Michael Reinsch - Foto: Horst Milde
Linda Helleland : Eine Frau als schlimmster Albtraum für Bachs IOC – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Russland, Doping und Korruption: Im Sport gibt es viele Probleme. Der Umgang damit durch die Sportverbände, insbesondere des IOC, wird oft kritisiert.
Nun folgt auf eine spektakuläre Rede der nächste Angriff.
Linda Helleland, Vizepräsidentin der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), fordert eine unabhängige Überprüfung des Umgangs mit der russischen Doping- und Korruptionskrise im Sport. Dazu solle eine unabhängige Persönlichkeit oder Organisation mit keinerlei Verbindung zum Sport berufen werden.
Die Norwegerin Helleland, Ministerin für Jugend und Gleichstellung sowie ehemalige Kulturministerin ihres Landes, will den Vorschlag bei der Tagung von Exekutiv-Kommitee und Gründungsrat der Wada in vier Wochen durchsetzen; die Website insidethegames.com berichtet über den Vorstoß.
Das Anti-Doping-System habe auf die Russland-Krise kleinteilig und verwirrend reagiert und damit das Vertrauen untergraben, dass die Wada und andere Sportorganisationen wirklich bereit, willens und fähig seien, saubere Athleten vor Doping zu schützen.
Der Vorschlag scheint eine Fortsetzung des Angriffs auf Sportverbände und insbesondere das Internationale Olympische Komitee (IOC) zu sein, denen Linda Helleland beim Symposion der Wada vor einem Monat in Lausanne in einer spektakulären Rede vorwarf, die Verfahren vor, während und nach den Olympischen Winterspielen von Pyeongchang hätten konfus gewirkt. „Wir müssen die Sportorganisationen unter Druck setzen, damit sie verstehen, dass Prozesse wie dieser die Glaubwürdigkeit der gesamten Anti-Doping-Gemeinschaft verringern“, sagte sie vor 900 Delegierten in Lausanne.
Spätestens seitdem gilt sie als Kandidatin für die Nachfolge von Wada-Präsident Craig Reedie, dessen Amtszeit 2019 endet. Dem einstigen Vizepräsidenten des IOC soll turnusgemäß ein Kandidat aus der Politik folgen. „Das IOC scheint noch keinen Kandidaten aus dem öffentlichen Bereich gefunden zu haben für die Wada-Präsidentschaft nächstes Jahr, aber das wird ihm noch gelingen“, kommentierte insidethegames.com.
Für das IOC wäre eine Helleland-Präsidentschaft der „schlimmste Albtraum, denn es würde die Kontrolle verlieren“. Der Vorstoß der Norwegerin wird nur wenige Tage nach dem Korruptionsverdacht gegen ihren Landsmann Anders Besseberg publik; dieser soll als Präsident der Internationalen Biathlon-Union (IBU) gemeinsam mit seiner deutschen Generalsekretärin Nicole Resch Doping-Fälle unterschlagen haben.
Laut Oberstaatsanwältin Ingrid Maschl-Clausen von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in Wien werde gegen insgesamt zwölf Personen ermittelt, gegen zwei davon wegen Korruptionsverdacht. Die „Sportschau“ der ARD berichtete zudem unter Berufung auf Ermittlungen der Wada, der Verdacht gegen Besseberg und führende Personen der IBU führe noch weiter:
Der Norweger wird verdächtigt, sich mit bezahlten Jagdausflügen in Russland und der Zuführung von Prostituierten bestechen lassen zu haben, zudem seien Stimmen von IBU-Funktionären für die Vergabe der Biathlon-Weltmeisterschaft 2021 an die sibirische Stadt Tjumen gekauft worden.
Linda Helleland will feststellen, ob künftig in einer ähnlichen Krise wie der russischen Mechanismen zur Verfügung stünden, um das Vertrauen der Öffentlichkeit dadurch zu erhalten, dass alle Athleten aus dem anscheinend korrupten System ausgeschlossen werden. Sie müsse sich auch mit Interessenkonflikten innerhalb des Anti-Doping-Prozesses befassen sowie mit der Frage, warum es so schwierig war, den Erkenntnissen verschiedener unabhängiger Kommissionen Anerkennung zu verschaffen. Sie spielt damit auf die McLaren-Kommission der Wada und auf zwei Kommissionen des IOC an, die nicht nur von russischen Politikern und Sportfunktionären kritisiert wurden.
Auch müsse untersucht werden, ob die Kritik am Sportgerichtshof Cas gerechtfertigt war, ob der Cas gestärkt und ob seine Verfahren verändert werden müssten. IOC-Präsident Thomas Bach hatte den Cas kritisiert, nachdem dieser Sperren für 28 von 39 russischen Sportlerinnen und Sportlern aufgehoben hatte, die das IOC für die Winterspiele in Pyeongchang verhängt hatte. Die Urteile sind bis heute nicht schriftlich begründet worden; der Cas hat die Begründungen für diesen Monat angekündigt.
Das Audit solle außerdem klären, welche Unterstützung durch die Anti-Doping-Gemeinschaft für eine konsistente Reaktion auf Doping-Krisen benötigt würde und wie diese realisiert werden könnte, fordert die Ministerin. Es müsse verhindert werden, dass unterschiedliche Organisationen auf dieselben Berichte unterschiedlich reagierten.
Deutlichster Widerspruch innerhalb des Sports war der Ausschluss der russischen Teilnehmer von den Sommerspielen in Rio 2016 durch den Welt-Leichtathletikverband (IAAF), während die russische Olympia-Mannschaft mit 282 Teilnehmern in 26 Sportarten antrat.
Weder in ihrer Rede in Lausanne noch in ihrem jetzt veröffentlichten Vorschlag erwähnt Linda Helleland das IOC direkt. Dennoch scheint sie sich als Gegenspielerin von Bach zu profilieren. Bach hatte stets argumentiert, dass der Schutz sauberer Athleten auch bedeute, dass solche aus Russland Startrecht erhalten sollten. Das IOC vertrat die Haltung, dass das Nationale Olympische Komitee von Russland durch das staatlich unterstützte Doping-System nicht belastet sei.
Drei Tage nach den Spielen von Pyeongchang hob es die Sperre für Russland auf. Die 169 russischen Teilnehmer, die das IOC eingeladen hatte, waren bei den Winterspielen als „unabhängige Athleten aus Russland“ gestartet. Linda Helleland scheint zu befürchten, dass die Schaffung der Internationalen Test-Agentur den Einfluss der Wada verringert. Sie fordert jedenfalls eine Stärkung der Wada. Es sei Zeit für eine „Roadmap“, hatte sie in Lausanne gefordert, eine Karte des Vertrauens.
Angesichts der nun bekanntwerdenden Vorwürfe gegen den Biathlon-Verband und die stockende Aufarbeitung in anderen internationalen Verbänden hat sich seither die Orientierungslosigkeit noch einmal erheblich verstärkt.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 17.04.2018