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18
03
2018

Spannendes Mittelstreckenduell zwischen Florian Orth (vorne) und Timo Benitz : Foto: Wilfried Raatz - wus media

Wie Schmuddelkinder: Das Kreuz mit dem Cross – Die Geländeläufer klagen über den eigenen Verband – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

OHRDRUF. Elena Burkard klang, als sei der Lauf durch Matsch und Schlamm das Schönste. „Ich liebe den Cross. Und bin traurig, dass die Saison vorbei ist“, sagte die 25 Jahre alte Athletin, als sie am Samstag in Ohrdruf deutsche Meisterin im Querfeldeinlauf geworden war.

Titelverteidigerin Alina Reh war im tiefen Geläuf am Rande des Thüringer Waldes gestürzt und wurde Zweite. „Cross ist Kopfsache“, sagte die Siegerin. „Von Anfang bis Ende gilt es; man kann sich nicht locker reinrollen lassen. Ich komme aus dem Schwarzwald und renne gern Berge auf und ab.“

Wenn es damit mal getan wäre. Weil die sonnenüberfluteten Wiesen im Cross-Betrieb Hunderter Teilnehmer immer schlammiger wurden, karrten Helfer schubkarrenweise Mulch und Späne heran, um den Läufern Halt zu geben im tiefen Grund.

Wie am Bratwurst-Grill und am Stand mit Kaffee und Kuchen standen die Teilnehmer am Hochdruckreiniger Schlange, hier mit verschlammten und verkrusteten Schuhen in den Händen.

Kärchern gehört zum Cross.

Timo Benitz, der wie Elena Burkard im gelben Trikot der LG farbtex Nordschwarzwald siegte, hatte sich die Fußgelenke stramm bandagiert, um auf der zerfurchten Strecke nicht umzuknicken. „Das Schöne am Cross ist, es gibt nicht so viel Taktiererei“, sagte er. „Du läufst mit, bis du abfällst.“ Er blieb vier Kilometer lang dem Titelverteidiger Florian Orth auf den Fersen, dann spurtete er ins Ziel.

Als Flo auf der Strecke Gas gegeben hat, musste ich mehr investieren, als ich eigentlich gerade drauf habe“, beschrieb er den Kampf: „Und dann musst du das mit aller Gewalt stehen.“ Mehr geben als man kann? Wenn sich der innere Schweinehund im Dreck als äußerer zeigt, gilt das dem harten Kern der Laufszene als ultimative Charakterfrage.

Doch nur wenigen deutschen Spitzenläufern wurde dieser Test am Wochenende abverlangt.

Der Stern von Orth ging bei der Cross-Meisterschaft vor elf Jahren auf. Mit siebzehn gab er sein Debüt bei den Männern und lief auf Platz fünf. Als er nun auf der Mittelstrecke Zweiter wurde und beim Sieg seines Regensburger Vereinskameraden Philipp Pflieger auch noch Fünfter auf der Langstrecke, verpasste er zwar seinen zehnten deutschen Meistertitel.

Doch auch er bekannte rückhaltlos seine Liebe. „Auf der Bahn steht jeder mit der Stoppuhr. Hier ist es egal, ob ich 16, 17 oder zwölf Minuten laufe, und ob die Strecke exakt 4,1 Kilometer lang war, weiß auch niemand. Aber das ist, was die Leichtathletik ausmacht: Es zählt der Moment. Timo und ich haben Mann gegen Mann gekämpft, wir haben keinen Tempomacher gebraucht, der nach der Hälfte  der Strecke aussteigt. Im Cross gibt es das nicht, dass jemand ein Rennen gewinnt und trotzdem unglücklich ist, weil die Zeit nicht stimmt.“

Dennoch fühlen sich die Querfeldeinläufer als die Schmuddelkinder der Leichtathletik.

„Auf der Mittelstrecke sind wir üblicherweise die meisten Starter und die schnellsten Läufer auf der kürzesten Strecke; alle Superlative sind vereint. Vom 800bis zum 5000MeterLäufer treffen sich alle auf dieser Strecke“, klagte er. „Da ist es schade, dass ein Großteil der geförderten Kaderathleten schon in Flagstaff im Trainingslager ist. Sie hätten auch einen Tag nach dieser Meisterschaft nach Amerika fliegen können.“

Benitz stößt ins gleiche Horn. „Unsere Bundestrainer entwerten diese Veranstaltung“, sagt er. „Die Leute, die eigentlich für den Lauf stehen im Verband, machen die Meisterschaft kaputt.“

Die Trainer beraubten auch ihre Läufer eines wichtigen Tests, ist er überzeugt: „Vielen würde es die Augen öffnen, wenn sie hier liefen, was sie können und was sie nicht können. Wenn ich heute als Zehnter reingelaufen wäre, hätte ich gewusst, dass ich etwas nicht richtig gemacht habe in diesem Winter.“

Welchen Stand könnte der Lauf im Gelände haben in einem Land, das beim Marathon und anderen Straßenläufen Millionen auf die Beine bringt. In Äthiopien, in Kenia und auch in Großbritannien sind Cross-Meisterschaften nicht nur Sport, sondern Volksfeste.

„Wenn der DLV das wollte, könnte er aus dieser Veranstaltung viel, viel mehr machen“, glaubt Benitz. „Die Veranstaltung muss in eine große Stadt in den Tiergarten von Berlin, aufs Olympiagelände von München, dorthin, wo viele Menschen die besten Läuferinnen und Läufer Deutschlands aus der Nähe sehen wollen.“

Orth sieht es ebenso. „Laufen ist eine Massenbewegung, und unser Verband hat das verpennt“, klagt er. „Die Hobby-Laufszene hat sich meilenweit von der Stadion-Leichtathletik entfernt.

Cross und Straßenläufe wären eigentlich Schnittstellen, an denen man sie zusammen bringt.“

Das Kreuz mit dem Cross führt dazu, dass der Verband plant, seine Meisterschaft von 2020 an in die Woche vor Weihnachten zu legen, um die Kollision mit dem Höhentraining seiner Besten zu vermeiden. 2005 und 2006 gab es innerhalb von drei Monaten zwei deutsche Cross-Meisterschaften, weil der Verband die Meisterschaft aus dem Herbst ins Frühjahr verlegte.

In dem Plan verbirgt sich eine Belohnung für die unerschrockenen Läuferinnen und Läufer im Gelände. Wer im März 2019 die Meisterschaft gewinnt, behält seinen Titel mindestens bis Dezember 2020-21 Monate lang.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 12. März 2018

author: GRR

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