise die Kombination aus Ernährung und Bewegung von Mutter und Vater im Verlauf der Schwangerschaft auf die Gewichtsentwicklung des Kindes auswirkt – dazu gibt es bislang keine Studie“, erklärt Professorin Christine Joisten, Leiterin der Abteilung Bewegungs- und Gesundheitsförderung der Sporthochschule den Forschungsansatz. Joisten entwickelte gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Nina Ferrari das Studiendesign (siehe Abb. 1) und das Übungsprotokoll.
Doch wie viele Kinder sind überhaupt übergewichtig und warum?
Bundesweite Messwerte zu Körpergröße und -gewicht von Kindern und Jugendlichen im Alter von null bis 17 Jahren erfasst die KiGGS-Studie (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland). Als Grundlage dient der so genannte Body-Mass-Index, der das Körpergewicht eines Menschen in Relation zu dessen Körpergröße misst, und zwar im Verhältnis kg/m². Als übergewichtig gilt, wer einen BMI von 25 und mehr hat; von Adipositas spricht man ab einem BMI von 30. Laut der aktuellen KiGGS-Daten (2014–2017) haben 15,4 Prozent aller drei- bis 17-jährigen Mädchen und Jungen Übergewicht; 5,9 Prozent sind adipös. Dass Übergewicht langfristig gesundheitliche Risiken birgt, ist bekannt.Bereits im Kindes- und Jugendalter treten zahlreiche Begleiterkrankungen auf wie z.B. Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen. „Wir wissen, dass aus übergewichtigen Kindern nicht selten übergewichtige Erwachsene werden.
Daher ist es wichtig, sehr früh Gegenmaßnahmen einzuleiten“, erklärt Projektleiterin Dr. Nina Ferrari. Die Schwangerschaft sei hier ein Ansatzpunkt. Denn ein weiterer Baustein spiele in dem Konstrukt eine wichtige Rolle: „In Deutschland ist die Zahl der adipösen Frauen im gebärfähigen Alter in den letzten 25 Jahren gestiegen. Das Problem dabei ist, dass adipöse Schwangere ein erhöhtes Risiko für verschiedene Komplikationen während und nach der Schwangerschaft haben, zum Beispiel übermäßige Gewichtszunahme, Schwangerschaftsdiabetes und Bluthochdruck“, sagt die Wissenschaftlerin.
Neuere Untersuchungen gehen noch einen Schritt weiter. Sie nehmen an, dass sich der Organismus vor der Geburt (pränatal), während der Schwangerschaft (peripartal) und nach der Schwangerschaft (postpartal) an die jeweiligen Umweltbedingungen anpasst. Und sie rücken den Vater stärker in den Blick. „Neuere Studien weisen darauf hin, dass neben der Mutter auch der Vater – sowohl als erblicher Faktor als auch als Umweltbedingung – eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Adipositas im Kindesalter spielt. Deshalb haben wir den Vater in unser Interventionsprogramm aufgenommen“, sagt Prof. Christine Joisten.
Im Fokus der Betrachtung der Wissenschafler*innen stehen dabei die sogenannten Adipokine. Das sind Biomarker, die zum Beispiel die Nahrungsaufnahme, das Körpergewicht und den Stoffwechsel regulieren. Das Projekt untersucht, ob und wie sich diese Biomarker durch das Bewegungs- und Ernährungsprogramm verändern und somit die Entstehung von Adipositas beeinflussen.
Die Studie startete 2015 mit der Rekrutierung von übergewichtigen Schwangeren und ihren Familien. Nach und nach wurden Familien an den Untersuchungsstandorten Köln, Bonn, Düsseldorf und Leverkusen in das Programm aus Sporteinheiten und Ernährungsberatung eingeschlossen. „Es handelt sich um eine randomisiert, kontrollierte Studie, das heißt wir haben eine Interventionsgruppe und eine Kontrollgruppe. Die Familien der Interventionsgruppe nehmen zweimal wöchentlich an einem 90-minütigen Ausdauer- und Krafttraining und mehreren Terminen zur Ernährungsberatung teil.
Die Familien der Kontrollgruppe können an einem Entspannungskurs teilnehmen, erhalten sonst aber lediglich die übliche Schwangerschaftsvorsorge“, erklärt Dr. Nina Ferrari das Studiendesign. Das Training der Interventionsgruppe erstreckt sich – je nach Entbindungstermin – über eine Dauer von acht Monaten, d.h. idealerweise von der 13. bis 36. Schwangerschaftswoche. Zum Training gehören neben der Aufwärm- und Entspannungsphase Beckenbodenübungen, Walking oder Nordic Walking sowie Krafttrainingsübungen für die Hauptmuskelgruppen mit Widerstandsbändern oder Kurzhanteln. Zur Messung der körperlichen Aktivität tragen die Teilnehmerinnen zu verschiedenen Zeitpunkten in der Schwangerschaft einen Bewegungssensor (Actigraph).
Die Ernährungsberatung beginnt bereits in der achten Schwangerschaftswoche mit einem Vortrag und einer Analyse der individuellen Energiezufuhr (Ernährungstagebuch). Daran schließen sich weitere individuelle Beratungstermine und Gruppentermine an.
Bei Mutter, Vater und Fötus/Säugling/Kind werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten umfangreiche körperliche Messungen vorgenommen sowie Blut- und Speichelproben entnommen. Die so gesammelten Daten können anschließend über eine verblindete (anonymisierte) Datenanalyse ausgewertet werden. „Das primäre Ergebnis unserer Studie ist der BMI des Säuglings zwei Jahre nach der Geburt. Zu dem Zeitpunkt nehmen wir eine Differenz von 1 kg/m² zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe an“, skizziert Prof. Christine Joisten die Hypothese der Studie. Weitere (sogenannte sekundäre) Ergebnisse, die während der Schwangerschaft und nach der Geburt beurteilt und erfasst werden, sind u.a. Gewichtszunahme, schwangerschaftsbedingte Erkrankungen, Art der Entbindung, Körpermaße und Biomarker von Mutter, Vater und Neugeborenem und die altersgerechte Entwicklung des Säuglings und seiner motorischen oder sozialen Fähigkeiten.
„Bislang haben 27 Familien an dem Programm teilgenommen; 18 Frauen haben im Rahmen der Studie ihr Kind geboren“, beschreibt Dr. Nina Ferrari den Status quo. Die Studie läuft noch bis Ende 2021. Es werden nach wie vor Familien für die Teilnahme gesucht. Insgesamt sollen 30 Frauen in die Interventions- und 30 in die Kontrollgruppe eingeschlossen werden. „In einer unserer ersten Auswertungen zeigt sich, dass die Teilnehmerinnen von ADEBAR ihren Körperfettanteil bis zum Ende der Schwangerschaft halten. Es gibt bislang bezogen auf das Geburtsgewicht des Kindes keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen“, nennt Dr. Nina Ferrari ein erstes Ergebnis der Studie. Darüber hinaus habe bislang keine Probandin einen Schwangerschaftsdiabetes entwickelt.
Auch die Dauer, die sich die Schwangeren in moderater Intensität bewegten, sei konstant hoch geblieben. Erst zum Ende der Schwangerschaft reduzierte sich die Aktivitätszeit; sie blieb aber dennoch über der Mindestanforderung von 30 Minuten Bewegung pro Tag in moderater Intensität. Ob sich die Neugeborenen bis zum Alter von zwei Jahren in den beiden Untersuchungsgruppen unterschiedlich entwickeln, sollen weitere Datenauswertungen zeigen.
Den Abschlussbericht mit den finalen Ergebnissen planen Joisten und Ferrari gemeinsam mit allen Projektbeteiligten für Ende 2021.
Text: Julia Neuburg