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2020

Nicht zu besiegen: Johannes Vetter wirft auch in Berlin am weitesten. - 2019 World Outdoor Championships Doha, Qatar Sept27-Oct 06, 2019 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com

Istaf der Leichtathleten: Warum 2020 ganz sicher kein verlorenes Jahr war – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Johannes Vetter demonstriert auch beim Istaf seine Klasse und siegt in seinem zehnten Wettkampf der Saison. Den Wettbewerb wertet er als Statement für die Gesellschaft: „Fürs Durchhalten, fürs Vernünftigbleiben.“

Keine sieben Meter im Weitsprung, keine neunzig Meter im Speerwerfen – trotzdem war das Leichtathletik-Sportfest Istaf in Berlin weder für die Welt- und Europameisterin Malaika Mihambo und für den einstigen Weltmeister Johannes Vetter noch für ihr Publikum eine Enttäuschung. Ganz im Gegenteil.

Die beiden Champions machen sich frei von den Erwartungen, die sie mit ihren jüngsten Ergebnissen geweckt hatten; Malaika Mihambo mit dem weltweit besten Sprung des Jahres, 7,03 Meter, trotz verkürzten Anlaufs Anfang der Woche in Dessau, Vetter mit 97,76 Metern, so dicht am Weltrekord wie niemand sonst, am Sonntag vor einer Woche in Chorzów in Polen. „Ich kann auch einem 85-, 86-Meter-Wurf etwas abgewinnen“, hatte Vetter vor dem Wettkampf im Olympiastadion von 1936 in Berlin behauptet – und übertraf immerhin diese Ansage, als er am Sonntagabend mit 87,26 Metern, erzielt im zweiten Versuch, gewann –, seinem zehnten Sieg im zehnten Wettbewerb nacheinander.

„Fürs Vernünftigbleiben“

„Solche Wettkämpfe sind ein Statement für die Gesellschaft“, sagte Vetter nach seinem umjubelten Erfolg. „Fürs Durchhalten, fürs Vernünftigbleiben. Ich glaube, wir bringen mit solchen Wettbewerben ein Stück Normalität zurück.“ Der Speerwerfer zeigte sich beeindruckt von der Stimmung, welche die nur 3500 Besucher in der Riesenarena verbreiteten, die Platz bietet für mehr als zwanzigmal so viele, 75.000. Der Athlet mahnte sein Publikum, Distanz zu halten und vernünftig zu sein. Für sich selbst hatte er auch Lob: „Die Weite war zwar nebensächlich heute. Aber so eine Leistung am Ende der Saison: Ich bin echt stolz auf mich.“  2020 sei für ihn trotz der Verschiebung der Olympischen Spiele, für die er rückblickend als überragender Favorit gegolten hätte, ein grandioses Jahr.

Malaika Mihambo, die herausragende Weitspringerin diese Sommers und natürlich schon Olympia-Favoritin, wurde im fünften und letzten Weitsprung-Wettkampf ihrer Saison Zweite mit 6,77 Metern hinter der in Deutschland lebenden Ukrainerin Maryna Romanchuk-Bekh, die zehn Zentimeter weiter flog. Doch auch und gerade für Malaika Mihambo, die stets zeigt, wie gern sie nach Berlin kommt, gab es viel Beifall von den Rängen, auf denen auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu finden war.

Die Veranstalter hatten die Erlaubnis für ihr Sportfest mit einem elaborierten Hygienekonzept erarbeitet. „Wir haben von jedem Zuschauer alle Daten“, sagte Meeting-Direktor Martin Seeber. „Wir wissen von jedem einzelnen, wo er sitzt, und haben seine Handynummer.“ Die 230 Teilnehmer wurden alle, selbst wenn sie ein Attest ihres Arztes mitgebracht hatten, in Berlin vom Team des Olympia-Arztes Bernd Wolfarth von der Charité getestet; im Hotel waren ganze Flure Athleten vorbehalten und für jede und jeden einzelnen von ihnen Einzelzimmer reserviert.

Auch Malaika Mihambo bilanziert die Saison als gewonnenes Jahr. Verletzung auskuriert, vom langjährigen Trainer getrennt, doch nicht nach Amerika zu Weitsprung-Olympiasieger Carl Lewis gewechselt – zusätzlich zur Verschiebung der Olympischen Spiele hätte sie viel Grund zur Klage gehabt. Stattdessen begriff die Weitspringerin die Krise als Chance zur Weiterbildung. „Was wir in Corona-Zeiten lernen müssen, ist: flexibel sein“, sagte sie in Berlin. „Ich habe viel übers Loslassen gelernt.“

„Ich glaube, wir bringen mit solchen Wettbewerben ein Stück Normalität zurück.“

Karsten Warholm, Welt- und Europameister über 400 Meter Hürden, legte ein Solo auf die blaue Bahn von Berlin, dem die Entschlossenheit zum Rekord auf jedem Meter anzusehen war. Doch der Norweger brauchte 47,08 Sekunden bis ins Ziel, zwei Zehntel mehr als vor knapp zwei Wochen, als er in 46,87 Sekunden bewies, dass der 28 Jahre alte Weltrekord von Kevin Young (46,78 Sekunden) in Reichweite ist.

Auch Stabhochspringer Armand Duplantis, der schwedische Europameister aus Louisiana in den Vereinigten Staaten, versuchte sich an einer Bestleistung. Als er den Wettbewerb mit nur vier Versuchen – erfolgreich über 5,57 und über 5,91 Meter – gewonnen hatte, ließ er 6,15 Meter auflegen. Damit hätte er Sergej Bubka übertroffen, der mit 6,14 Metern seit Juli 1994 in Sestrière den Rekord für die größte Höhe hält, die je in einem Stadion übersprungen wurde. Er verpasste, als er dreimal scheiterte, allerdings nicht den Weltrekord. Den hält der Zwanzigjährige selbst, seit er im Februar in der Arena von Glasgow 6,18 Meter überflog. Bo Kanda Lita Baehre musste wegen einer Knieverletzung, mit der er in den Wettkampf gegangen war, bei 5,57 Metern aufgeben und wurde Fünfter. Raphael Holzdeppe kam lediglich auf 5,42 Meter.

Dreispringer Max Heß bewies mit einer Leistung von 17,17 Metern, dass er bereit ist, nach auskurierter Verletzung an frühere Erfolge anzuknüpfen. Als Zweiter hinter Weltmeister und Olympiasieger Christian Taylor (Vereinigte Staaten/17,57 Meter) genoss er, endlich wieder zu springen.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 13. September 2020

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

RETTET UNSERE LÄUFE – SAVE THE EVENTS – Foto: Victah Sailer

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