Radrennen - Foto: Marciolonga
RADSPORT: Talent und Fleiß allein reichen nicht – Die Karriere – ein Kreuzweg ohne Plan – Von KLAUS BLUME
Was sie auch antworten – sie stehen unter Generalverdacht. Radrennfahrer dopen doch. So, wie ihre Väter, ihre Großväter. Dennoch haben auch sie deren verrufenen Beruf gewählt: sie wurden Profi-Rennfahrer.
So, wie Rick Zabel, der Sohn der tief gefallenen Tour-Legende Erik und Enkel des – vor allem in Deutschlands Osten – immer noch gefeierten Friedensfahrt-Heros‘ Detlef Zabel. Wie 22- oder 24-jährige deutsche Rad-Profis auch immer ihren Beruf erklären, das Mißtrauen bleibt.
Welches Karriereziel er denn anstrebe, fragte bei den Weltmeisterschaften 2017 im norwegischen Bergen ein deutscher Reporter den 21jährigen Lennard Kemna. Der schmächtige Mann aus der norddeutschen Künstler-Idylle Fischerhude antwortete: „Würde ich jetzt sagen, ich wolle mal die Tour de France gewinnen, würde es immer heißen: Der Junge will mal die Tour gewinnen. Ich finde, das ist ein Druck, den ich mir selber nicht machen will.“
Natürlich wollten die Reporter viel lieber notieren: Ich, Lennard Kemna, will meinem großen Idol Jan Ullrich nacheifern. So etwas sagt Kemna aber nicht; schon deshalb, weil er noch in den Windeln lag, als Ullrich 1997 als bisher einziger Deutscher die Frankreich-Rundfahrt gewann.
Die jungen deutschen Rennfahrer sind auf der Hut, wenn sie Fragen beantworten. Hätte sich Kemna den Namen „Jan Ullrich“ als Vorbild entlocken lassen, die Reporter-Meute hätte ihn ohne Wenn und Aber ans Kreuz genagelt: Und hätte ihn verdächtigt, er gehöre wohl auch zu jenen, die verbotene Substanzen schlucken und spritzen würden – nur, um einmal ganz oben zu stehen.
Dann hätte man den üblichen Schluss gezogen: Nichts habe sich seit Lance Armstrongs und Jan Ullrichs Doping-Affären vor zwanzig Jahren geändert. So sei das im Radsport. Aus. Schluss. Feierabend.
Es ist in diesem Lande schon ein Kreuz mit der kräftezehrenden Schinderei auf zwei Rädern. Wer fragt nach? Wer differenziert? Weil niemand in Deutschland wirklich etwas vom Radsport verstehe, verurteile man dessen Akteure in Bausch und Bogen, diagnostiziert ein weit gereister Kollege aus der Schweiz. Ein Mann, der wie seine Landsleute, eine regelrechte Flut eidgenössischer Doping-Betrüger erlitten hat und dennoch – bei den ersten frühlingshaften Sonnenstrahlen – auf seinem frisch geöltem Velo an den mit Fahrrad-Utensilien ausstaffierten Schaufenstern, sei es der Bäcker oder der Metzger, der Uhr- und der Hemdenmacher oder der Juwelier, fröhlich vorbei zu radeln.
In Deutschland undenkbar.
Es verursache ihm geradezu Depressionen, wenn er sehe, wie in Deutschland dieser Sport verachtet würde, erregt sich der Flame Walter Godefroot – einst Directeur sportif des berühmt-berüchtigen Telekom-Teams. Einerseits, das habe er beim Tour-Start 2017 in Düsseldorf gehört, lechze man geradezu nach einem zweiten deutschen Tour-Sieger, andererseits traue man der ganzen Zunft nicht über den Weg. Was ihn, der einst selbst das Grüne Trikot des schnellsten Tour-Sprinters gewann, obendrein verdrießt: „In Deutschland zählt nur die Tour de France. Kein anderes dreiwöchiges Rundstrecken-Rennen, nicht der Giro d‘Italia, nicht die Vuelta a Espana, und erst recht nicht die Monumente des Radsports, die über einhundertjährigen Eintags-Klassiker. Man ignoriert sie einfach. Im Fernsehen, im Radio, in der Presse.“
Wer sie gewinnen würde, so die deutsche Sichtweise, habe es halt nicht bis zum Tour-Start gebracht. In Deutschland zähle nur die Grand Boucle, wenngleich es bei weitem nicht das anspruchsvollste Etappenrennen der Welt ist. In dieser oberflächlichen Einschätzung würden sich Deutsche und Amerikaner die Hand reichen.
Ein Rennfahrer so recht nach deutschem Geschmack wäre demnach Emanuel Buchmann aus Ravensburg, denn er gibt unumwunden zu: „Ich möchte mich zu einem starken Klassementfahrer entwickeln.“ Also zu einem Rennfahrer, der bei den großen dreiwöchigen Rundfahrten am Ende zu den Besten gehört. Hoffnung besteht.
Schon 2017 beendete Buchmann die Tour als bester Deutscher auf Platz 15. Weil daheim aber alle Welt nur auf Marcel Kittels Etappensiege starrte, nahm von dem Talent aus der deutschen Equipe Bora-hansgrohe kaum jemand Notiz. Dabei hatte er schon mit 22 Jahren seine erste Tour de France auf Platz 83 beendet, doch die Experten aus Spanien und Italien, Frankreich, Belgien, Holland, der Schweiz und Luxemburg hatten Emanuel Buchmann dennoch auf ihrem Zettel. Hatte dieses seltene Talent doch auf der elften Etappe, die über den legendären Col de Tourmalet führte, nach einer 108 Kilometer langen – von aller (Radsport)-Welt bewunderten Flucht – den dritten Platz belegt.
Doch auch dafür gab‘s in der Heimat kein Lob, obwohl mit Buchmann – erstmals seit Andreas Klödens Glanztaten – wieder ein deutscher Profi bei einer Frankreich-Rundfahrt auf einer Hochgebirgs-Etappe einen Podestplatz belegt hatte. Dem zweimaligen Tour-Zweiten Klöden – heute eine Legende der Szene – war Ähnliches als Tageszweiten 2013 in Le Grand-Bornand gelungen.
„Buchmann könnte einer sein, der bei der Tour mal Zehnter oder Zwölfter wird“, schätzt ihn Hans Holczer ein, ehedem Teamchef der untergegangenen Mannschaft Gerolsteiner und ergänzt: „Damit wäre er schon ein sehr guter Rundfahrer.“
Doch das hängt nicht allein von Buchmann ab. Es hängt vor allem davon ab, wie seine Teamleitung ihn einsetzt. Über dieses „Wie“ gibt es zwischen den Fahrern und der Teamleitung in keiner Mannschaft Diskussionen. Denn nicht einmal in den traditionellen Mannschaftsspielarten gibt es eine so straffe Hierarchie wie im Profi-Radsport.
Von der jeweiligen Teamleitung festgelegt, gilt sie seit mehr als einhundert Jahren als unantastbar. Am Beispiel Emanuel Buchmann aufgezeigt: Der Ravensburger tritt zwar für eine deutsche Equipe in die Pedale, doch deshalb ist er längst nicht dessen Kapitän. Vielmehr führen der zweimalige Weltmeister Peter Sagan aus der Slowakei und der Kletterspezialist Rafal Majka aus Polen diese Equipe an. Erst als Sagan 2017 bei der Tour ausgeschlossen und Majka aufgeben musste, hatte Buchmann freie Fahrt. Aber dieses Glück winkt ihm nicht jedes Jahr.
Oder da ist der Fall Lennard Kämna, ein inzwischen 22-Jähriger, der im letzten Herbst im norwegischen Bergen gemeinsam mit seiner deutschen Equipe Sunweb Weltmeister im Mannschaftszeitfahren geworden ist. Ob er aber im Juli 2018 zur Tour de France einrücken darf, hängst einzig und allein von der Form seines niederländischen Kapitäns Tom Dumoulin ab. Der Holländer will zuvor noch seinen Vorjahrssieg beim Giro d‘Italia verteidigen. Fühlt er sich danach stark genug, auch noch erfolgreich die Tour de France zu bestreiten, braucht er für den Kampf ums Gelbe Trikot Lennard Kämna an seiner Seite. Wird Dumoulin aber, weil vom Giro ausgelaugt, im Juli pausieren, wird auch Kämna wohl oder übel Urlaub nehmen müssen. Die Karriere – ein unberechenbarer Kreuzweg.
Es gibt im internationalen Radsport neben den deutschen Super-Stars Tony Martin, André Greipel, Marcel Kittel und John Degenkolb sieben junge deutsche Profis, denen ausländischen Fachleute eine glänzende Karriere voraus sagen – falls sie in ihren derzeitigen Mannschaften nicht ins Abseits gedrückt werden.
Wie zum Beispiel dem 23-jährigen Bocholter Phil Bauhaus. Er ist einer der Schnellsten der weltbesten Sprinter. Im Februar schlug Bauhaus, im Trikot des deutschen Sunweb-Teams, in Abu Dhabi Marcel Kittel – den Mann, der bereits 14 Etappen auf der Tour de France gewonnen hat.
Selbstbewusst verkündete Bauhaus: „Wenn die Umstände gut sind, glaube ich, dass ich jeden Sprinter schlagen kann. Es gibt niemanden, vor dem ich Angst habe. Für einen Sprinter wie mich ist das der einzige Weg, eine Chance zu haben, zu gewinnen. “ Wäre da nur nicht in seinem Team der schnelle Australier Michael Matthews. Dem Punkte-Sieger der letzten Tour muss er, so die Hierarchie im Team, nämlich sogar dann vorbei lassen, wenn er die bessere Tagesform als der Super-Star aus down under hat. Passiert das öfters, kann es ihm die ganze Karriere verhageln.
Aber es gibt ja im Profi-Radsport auch so genannte „Kompensationserfolge“ – also geschenkte Erfolge, mit denen vor allem junge talentierte aber erfolglose Kollegen belohnt werden. Beim belgischen Scheldepreis 2017, einem der anspruchsvollsten Eintagsrennen überhaupt, setzte sich der zweimalige Weltmeister Peter Sagan im Team Bora-hansgrohe uneigennützig für seinen 24-jährigen deutschen Teamkollegen Pascal Ackermann ein.
Ackermann, als Junior bereits Europa- und Weltmeister, erinnert sich: „Peter ist im Finale um mich herumgeschwirrt und hat mir permanent Tipps gegeben, wo ich mich am besten aufhalten, welche Straßenseite ich wählen soll. Wenn es auf eine Schlüsselstelle zuging, hat er mich kurz an sein Hinterrad genommen und ist vorgefahren, am Ende war ich Fünfter!“
Und daheim, im pfälzischen Minfeld, haben sie danach sogar eine schmale Straße in Pascal-Ackermann-Weg umbenannt. So etwas hat noch nicht einmal Jan Ullrich geschafft.
Klaus Blume
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