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08
03
2018

Michael Reinsch - Foto: Horst Milde

Stiftung FairSport : Athleten fühlen sich sauberer Wettkämpfe beraubt – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Viele Sportler sind unzufrieden. Das geht aus einer Umfrage hervor. Nun sollen Doper den Betrogenen Schadenersatz leisten: Die Stiftung FairSport entwickelt dafür derzeit eine Charta der Sportlerrechte.

Mehr als die Hälfte von mehr als zweitausend Spitzensportlern aus sechzig Ländern und fünfzig Sportarten fühlt sich des Rechts auf saubere Wettkämpfe beraubt und sieht ihre Verbandsführung in Interessenkonflikten. Das geht aus einer Umfrage der Stiftung FairSport hervor, die mit der Aufgabe betraut ist, eine Charta von Athletenrechten zu entwerfen.

Mehr als neunzig Prozent der befragten Spitzensportler wünschen sich demnach Transparenz bei der Führung ihrer Verbände und bei der Doping-Bekämpfung. Ebenso großen Wert legen sie auf Athletenrechte wie faires Gehör sowie schnelle, konsequente und nachvollziehbare Anwendung der Regeln. 97 Prozent der Befragten bestehen darauf, dass sie ein Recht auf sauberen Sport haben, der frei von Korruption, Zwang und Manipulation ist.

Die Initiative für eine Charta der Rechte und Pflichten von Athleten ist direkte Folge des russischen Doping-Skandals.

Als er aufflog, war die ehemalige Fecht-Weltmeisterin Claudia Bokel aus Deutschland Athletenvertreterin im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und die Kanadierin Beckie Scott, Olympiasiegerin im Skilanglauf, Athletenvertreterin in der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Ihr Vertrauen in das Anti-Doping-System sei zerstört, schrieben die beiden wenige Wochen vor den Olympischen Spielen von Rio im Sommer 2016 an IOC-Präsident Thomas Bach.

Mindestens ein Jahrzehnt lang wurden Tausende russische Sportlerinnen und Sportler gedopt; der Betrug gipfelte im staatlich organisierten Austausch von Doping-Proben bei den Olympischen Winterspielen von Sotschi 2014. Nirgendwo sei der Schutz von Athleten verbürgt, stellten die Athletenvertreter fest.

Deshalb haben die inzwischen aus dem IOC ausgeschiedene Claudia Bokel und Beckie Scott wieder zusammengefunden. Die Athletenvertreter der Wada beauftragten im vergangenen Jahr FairSport damit, eine Charta mit den Rechten und Pflichten von Athleten zu entwickeln.

FairSport hat sich der Aufgabe verschrieben, „Betrug im Sport auszurotten“. Zu ihren Gründern gehören der ehemalige Investment-Banker Jim Swartz und der viermalige Olympiasieger im Eisschnelllauf Johann Koss, Gründer der Hilfsorganisation Right to Play. Geschäftsführerin ist Claudia Bokel.

Die Umfrage ergebe, sagt sie, dass das Vertrauen der Athleten in die Strukturen des Sports nicht groß sei und eine Vertretung der Sportlerinnen und Sportler im internationalen Zusammenspiel fehle. Die Zusammenarbeit mit der Athletenvertretung des IOC – zu der nun die Fechterin Britta Heidemann aus Köln gehört – sei bislang nicht zustande gekommen.

Zusätzlich zur Zusammenarbeit mit der Wada baue FairSport eine Kooperation mit Nationalen Anti-Doping-Agenturen auf.

Angela Ruggiero, bis zum Ende der Olympischen Winterspiele von Pyeongchang am Sonntag Vorsitzende der Athletenkommission des IOC, begrüßt die Initiative. Alle Athletenvertreter sollten sich daran beteiligen, sagte die Eishockeyspielerin aus den Vereinigten Staaten dieser Zeitung, olympische, paralympische und nichtolympische; eine breite Basis sei erwünscht.

Die Athletenvertretung des IOC hat im November eine Steuerungsgruppe für die Erarbeitung einer Athleten-Charta gegründet; sie wird von der Mountainbikerin Sarah Walker aus Neuseeland geleitet und bittet Athleten auf der Website des IOC, sich einen Fragebogen zuschicken zu lassen und darin Wünsche und Anregungen zur Charta anzugeben. Wegen der Größe und Komplexität der Aufgabe gebe es keinen Zeitplan, sagt Angela Ruggiero; zehntausend Athleten seien eingeladen, sich zu beteiligen.

Die Umfrage von FairSport fand über einen Zeitraum von sechs Wochen statt und erhielt 2100 Antworten. Das ist eine bescheidene Basis, da allein an den Winterspielen von Pyeongchang 3000 Sportlerinnen und Sportler teilnahmen und an den Sommerspielen von Rio de Janeiro fast viermal so viele: 11 300. Andererseits erhielten Athleten so viele Umfragen von so vielen Institutionen, sagt dazu Silke Kassner, Athletensprecherin im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), dass dies alles im Alltag eines Athleten kaum zu bewältigen sei.

Aus Deutschland beantworteten lediglich 78 Sportlerinnen und Sportler den Fragebogen; sechs von ihnen sind Teilnehmer Paralympischer Spiele; von den insgesamt gut sechshundert Olympia-Teilnehmern von Rio und Pyeongchang nahm einer teil.

„Die Lebensleistung der Athleten wird nicht honoriert“

FairSport hat es sich zur Aufgabe gemacht, Whistleblower zu unterstützen, und bietet ihnen kostenlose rechtliche Vertretung an, Diskretion oder Beratung für den Umgang mit Medien, persönliche Betreuung und finanzielle Unterstützung. Der prominenteste Whistleblower, den die Organisation unterstützt, ist Gregorij Rodtschenkow, der aus Russland geflohene Hauptbelastungszeuge für das russische Staatsdoping. Das Engagement scheint notwendig.

Bei der Wada meldeten sich mehr Whistleblower, als deren Ermittlungsabteilung bewältigen könne, sagt Wada-Generalsekretär Olivier Niggli. 92 Prozent der von FairSport befragten Athleten gaben an, dass Whistleblower in Sachen Doping unterstützt werden sollten.

Die Charta könnte auch Regelungen zur Kompensation von betrogenen Sportlerinnen und Sportlern enthalten. 83 Prozent der Befragten haben sich dafür ausgesprochen, dass diejenigen, die betrügen, Schadenersatz gegenüber denen leisten sollten, die sie betrogen haben.

Silke Kassner weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Maßstab, nach dem in Deutschland die Zugehörigkeit zur Weltklasse und damit die Qualifikation für wichtige Wettbewerbe sowie die Höhe der finanziellen Unterstützung festgelegt werden, durch Doping verzerrt sein könne. Auch dies müsse kompensiert werden. „Man muss sich die Situation für den Athleten so vorstellen, als würde man von einem Piloten bei der Rallye ,Paris–Dakar‘ erwarten, das Rennen zu fahren ohne Öl im Getriebe“, sagt sie. „Die Lebensleistung der Athleten wird nicht honoriert.“

Am Mittwoch wurden Silke Kassner und Max Hartung, der Vorsitzende der Athletenkommission, im Sportausschuss des Bundestages in Berlin über die Zukunft der Athletenvertretung angehört.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 28. Februar 2018

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

author: GRR

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