IAAF statement to the 2013 World Conference on Doping in Sport ©LONDON 2012
Staatsdoping in der DDR – eine Einführung klärt über die Auswirkungen auf – Prof. Detlef Kuhlmann
Der geheime Staatsplan 14.25 der DDR-Regierung aus dem Jahre 1974 hat die Welt des Sports verändert und unzähligen Menschen in der damaligen DDR leiblichen Schaden zugefügt, an dessen Schmerzen sie bis heute zu leiden haben.
Die Folgegenerationen dieser geschädigten Sportlerinnen und Sportler sind darin eingeschlossen. Jetzt hat die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR über „Staatsdoping in der DDR“ (Haupttitel) „Eine Einführung“ (Untertitel) von 96 Seiten herausgegeben, die viel aufklärendes Material zur weiteren Aufarbeitung liefert und uns einmal mehr die leidvollen Auswirkungen dieser DDR-Körperkarrieren im Dienste des Staatsdopings auch mit wortreichen Dokumenten aus dem DDR-Staatsapparat drastisch vor Augen führen.
Schon im Vorwort von Anne Drescher als zuständige Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Mecklenburg-Vorpommern werden Art und Ausmaß des DDR-Staatsdopings prägnant auf den Punkt gebracht: „Die aufgezeichneten Gespräche mit Verantwortlichen spiegeln eine unfassbare Kälte und Gleichgültigkeit gegenüber Kindern und Jugendlichen wider, die der Dopingpraxis des streng geheimen Doping-Staatsplans 14.25 ausgesetzt waren. Pläne zur Leistungssteigerung im Spitzensport werden aufgestellt, gesundheitliche Risiken zur Seite gewischt, Forderungen auf Medaillen erhoben – ohne Rücksicht auf die Gesundheit und das Leben der jungen Leistungssportler“
Gings noch schlimmer?
Der Staatsplan 14.25 war nicht für die DDR-Öffentlichkeit bestimmt. Strengste Geheimhaltung unter allen Mitwissern und Mittätern war angesagt. Verantwortlich für die Durchsetzung zeichnete der Apparat der Hauptabteilung XX/3 des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin. Rund 15.000 Kaderathletinnen und -athleten wurden auf diese staatstragende Weise zum Zwangsdoping vereint und vereinnahmt.
Der dahinterstehende „Staatsauftrag“ war ebenso klar und wie aus Regimesicht überzeugend: „Der Welt wie der ostdeutschen Bevölkerung wurde angesichts der erstaunlichen Dauersiege Glauben gemacht, dass es das herausragende Fördersystem des Landes, seine einzigartigen Trainingskonzepte, die unübertroffene Betreuung der Athleten, aber auch die besondere Aufmerksamkeit des Staates, mithin die Überzeugung des Sozialismus seien, die das Sportwunder erst möglich machten“, schreibt Ines Geipel, selbst im DDR-System mit dem SC Motor Jena u.a. Weltrekordläuferin mit der 4x100m-Staffel und heute u.a. Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe (DOH) im Buch unter der Überschrift „Staatsplan 14.25“, mit dem der DDR-Führung seit Mitte der 1970er Jahre bis zum Mauerfall 1989 eine stasigesteuerte Totalüberwachung des Spitzensports im Land gelang.
Damit sollte auch einer einfachen politisch-sportlichen Gleichung zu noch mehr Gültigkeit verholfen werden: Viele Medaillen im Sport gleich viel Image des totalitären DDR-Systems.
Insgesamt 755 Olympiamedaillen, 768 Weltmeister- und 747 Europameistertitel (vergleiche diese Zahlen auf Seite 15 im Band) sollten am Ende von 40 Jahren DDR-Sport- und Dopinggeschichte dabei he-rauskommen.
Um welchen Preis?
Das können wir nun im Buch genauer nachlesen – sei es in der Auflistung über „Nachgewiesene Dopingschäden“ (Titel des Kapitels), wo von Organstörun-gen, veränderten Geschlechtsorganen, chronifizierter Suizidalität etc. etc. die Rede ist, oder in dem „Auszug aus der Geschädigtenliste des DOH“, wo unter den 50 von aktuell 1.350 Geschädigten z.B. von jenem 1957 geborenen und namentlich nicht genannten Leichtathleten die Rede ist, der während seiner Karriere u.a. bei Olympia Fünfter wurde und bereits 1993 mit Leberzirrhose und nach Versagen der Bauchspeicheldrüse verstorben ist.
Sehr viel ausführlicher sind aber die Auswirkungen einer DDR-Leistungssportkarriere in dem Abschnitt über „Betty M., eine Sportbiografie“ nachzulesen und nachzuempfinden, wo Ines Geipel über jene Schwimmerin des SC Empor Rostock erzählt, der als Kind am Beckenrand mitgeteilt wurde: „Dich machen wir zum Weltmeister!“. Auf dem Weg dorthin wurde Betty nicht nur in die 5. Klasse der Kinder- und Jugendsportschule am Rostocker Ostseestadion feierlich aufgenommen, sondern landete wenig später zur „Impfung“ auch in Kreischa, der zentralen Testeinrichtung des DDR-Sports.
„Wir spritzen deinen Rücken bombenfest“, lautete die angebliche medizinische Notwendigkeit für den Eingriff. Trotzdem fanden die Olympischen Spiele in Seoul 1988 ohne Betty statt: „Keine Leistungsentwicklung“. Eine gebrochene Sportbiografie mit 16 – mehr noch: „Es war ein krimineller Menschenversuch“ (S. 59), schließlich wurde Betty mehrere Wochen lang das gefährliche Wachstumshormon Sotropin H 10 gespritzt, das in der DDR aus den Hirnhangdrüsen von Leichen gewonnen wurde.
Der weitere Lebens- und Leidensweg von Betty ist auf den Seiten 58 bis 60 dokumentiert. Und dann sind da noch ihre beiden Kinder: „Katja wurde eine Borderline-Patientin, Stefan wurde mit offenem Bauch geboren. An der rechten Hand hatte er nur vier Finger“.
Prof. Detlef Kuhlmann
Die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes der ehemaligen DDR (Hrsg.): Staatsdoping in der DDR. Eine Einführung. Schwerin 2017; 96 Seiten (zu beziehen per E-Mail über post@lstu.mv-regierung.de) oder per Tel. 0385/734006)