Blog
08
02
2021

„Ich wusste, dass es in mir schlummert“: Torben Blech - 2019 World Outdoor Championships Doha, Qatar Sept27-Oct 06, 2019 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com

Leichtathlet Torben Blech: Deutscher Sternenflieger im Stabhochsprung – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Die Eleganz eines waschechten Stabhochspringers wird Torben Blech als früherer Zehnkämpfer nicht mehr erreichen. Dafür überzeugt das Kraftpaket mit anderen Talenten und demonstriert einen beeindruckenden Leistungsanstieg

„Komm mit, wir fliegen“, singt Torben Blech, „zu den Sternen und zurück.“ Er schunkelt dazu mit angelegten Ellbogen, seine Hände fahren durch die Luft. „Wir überlegen nicht lang, und dann finden wir das Glück.“ Blech ist Stabhochspringer, und das Lied der kölschen Band Kasalla – dessen Text selbstverständlich nicht hochdeutsch ist – hat er zu seiner Hymne gemacht. Zu und mit „Stäänefleejer“ steigerte Blech seine Bestleistung in diesem Winter auf 5,86 Meter. Das dürfte ihn darüber hinwegtrösten, dass Karneval in diesem Jahr aus Gründen der Kontaktbeschränkung ausfällt.

Blech braucht nicht Karneval und nicht Karnevalsschlager, um auszubrechen aus dem Alltag, im Gegenteil. 25 Jahre alt, Psychologiestudent an der Uni Köln, steigert sich der ehemalige Zehnkämpfer seit drei Jahren in den Stabhochsprung hinein. Das bewusste Abheben, die Überwindung der Schwerkraft erfordert bei 1,93 Meter Länge und rund 85 Kilo Gewicht besondere Entschlossenheit. Er merke, erzählte Blech, als er am Freitagabend beim Istaf Indoor von Berlin, getragen von den Humba-Klängen aus Köln, 5,80 Meter überflogen hatte, dass er vor seinen Sprüngen manchmal zu aggressiv werde.

„Duplantis ist in einem anderen Universum unterwegs“

Die Musik mache ihn fröhlich und locker. Und so flog er in Berlin wie am Sonntag zuvor in Düsseldorf entspannt auf Platz zwei des Wettbewerbs. Konnte er am Rhein zum Schluss nur noch dem Überflieger der Branche, dem aus Louisiana in den Vereinigten Staaten stammenden Schweden Armand Duplantis, nachschauen, als dieser 6,01 Meter überflog, blieb er in Berlin auf einer Höhe mit Ernest John Obiena von den Philippinen: 5,80 Meter. Bei der Universiade von Neapel 2019 hatten die beiden um den Sieg gekämpft.

„Duplantis ist in einem anderen Universum unterwegs“, sagt die Leitende Bundestrainerin Christine Adams. Wie zur Bestätigung steigerte dieser in Rouen in Nordfrankreich seine Bestleistung dieses Winters auf 6,03 Meter. Fünfzehn Zentimeter höher ist er vor einem Jahr schon geflogen. Damit ist er ziemlich allein über den Wolken. Allein der Franzose Renaud Lavillenie erreicht ebenfalls diese Dimension. Lange hielt er mit 6,16 Metern den Weltrekord, vor einer Woche überflog er 6,02 Meter. Hinter den beiden sei alles offen, findet Christine Adams.

„Die Spitze ist enger geworden“, sagt sie. „Aber es sind nicht mehr als früher, die sechs Meter springen.“ Klar: Auch die Jungs, die sie in Leverkusen trainiert, verfügten über das Potential, in diese Höhe vorzustoßen: Torben Blech und Bo Kanda Lita Baehre, der eine 25, der andere erst 21 Jahre alt (mit 5,81 Meter Bestleistung). „Irgendwann“, sagt die Trainerin, „das ist das Ziel. Erst mal wollen wir die Olympischen Spiele hinkriegen. Wir machen einen Schritt nach dem anderen.“

„Ein technischer Quantensprung“

Das geht einerseits ziemlich schnell. Erst 2019 konzentrierte sich Blech auf den Stabhochsprung und hatte sofort, mit Platz zwei bei der Team-Europameisterschaft in Bydgoszcz und der Universiade, Erfolg. Andererseits stagnierte er im vergangenen, dem verhinderten Olympia-Jahr. „2020 habe ich brutal hart gearbeitet“, erzählt er. „Physisch war ich selten zuvor so gut drauf, auch zu Zehnkampfzeiten. Ich wusste, dass es in mir schlummert. Es war eine Frage der Zeit, bis es explodiert.“

Immer noch, so scheint es, erkennt man in dem 1,93 Meter langen Kraftpaket den Zehnkämpfer. „Was er zeigt, ist fast schon ein technischer Quantensprung“, sagt Trainerin Adams. „Die Eleganz der anderen, die von klein auf vielleicht tausend Sprünge mehr haben, wird Torben bestimmt nicht mehr erreichen. Aber er hat Stärken, die andere nicht haben. Er kann 7,40 Meter weit springen, er sprintet eine 10,84, er schafft knapp 15 Meter im Kugelstoßen. Seine Athletik ist eine unglaubliche Stärke.“ 7872 Punkte erreichte Blech im Zehnkampf. Am Sonntag war er am Ende mit seiner Kraft. In Dortmund quälte er sich in drei Versuchen über 5,65 Meter und riss drei Mal 5,81.

Blechs Potential

Von seiner schwachen Technik spricht Blech als seinem Potential. Die Trainerin warnt: „Man darf die Stärken nicht vernachlässigen, seine Fähigkeit, stark und weit abzuspringen, harte Stäbe benutzen zu können. Wenn er unten seine Stärke nicht auf die Kette kriegt, kann er oben noch so schön turnen, dann wird’s nichts.“

Blech, Lita Baehre und der aufstrebende Oleg Zernikel aus Landau, der sich in Berlin auf 5,72 Meter steigerte und Dritter wurde, bilden die neue deutsche Welle. Raphael Holzdeppe, Weltmeister von Moskau 2013, schied in Berlin mit nur einem gültigen Versuch über 5,42 Meter aus und beendete auf der Stelle seine Hallensaison.

Körperlich sei er fit, sagte er. Er habe unterschätzt, wie sehr ihn ein Praktikum beim Fußball-Bundesligaklub Mainz 05 Ende vergangenen Jahres gefordert habe.

Von Sternenflieger keine Spur. Der Kopf sei nicht frei.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 7. Februar 2021

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

author: GRR