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10
08
2020

Pamela Dutkewicz beim ISTAF Indoor Berlin 2019 - Foto: Horst Milde

Hürdensprinterin Dutkiewicz: „Ich war ganz schön böse zu meinem Körper“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Zu lange quälte Pamela Dutkiewicz sich und ihren Körper. Jetzt fühlt sie sich befreit und gibt nach Monaten ihr Comeback. Die Hürdensprinterin fasst auch gleich ein großes Ziel ins Auge.

Dritte bei der Weltmeisterschaft in London 2017, Zweite bei der Europameisterschaft von Berlin 2018 – die Entwicklungskurve der Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz zielte auf ein sehr erfolgreiches Jahr 2019.

Doch statt eines Sieges bei der Hallen-Europameisterschaft von Glasgow im Winter oder eines Erfolges bei der Weltmeisterschaft von Doha im Herbst, was sie zu einer Favoritin für die Olympischen Spielen von Tokio 2020 gemacht hätten, gab es: nichts. „Ich habe mal zusammengerechnet“, sagte die 28 Jahre alte Athletin aus Wattenscheid im Winter: „2019 war ich fünfeinhalb Monate lang verletzt.“

Nun ist sie wieder da – jedenfalls ein bisschen. An diesem Samstag zeigt sich Pamela Dutkiewicz bei der deutschen Meisterschaft in Braunschweig – ihrem ersten Wettkampf seit Februar. Damals brach „PämBäm“, wie sie sich in ihren Posts auf Instagram nennt, die Hallen-Saison vor der deutschen Meisterschaft ab. „Ich war noch nicht bereit für solche Wettbewerbe“, sagt sie heute. „Aber wenn ich wenige Monate danach zu Olympischen Spielen will, muss ich das machen. Da zählt praktisch jede Stunde.“

Druckabfall und absolute Erleichterung

Als sie im Frühjahr ihre Sachen packte fürs Trainingslager in Florida, kamen mit der Corona-Pandemie Schlag auf Schlag Lockdown, Reisestopp und die Verschiebung der Spiele – für die ehrgeizige Pamela Dutkiewicz ein Druckabfall, absolute Erleichterung. „Ich würde lügen, wenn ich nur vom Mitmachen spräche“, hatte sie im Winter über ihren Anspruch gesagt. Tokio sollte und soll der Gipfel ihrer Leistungskurve und der Höhepunkt ihrer Karriere werden. Wie mächtig ihr Ehrgeiz, wie stark ihr Wille ist, wird deutlich, wenn sie über den Umgang mit ihrem muskelstrotzenden Körper spricht: „Ich habe ihn halt immer mitgeschleift.“

Wie zur Strafe kamen schwere Muskelverletzungen, die eine im Training für die Hallen-EM und die andere beim Aufwärmen für das Sportfest von Monaco. „Ich war ganz schön böse zu meinem Körper gewesen“, erinnert sich die Athletin. „Ich habe Schmerzen ignoriert, ich bin da drübergegangen. Und dann hat es zweimal Bumm gemacht.“ Ihr sportlicher Höhenflug, auf dem sie ihre Bestzeiten von 7,79 Sekunden in der Halle und 12,61 Sekunden über die hundert Meter Hürden unterbieten wollte, war abrupt zu Ende. „Die Verletzungen haben mich zu meinem Körper geführt“, sagt sie nun. „Ich bin dankbar für das, was er geleistet hat, aber ich musste ihm Ruhe gönnen. Ich hatte drei Bombenjahre, aber der Druck wurde größer, der Rucksack immer schwerer. Da mal rauszugehen tat total gut.“

Verletzung und Umstellung

Die Situation war nicht neu für die Hürdensprinterin. Bei der deutschen Hallen-Meisterschaft 2015 war sie als Zweite ins Ziel gestürzt und hatte dabei Bänderrisse in beiden Fußgelenken erlitten – ein Knockout. Sie nutzte die Pause, ihre Essgewohnheiten mit Hilfe eines Mediziners zu überprüfen und zu korrigieren. Vier Jahre später stellte sie eine Laktoseintoleranz fest. Seit sie auf Milchprodukte verzichtet, hat Pamela Dutkiewicz nicht nur Gewicht verloren, sondern auch das Gefühl von Schwere.

Und nun diese Erleichterung. „Die Verschiebung der Spiele fühlt sich an wie ein geschenktes Jahr“, sagt sie. Vorbei die Hetzjagd um Wettkämpfe und Bestzeiten; von Vollgas ohne Rücksicht auf Verluste haben Pamela Dutkiewicz und Bundestrainer Slawomir Filipowski in eine schonendere Gangart zurückgeschaltet. Die Arbeitswoche hat neuerdings zwei statt einem Tag der Regeneration. „So lange wie jetzt“, sagt sie, „war ich in den vergangenen zwei Jahren nicht beschwerdefrei.“ Die Erholung beginnt im Kopf. Wie Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo hat Pamela Dutkiewicz begonnen zu  meditieren.

„Das ist der Wahnsinn“, schwärmt sie. „Ich reduziere die Reize, denen ich ausgesetzt bin. Ein Mal am Tag komme ich zu mir.“ Doch allein um Erholung geht es im Training dieser hochkomplexen und technisch anspruchsvollen Disziplin selbstverständlich nicht. Sie hat sich darangetraut, ihre Einstellung des Startblocks zu verändern. Kompromissloser und offensiver werde sie nun auf die erste Hürde zustürmen, sagt sie.

„Für mein Gewissen und als Dank werde ich dort starten.“

Allein zur deutschen Meisterschaft an diesem Wochenende in Braunschweig unterbricht Pamela Dutkiewicz ihr Programm zur Wiederherstellung von Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden. Die Fernsehzuschauer – Besucher im Stadion sind nicht zugelassen – dürfen sie im Finale am Samstagabend um halb acht erwarten. Wichtiger als der Gewinn ihres dritten Titels ist ihr die Geste gegenüber dem Verband. Dieser habe Partnern und Sponsoren mit der Organisation der Meisterschaft eine Bühne geboten, lobt sie: „Für mein Gewissen und als Dank werde ich dort starten.“

Im Oktober soll es dann wieder ernst werden. Dann beginnt die Vorbereitung auf Olympia; die drei Monate Grundlagentraining am Ende des Jahres seien entscheidend für den Sommer. Von Spekulationen über eine weitere Verschiebung oder den Ausfall der Spiele will die Hürdensprinterin nichts wissen. „Ich setze keine Zweifel in meinen Kopf“, sagt sie. „Wenn ich das begänne zu denken, würde alles, was ich tue – mir eine Pause gönnen, mich emotional erholen –, keinen Sinn machen.

Wie sollte ich hundertprozentig für etwas kämpfen, wenn ich zweifle, ob es überhaupt stattfindet?“ Für sie sind die Olympischen Spiele im nächsten Jahr der Fixpunkt, auf den alles ausgerichtet ist.

„Ich werde im nächsten Jahr definitiv in einer viel, viel besseren Version meiner selbst am Start stehen, als ich das in diesem Jahr gekonnt hätte.“

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 8. August 2020

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

RETTET UNSERE LÄUFE – SAVE THE EVENTS – Foto: Victah Sailer

„Rettet unsere Läufe“ – Wir brauchen jede Stimme, um den Laufsport zu retten. Helfen Sie bitte mit und beteiligen Sie sich an der Petition!

Hier geht es zur Petition:

https://www.openpetition.de/petition/online/save-the-events-o-rettet-unsere-laeufe

 DANKE für Ihre HILFE!

author: GRR