Christian Coleman - - 2019 World Outdoor Championships Doha, Qatar Sept27-Oct 06, 2019 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com
Verschwindibus!; Sprint-Weltmeister Christian Coleman verpasst abermals einen Doping-Test – und nun wohl auch Olympia. Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Einen unprofessionellen und verantwortungslosen Idioten und Schreiberling schimpfte Seth Coleman vor anderthalb Jahren, im April 2019, einen Journalisten, der gefordert hatte, sein Sohn Christian solle jeden Tag einer Doping-Kontrolle unterzogen werden.
Coleman Junior, 2017, 2018 und 2019 schnellster Sprinter der Welt, war da gerade wegen dreier verpasster Doping-Tests vor dem Verbandsgericht angeklagt worden.
Er hatte Glück. Weil der erste dieser Regelverstöße ein sogenanntes „filing failure“ war, eine falsche Adressangabe, die dazu führte, dass ein Doping-Kontrolleur ihn nicht finden konnte, wurde er entsprechend der Regeln auf Anfang des Quartals vordatiert, um gut zwei Monate, auf den 1. April 2017. Der dritte Verstoß datierte vom 1. April 2018 – einen Tag außerhalb der Frist. Die amerikanische Anti-Doping-Agentur Usada zog ihre Klage zurück, Coleman wurde im Oktober in Doha Weltmeister im Sprint.
Man fragt sich, wen Vater Coleman nun einen unprofessionellen und verantwortungslosen Idioten nennen mag. Seinem Sohn, 24 Jahre alt und mit einigen hunderttausend Dollar dotierter Werbeträger des Sportartikelherstellers Nike, ist ein vierter Regelverstoß nachgewiesen worden, diesmal ein „missed test“ im Dezember 2019. Gemeinsam mit den beiden vom Januar und April 2019 sind dies drei Regelverstöße innerhalb eines Jahres. Der Champion, mit seiner Bestzeit von 9,76 Sekunden sechstschnellster Sprinter der Geschichte, wird bis 13. Mai 2022 gesperrt und damit nicht bei den Olympischen Spielen von Tokio starten dürfen.
Vor vier Wochen am 3. Oktober startete der erste Lauf noch bei wunderbaren Spätsommerwetter! Zum warm Werden durften die Diamant-Läufer*innen drei Runden laufen (Gold zwei Runden und Silber eine). Gut, dass das Laub da noch an den Bäumen war, so konnte ich jede Wurzel auf der Stecke persönlich kennenlernen und mir gut einprägen. Statt seinen Fehler zuzugeben, habe Coleman die Autoritäten scharf angegriffen, ihnen durch seinen Anwalt unbegründete Vorwürfe machen lassen und auf Ausreden über den Zeitverlauf am 9. Dezember beharrt, die schlicht unwahr seien.
Coleman behauptet, während des einstündigen Zeitfensters, das er für eine unangekündigte Doping-Kontrolle am Abend angegeben hatte, um die Ecke von seinem Apartment in Lexington (Kentucky) Weihnachtseinkäufe gemacht zu haben. Er habe, wie bei früheren Gelegenheiten, einen Anruf des Kontrolleurs erwartet und sei im Übrigen kurz heimgekehrt – was die Kontrolleure, die vor seiner Tür warteten, bestreiten. Den „missed test“ vom Januar 2019 bestreitet Coleman nicht. Er habe sein Krafttraining verschoben und vergessen, das Testfenster zu aktualisieren. Das „filing failure“ vom April dagegen schon, wie auch den „missed test“ vom Dezember. Er hatte angegeben, zu Hause in Lexington zu sein, war aber dort nicht anzutreffen.
Als ein Doping-Kontrolleur ihn deshalb anrief, stellte sich heraus, dass Coleman in Des Moines (Iowa) war, um an den Drake Relays teilzunehmen. Sofort nach dem Anruf änderte er im Computersystem der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) Zeit und Ort, an dem er für eine Kontrolle zur Verfügung stehen würde: in Des Moines in der gerade vergangenen Stunde.
Raphaël Roux, der die Kontrollen für das Integrity Unit der Leichtathleten (AIU) organisiert, sagte in der achtstündigen Anhörung am 9. Oktober aus, dass er den Kontrolleuren untersagt hatte, Coleman anzurufen. Weil dieser bereits vier Tests verpasst hatte, weil es einen zeitlichen Zusammenhang von sehr guten Leistungen des Athleten mit verpassten Tests gegeben habe und weil er den Eindruck hatte, dass Coleman früher vor Tests gewarnt worden sei. Das Schiedsgericht unter Vorsitz des Briten Charles Hollander gewann dennoch nicht den Eindruck, dass Coleman sich der Kontrolle absichtlich entzogen habe; das Strafmaß dafür beträgt vier Jahre.
Bei ein bisschen mehr Engagement der Kontrolleure wäre Coleman trotz allem, was man ihm vorwerfen kann, womöglich ungeschoren geblieben. Dies jedenfalls lehrt der nur wenige Tage vor dem von Coleman verhandelte Fall der 400-Meter-Weltmeisterin Salwa Eid Naser. Diese war im März und April 2019 für Doping-Kontrolleure dreimal nicht auffindbar, wurde im Oktober in Doha in der lediglich von Marita Koch und Jarmila Kratochvilowa übertroffenen Zeit von 48:14 Sekunden Weltmeisterin und leistete sich im Januar 2020 den nächsten und vierten Regelverstoß.
In der Verhandlung wurde bekannt, dass die 22 Jahre alte Nigerianerin, die für Bahrein startet, an ihrer Adresse in Abudja die Hausnummer falsch angegeben hat und nicht darauf aufmerksam machte, dass ihre Wohnung, Nummer 11 nur durch Wohnung Nummer 12 zu erreichen ist. Der Kontrolleur fand zwar das richtige Haus, klopfte aber eine Stunde lang alle fünf Minuten an der Tür eines Abstellraums, neben dem eine Elf angebracht war.
Das Schiedsgericht fand: Nicht die Schuld der Athletin, die bei ihren Angaben notorisch so unzuverlässig ist, dass der Verband einen Manager für ihren Account beschäftigt. Beide Fälle, Coleman wie Naser, werden wohl den Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne (Cas) beschäftigen.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 28. 10.2020
Michael Reinsch- Korrespondent für Sport in Berlin.
RETTET UNSERE LÄUFE – SAVE THE EVENTS – Foto: Victah Sailer
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