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10
08
2020

Nicht ihr Tag: Gesa Krause schafft es über 3000 Meter Hindernis nicht bis ins Ziel. - 2018 MonteCarlo Diamond League MonteCarlo, Monaco July 20, 2018 Photo: Victah Sailer

„Ich bin kein Wunderkind: Rätselraten um das Aus von Gesa Krause – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Aufgeben und Gesa Krause? Diese Kombination passt eigentlich nicht.

Bei den deutschen Meisterschaften aber verlässt die Hindernisläuferin die Bahn. Nicht nur ihr Trainer macht sich Sorgen.

Was war da los?

„Gesa ist gesund“, sagt der Trainer. „Sie war beim Arzt; der hat nichts festgestellt. Auch das gehört zum Sport: dass man mal einen Tag erwischt, an dem gar nichts geht.“

Noch am Samstag war Wolfgang Heinig, alarmiert vom Einbruch der Hindernis-Europameisterin Gesa Krause bei den deutschen Meisterschaften in Braunschweig, von der leeren Tribüne geeilt. Er war sicher, dass sie sich verletzt hatte. Welchen anderen Grund könnte es dafür geben, dass sie, das Stehaufmännchen der deutschen Leichtathletik, nach drei Runden an der Seite der späteren Siegerin Elena Burkard zurückfiel und nach weiteren sechshundert Metern ausstieg – ausgerechnet aus dem Rennen, für dessen Austragung sie gegen den Deutschen Leichtathletik-Verband auf die Barrikaden gegangen war.

„Kein Hindernislauf und keine Mittelstrecken bei den deutschen Meisterschaften in diesem Jahr – ich bin sprachlos“, begann ihr Aufruf zum Protest, der tatsächlich dazu führte, dass auch ihre Disziplin nachträglich ins Programm und ins Hygienekonzept dieser Titelkämpfe aufgenommen wurde.

Nun war sie ratlos. „Meine Beine wollten nicht so, wie ich wollte“, sagte die Europameisterin von Amsterdam 2016 und Berlin 2018, die Weltmeisterschafts-Dritte von Peking 2015 und Doha 2019. „So ist das, wenn man den Stecker gezogen bekommt. Die Energie war einfach nicht da.“ Da kann selbst eine Kämpferin wie sie nichts ausrichten, deren Bekanntheit und Beliebtheit in Deutschland mehr als von ihren Medaillengewinnen von dem Sturz bei der Weltmeisterschaft von London 2017 herrührt, nach dem sie sich ohne zu zögern aufrappelte und, mit Tränen des Schmerzes in den Augen, der enteilten Konkurrenz nachsetzte.

In ihrem Rätselraten vom Meisterschafts-Wochenende verständigten sich Trainer und Athletin darauf, dass wohl der Klimawechsel aus dem Höhentraining in Davos zwei Tage vor dem Lauf in den Brutofen des Braunschweiger Stadions – ein Temperaturanstieg um zwanzig Grad, von 18 auf 38 Grad Celsius – ihr buchstäblich die Beine weggeschlagen haben musste. Nach dem Abbruch der Olympia-Saison, auf die sie sich vier Jahre lang in einer Konsequenz vorbereitet hatte, über die nur wenige verfügen, war sie drei Monate lang auf Training in Frankfurt festgelegt gewesen. So viel Zeit hatte sie seit Jahren nicht mehr im Flachland verbracht. 

Den Vergleich mit den klimatischen Bedingungen von Doha, mit denen sie doch gut zurechtgekommen sei, lassen Gesa Krause und Wolfgang Heinig nicht gelten. „In Qatar hatten wir ein auf 18 Grad klimatisierte Stadion“, sagte sie. „In der unmittelbaren Vorbereitung aufs WM-Rennen ist Gesa ausschließlich auf dem Laufband in klimatisierten Räumen gelaufen“, sagte er.

Seit Doha jedoch, der Weltmeisterschaft im Oktober, hat sich Gesa Krause keine Pause gegönnt in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele im Hochsommer dieses Jahres. Als der Verband seine Nationalmannschaft aus dem Höhentraining in Kenia zurückrief, damit sie bei Einstellung des Flugbetriebs nicht dort strandet, jettete Gesa Krause in die Rocky Mountains, um nicht den Vorteil aus vier Jahren Höhenkette zu verlieren, aus einem Trainingslager nach dem anderen: die Anreicherung von Hämoglobin, dem Sauerstoff transportierenden Bestandteil des Blutes.

Von dort zurückgekehrt, war sie so lange im Flachland wie Jahre nicht. Bevor sie im Herbst in den ersten Urlaub seit zwei Jahren geht, stehen noch einige Rennen an, darunter in Leverkusen und das Istaf in Berlin. „Das ist Sport“, resümierte Gesa Krause mit der ganzen Erfahrung ihrer 28 Jahre den erstaunlichen Einbruch.

„Man kann das nicht programmieren, und dann läuft es. Ich sage das selten, aber heute war nicht mein Tag. Ich bin kein Wunderkind.“

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 9. August 2020

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

 

author: GRR