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19
08
2020

Der derzeit schnellste Mann Deutschlands: Sprinter Deniz Almas - Foto. DLV/Theo Kiefner

Wie Deniz Almas die Ego-Branche Sprint aufmischt – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Deniz Almas wird zugetraut, als erster deutscher Sprinter die 100 Meter unter zehn Sekunden zu laufen. Das liegt auch an seiner starken Trainingsgruppe. Das Interesse der internationalen Veranstalter wächst.

Die Zeiten von Deniz Almas werden immer besser: 10,08 Sekunden brauchte er in Weinheim für die hundert Meter – Bestzeit des Jahres für Europa. In 10,09 gewann er eine Woche drauf in Braunschweig die deutsche Meisterschaft – sein nächster Titel nach dem Sieg über 60 Meter in der Halle.

Man kann nur mutmaßen, zu welch spektakulärem Resultat die rasende Entwicklung führen wird, wenn Almas, aus Monaco angereist, an diesem Sonntag in Leverkusen antritt.

Wie, der Lauf von Braunschweig soll weniger schnell gewesen sein als der zuvor? Das ist Beckmesserei, zum Beleg die eine Hundertstelsekunde mehr anzuführen, die sich auf der Stoppuhr in Braunschweig zeigte. Noch dazu spiegelt dieses Resultat nicht die reine Wahrheit.
Die Zeit eines Talents, wie der 23 Jahre alte Almas eines ist, wird noch kommen. In welchem Tempus könnte man besser darüber spekulieren als im Konjunktiv? Die Zeitrechnung von Braunschweig geht so auf: Die Bahn im Eintracht-Stadion ist weicher als die berühmte Tempo-Gerade von Weinheim. Außerdem ging, als Almas bei brütender Hitze lief, kein Lüftchen – im Gegensatz zu den 1,4 Meter Rückenwind von Weinheim.

Hätten also das Schicksal oder der Gott der Leichtathletik mit unsichtbarer Hand für die maximal legalen 2,0 Meter Schub pro Sekunde gesorgt, da sind sich die Experten einig, wäre Almas seit einer Woche der erste deutsche Läufer mit einer Bestzeit, bei der eine Neun vor dem Komma steht. So schnell geht das.

Den deutschen Rekord drückte Julian Reus, in Braunschweig Dritter, vor vier Jahren auf 10,01 Sekunden. Olympiasieger Armin Hary lief seinen Weltrekord von 10,0 Sekunden 1958 auf der Aschenbahn; die handgestoppte Zeit wird nach heutigem Maßstab in 10,20 Sekunden umgerechnet. Und die 9,99 Sekunden, die Martin Keller vor sieben Jahren in Florida rannte, konnten wegen zu starken Rückenwinds nicht anerkannt werden.

Nicht nur die Zeit ist auf der Seite von Deniz Almas. Weil er in Leipzig, wo er seit drei Jahren trainiert und studiert und wo ihn neuerdings die Bundeswehr unterstützt, drei Trainer und eine mitreißende Trainingsgruppe hat, spricht der Sprinter im Gegensatz zu der Vorstellung, die man von Männern seines Metiers hat, nicht von Ich, Ich, Ich, sondern ständig vom Wir.

Das einstige Vorbild Sven Knipphals ist sein Konditionstrainer; von ihm hat der in Calw im Nordschwarzwald geborene und aufgewachsene Almas auch die Mitgliedschaft im VfL Wolfsburg geerbt.

Wann fällt die 10-Sekunden-Marke? Bei der DM fehlte Almas nicht viel

Der frühere Hürdensprinter Alexander John ist für die technischen Aspekte des Sprints zuständig, und gemeinsam mit Bundestrainer Ronald Stein entwickeln die beiden aus dem fleißigen Arbeiter Almas den derzeit überragenden Sprinter Deutschlands. Täglich muss er sich im Training mit den Konkurrenten Marvin Schulte und Robert Hering messen, den Hürdensprintern Gregor Traber und Erik Balnuweit. „Die Trainingsgruppe ist Gold wert“, sagt er. Auch seine Generation, angeführt von dem 21 Jahre alten Joshua Hartmann aus Köln, Zweiter der deutschen Meisterschaft in 10,28 Sekunden, gibt ihm ein Wir-Gefühl. Der ein oder andere von ihnen, prognostiziert er, werde die Schallmauer der zehn Sekunden wohl durchbrechen.

Dabei gehört zu seiner Stärke, gerade nicht der Zeit nachzulaufen. Die neue Bestzeit kommt zu dem, der konzentriert all das umsetzt, was er im Training erarbeitet. Als da sind sein explosiver Start und seine neuerworbene Fähigkeit, jenseits der sechzig Meter, wo im Sprint die Ermüdung einsetzt, weit vorn die Füße zu setzen und praktisch im freien Flug die Bodenhaftung und den Vortrieb nicht zu verlieren.

Diese Füße, übrigens, sind noch frei.

Das Interesse der internationalen Veranstalter wächst, wie die kurzfristige Einladung von Almas für die 200 Meter in Monte Carlo am Freitagabend zeigte, wo er in 20,64 Sekunden eine persönliche Bestzeit lief. Ebenso sollten sich Schuhhersteller interessiert zeigen, den bislang vertragslosen Youngster zu verpflichten. Vermutlich gilt für den Geschäftspartner Almas dasselbe wie für den Sprinter Almas: Ihn stärkt eine ebenso profunde wie erstaunliche Gelassenheit.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 16. Ausgust 2020

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

RETTET UNSERE LÄUFE – SAVE THE EVENTS – Foto: Victah Sailer

„Rettet unsere Läufe“ – Wir brauchen jede Stimme, um den Laufsport zu retten. Helfen Sie bitte mit und beteiligen Sie sich an der Petition!

Hier geht es zur Petition:

https://www.openpetition.de/petition/online/save-the-events-o-rettet-unsere-laeufe

 DANKE für Ihre HILFE!

author: GRR