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23
02
2021

Symbolbild - Foto: Horst Milde

Zum Neunzigsten von „Täve“: Gustav-Adolf Schur – der Unbeugsame – Von KLAUS BLUME

By GRR 0

Am liebsten kocht er sich Pellkartoffeln mit Brokkoli. Und marschiert danach tausend forsche Schritte, rund um einen Baggersee. Auf dem Rad sitzt Gustav-Adolf Schur, der ehemalige Rad-Weltmeister, derzeit nicht.

Knieprobleme – aber sonst gehe es ihm gut. Erzählt er. So wird er auch am Dienstag – mit Neunzig –  frohgemut seinen Geburtstag feiern. Inmitten seiner Familie. Und er wird an diesem Tag viele Briefe erhalten und noch mehr Anrufe. Denn noch heute ist „Täve“ ein ostdeutscher Volksheld, eine Identifikationsfigur ersten Grades.

Doch nicht im Westen. Denn Schur polarisierte in der Nachwendezeit. Ohne Wenn und Aber. Zweimal wurde ihm – dem vielleicht erfolgreichsten Radsportler Deutschlands – deshalb die Aufnahme in die gesamtdeutsche Ruhmeshalle des Sports verwehrt. Doch Schur gab auch dann nicht klein bei, blieb immer ein politischer Mensch, sowohl als Mitglied der DDR-Volkskammer (1958 bis 1990) wie des deutschen Bundestags (1998 bis 2002, für die PDS).

„Also trinken wir auf das Wohl der Arbeiter und Bauern der DDR, denen ich meine Erfolge zu verdanken habe“, wird er wohl auch ausrufen, wenn er jetzt seinen Neunzigsten feiert. Manche ehemalige Weggefährten erkennen darin den unverbesserlichen Stalinisten; er aber hält es für Unbeugsamkeit: „Ich bin in der DDR aufgewachsen, und habe ihr die Treue bewahrt, auch wenn es heute „in“ zu sein scheint, sich erst einmal für alles Mögliche zu entschuldigen, bevor man es wagt, Positives über die DDR zu sagen.“ Das bekennt er in seiner vor zehn Jahren erschienenen Autobiographie.

Diese ist vor allem bei den alten Kameraden aus der früheren SED hervorragend angekommen. Denn der zweimalige Rad-Weltmeister der Amateure (1958 und 1959) sowie zweimalige Sieger der Friedensfahrt 1955 und 1959 – des einst härtesten Amateur-Etappenrennens der Welt – ist auch heute noch der populärste Sportler der untergegangenen DDR: neunmal Sportler des Jahres – ein Rekord für die Ewigkeit – und Träger des Vaterländischen Verdienstordens in Gold; des seltenen Sondermodells mit Ehrenspange – ja, sogar ein Planetoid, ein Kleinplanet, wurde ihm zu Ehren benannt.

Denn die DDR-Staatspartei SED, in die er 1957 eintrat, bemühte sich frühzeitig, den rasenden Radler zum „Schmeling der Ostzone“ – so der frühere „Welt“-Karikaturist Hicks – aufzubauen. Dreist, weil Max Schmeling nicht nur wegen seiner boxerischen Extraklasse verehrt wurde, sondern vor allem, weil er versuchte, sich den Vereinnahmungen der Diktatoren des dritten Reiches zu widersetzen. Schmeling weigerte sich schon 1935 standhaft, sich von seiner tschechischen Frau Anni Ondra sowie seinem jüdischen Manager Joe Jacobs zu trennen. Auch von seinem jüdischen Freundeskreis distanzierte er sich zu keiner Zeit.

Schur hingegen reichte den Machthabern des zweiten deutschen Staates bereitwillig die Hand. Im Verbund mit – Zitat – „meinem alten Freund Klaus Ullrich Huhn“ verfasste er – als Rückblick auf dieses Leben – ein Buch, das von Geschichtsklitterung und Zynismus nur so strotzt. Zu oft hat Huhn offenbar dabei den Ton vorgegeben. Überall spürt man den gnadenlosen Polemiker, der einst das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ mitbegründete und 38 Jahre lang dessen Sportchef war. Fürs ND schrieb er unter dem Pseudonym „Klaus Ullrich“, für die Stasi spitzelte er unter dem Decknamen „Heinz Mohr“.

Dieses „Duo infernale“ langt gemeinsam voll hin. Die Alt-Genossen wollen uns noch immer weismachen, das Niederknüppeln des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 in der DDR habe der gerechten Sache gedient. Denn – Zitat – „wer Stefan Heyms ‚Fünf Tage im Juni‘ gelesen hat, weiß, dass Putschisten am Werke waren, dass der RIAS rund um die Uhr Streikaufrufe verbreitete“ – Zitatende. Kein Wort darüber, dass sich im deutschen „Arbeiter- und Bauerparadies“ (so die SED-Lesart)  ausgerechnet die Arbeiter erhoben hatten – wegen drastisch erhöhter Arbeitsnormen.

Jubelnd erinnert sich Schur auch an 1956 – wörtlich sagte er: „In Ungarn waren sowjetische Truppen einmarschiert, bereiteten dem Morden konterrevolutionärer Putschisten ein Ende und setzten die Regierung unter Janos Kadar wieder ein.“ Ausgerechnet Kadar, unter dessen erneuter Führung mehr als tausend Menschen hingerichtet und noch mehr inhaftiert wurden.

Und der Sport? Zynisch kontern Schur und Huhn in ihrem Buch, die als Tatsache feststehenden Dopingpraktiken der DDR würden – Zitat – „durch pausenlose Wiederholung auch nicht glaubwürdiger“. Als Kronzeugin führen sie die Alt-Kommunistin Ruth Fuchs an. Die Ex-Speerwerferin habe 1991 im Sportausschuss des Bundestages plausibel erklärt, wie es sich wirklich verhalten habe. Fuchs damals wörtlich: „Die Anti-Babypille […] enthält hormonelle Stoffe, die denen in den sogenannten Dopingpillen sehr ähneln.“ Warum wurde dann ausgerechnet ihr Ehemann und Trainer Karl Hellmann in den DDR-Akten als kundiger Doping-Spezialist aufgeführt? Doch nicht aus Versehen.

Aber „Täve“ kann schreiben, was er will – Jubel ist ihm zumindest im Osten immer sicher. Denn „Täve“ sieht sich auch mit Neunzig als sozialistisches Vorbild: Er trinke nicht, rauche nicht, esse jeden Morgen warme Haferflockensuppe, um die Magenwände zu stärken. Ein echter Held.

Vor vielen Jahren stand er in der Gluthitze der Tour de France urplötzlich neben mir. Ich trug an jenem Tag, wegen der Hitze, zum ersten Mal kurze Hosen, und „Täve“, der mit einer Reisegruppe aus Ostdeutschland gekommen war, frotzelte mich: „Wenn wir dich schon zum Klassenfeind schicken, solltest du wenigstens ordentliche Hosen anziehen.“

Er kannte meine politische Einstellung ganz genau, doch das spielte bei unserem Wiedersehen überhaupt keine Rolle. Er wusste, dass ich nie seine Ansichten teilen würde, dass ich es ihm aber stets hoch anrechnen würde, dass aus ihm nie ein Wendehals geworden war. Dass wir uns weiterhin frotzeln, hat – weiß Gott – nicht nur etwas mit unserer anhaltischen Nachbarschaft zu tun.
 
Klaus Blume
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