„Es bedarf dringend einer unabhängigen Anlaufstelle“: Die Vorarbeit zu einem Zentrum für Safe Sport ist gemacht. - Michael Reinsch - Foto: Horst Milde
Biathlon-Kommentar : Die nächste Spitze des Eisbergs – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Welche Bedrohung ist gefährlicher für den Sport: Doping oder Korruption? Wo gibt es die größeren Betrüger? Die aktuellen Ermittlungen im Biathlon geben darauf eine Antwort.
Welche Bedrohung ist gefährlicher für den Sport: Doping oder Korruption? Welches sind die größeren Betrüger: dopende Athleten oder käufliche Funktionäre?
Die Ermittlungen gegen den Präsidenten und die Generalsekretärin des Internationalen Biathlonverbandes (IBU), die mit Razzien am Verbandssitz und in Privathäusern am Mittwochabend bekanntgeworden sind, zeigen, dass sich das eine vom anderen nicht trennen lässt.
Wer den Sport verkauft, wie es Anders Besseberg und Nicole Resch getan haben sollen, verkauft sich mit Haut und Haaren – und Athletinnen und Athleten dazu.
Es war die Diskuswerferin Brigitte Berendonk, die unerschrockene Aufklärerin, die 1969 mit einem Zeitungsartikel über Anabolika-Doping von Frauen Alarm schlug unter dem Titel „Züchten wir Monstren?“. Es war der Steuerfahnder Jeff Nowitzky, der 2003 das Doping-Labor Balco und in der Folge Athleten von Marion Jones bis Lance Armstrong auffliegen ließ. Es war die russische Läuferin Julija Stepanowa, die sich gemeinsam mit ihrem Mann Witali ans deutsche Fernsehen wandte, als sie mit ihren Hinweisen auf systematisches Doping in der Leichtathletik ihres Landes nicht durchdrang. Die Reportage „Geheimsache Doping“, die im Dezember 2014 ausgestrahlt wurde, löste die Kettenreaktion aus, die nun auch die Sportart Biathlon erschüttert.
Die Flucht des betrügerischen Doping-Analysten Gregorij Rodtschenkow aus Russland nach Amerika gehört dazu, seine Verwandlung in einen Kronzeugen sowie der Oscar für einen Dokumentarfilm, der seine kumpelhafte Hilfe beim Dopen ebenso zeigt wie sein lebhaftes Erinnerungsvermögen.
Das Erbe der Olympischen Spiele von Rio 2016 und von Pyeongchang in diesem Jahr besteht auch in der Erinnerung an die frustrierende Diskussion über Teilnahme oder Ausschluss des russischen Teams. Die Wirkungslosigkeit des Schlussstrichs, den das Internationale Olympische Komitee mit der Aufhebung der halbherzigen Suspendierung der Russen ziehen wollte, zeigt sich nun im Fall Besseberg und Resch. Er erscheint als weitere Spitze des vermutlich gigantischen Eisberges von Manipulationen im Weltsport, zu denen auch Korruption im Fußball gehört.
Er habe nur an der Oberfläche kratzen können, schrieb Richard McLaren in seinem ersten Bericht über das Doping der russischen Leichtathleten, und jeder verstand, dass, wer Manipulation bekämpfen will, Sportart für Sportart, Land für Land dem Verdacht nachgehen müsse. Doch wer will das schon im Sport?
Die Wada ließ den Kriminaloberrat Günter Younger, freigestellt vom Land Bayern, eine Abteilung aufbauen, die Whistleblower anhört und professionell ermittelt. Wie im Fall des früheren IAAF-Präsidenten Lamine Diack, den er für die Wada bearbeitete, dürfte Younger die Staatsanwälte mit einem prägnanten Dossier davon überzeugt haben, sich dieser Sache anzunehmen. Das ist so viel überzeugender und wirkungsvoller als das, was der Sport am liebsten tut: Kommissionen einzuberufen, Ehrengerichte anzurufen, die Sache intern zu regeln.
Die Ermittlungen gegen Diack dauern bald drei Jahre. Immer noch ist nicht Anklage erhoben. Wäre der Fall in den Händen des Sports, wäre das Anlass zu Besorgnis. So aber gilt: Mit der Spitze des Eisberges geben sich Profis nicht zufrieden.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 13. April 2018
Michael Reinsch Korrespondent für Sport in Berlin.
Die Internationale Biathlon-Union steht im Fokus von Ermittlern.