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2020

Wie gesund ist Sport? - Medizinisches Krafttraining beim Sportgesundheitspark, 04.02.2020, Berlin, Foto: LSB Berlin - SPORT BERLIN

Wie gesund ist Sport? Gesund ist Sport eigentlich immer, lautet die landläufige Meinung

By GRR 0

Selbst vermeintliche Fitnessverweigerer haben irgendwann akzeptiert, dass Bewegung, neben Ernährung, der wichtigste Faktor ist, um Körper und Geist fit zu halten.

Als der große Staatsmann Winston Churchill an seinem 90. Geburtstag nach seinem Rezept für ein langes Leben gefragt wurde, antwortete der britische Politiker: „No Sports.“

Frei übersetzt: Sport ist Mord. Das Lieblingszitat aller Bewegungsmuffel hat nur einen Haken: Es ist vermutlich eine Erfindung deutscher Journalisten. Tatsächlich war Churchill nicht bloß Liebhaber von Zigarren und Whisky, sondern auch begeisterter Fechter und Reiter.

Wäre Churchill heute noch am Leben, man könnte ihn sich gut als rüstigen Rentner beim Reha- und Herzsport vorstellen. Wie er in einer Turnhalle in Berlin-Wilmersdorf steht, mit anderen Senioren, sich gegenseitig Bälle zuwirft, ein Bein in einen Reifen und zurück stellt, wie der Trainer ruft: „Langsam, hetzt euch nicht!“ Im Hintergrund läuft der Schlager „Schmidtchen Schleicher“.

So oder so ähnlich stellen sich viele Menschen Gesundheitssport vor. Und so oder so ähnlich sieht es ja auch aus, an einem Dienstagabend beim „Sport-Gesundheitspark“, dem größten Verein für gesunden Sport in Berlin. Wobei Sport ja generell gesund sein sollte, doch dazu später mehr.

Verlässt man die Turnhalle im Erdgeschoss und begibt sich in den ersten Stock, ergibt sich schon ein anderes Bild: In einem Gymnastikraum hängen vier Männer und Frauen um die 40 an Seilen von der Decke, machen Liegestütze in der Luft und schnaufen ganz schön. „Das hält fit“, sagt ihr Trainer. Kurz darauf balancieren sie mit Holzbrettern auf einem Stahlrohr, als wäre es ein Skateboard mit nur einer Rolle. Sie versuchen, nicht zu fallen. „Jetzt in die Hocke gehen, federn“, ruft ihr Trainer. Ein Teilnehmer purzelt und muss lachen, wie die anderen.

Christian Lusch lacht mit. Der stellvertretende Geschäftsführer des Sport-Gesundheitsparks schaut beim Training zu. Als diplomierter Sportwissenschaftler weiß er, wie sein Trainer, wozu die Übungen gut sind. „Gesundheitssport hat generell das Ziel, Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen“, sagt Lusch, „abhängig von Alter und Leistung.“ Jede Gruppe ist also anders, aber eins haben alle gemein: Ihr Sport ist gesund.

Gesund ist Sport ja eigentlich immer, lautet die landläufige Meinung. Selbst vermeintliche Fitnessverweigerer wie Churchill haben irgendwann akzeptiert, dass Bewegung, neben Ernährung und sonstigem Lebenswandel, einer der wichtigsten Faktoren ist, um Körper und Geist fit zu halten. „Nicht jeder Sport ist gesund“, widerspricht Lusch, „ein Zuviel an Sport, wie etwa Leistungssport, kann den Körper belasten und schädigen.“ Im Gesundheitssport dagegen wolle man den Bewegungsapparat fordern, ohne ihn zu überfordern. Auch präventiv, bevor Beschwerden auftreten. „Leider kommen die Meisten erst, wenn der Leidensdruck zu groß ist“, sagt Lusch.

So wie Anja Brüssow. Die Kursteilnehmerin macht gerade eine Pause vom Seil-Liegestütz. „Ich habe damit als Rehasport angefangen, nach einer Operation“, sagt die 37-Jährige. Mittlerweile macht sie freiwillig weiter, um als Erzieherin ihren Rücken zu stärken. Eine andere Teilnehmerin hat Probleme mit der Schulter. Trainer Frank Sommerfeld spannt ihr zur Unterstützung eine Schlaufe unter Bauch, sie liegt darauf wie auf einer Schaukel. „Es geht viel um Instabilitäten, man kann gleichzeitig trainieren und therapieren“, erklärt der Übungsleiter. In seinen Kursen erlebt er die volle Vielfalt: Er habe eine 87-Jährige, die schaffe das Programm problemlos, ebenso einen Mann Mitte 30, der seit 18 Jahren Skateboard fahre und nur zum Ausgleich herkomme. Ähnlich wie Golfer, Tennis- oder Volleyballspieler, die sonst zu einseitig belasten würden.

Der Trend geht klar zu gesünderem Sport, zumindest als Unterstützung der sonstigen Aktivitäten. Der Bedarf steigt, die Gesellschaft wird immer älter und anfälliger, auch durch stärkere Belastungen in der Arbeits- und Umwelt. „Die großen Zuwächse im organisierten Sport sind eigentlich alle im Bereich des Gesundheitsports zu finden“, sagt Fachberater Lusch. Er verweist auf seinen eigenen Verein, mittlerweile der sechstgrößte in ganz Berlin. Seit 2007 hat sich die Mitgliederzahl des Sportgesundheitsparks fast verdoppelt, auf mittlerweile über 7000 Aktiven an fünf Standorten.

In einer anderen Turnhalle spielen übergewichtige Kinder mit Ball und lernen so Freude an Bewegung, ohne von anderen Jugendlichen ausgelacht zu werden. In einem der Krafträume steht eine Seniorin auf einem Gerät, das aussieht wie eine Waage: eine sogenannte Vibrationswippe, die die Rentnerin ziemlich durchrüttelt. „Das aktiviert die Muskeln und stärkt die Knochensubstanz“, erklärt sie, mit klappernden Zähnen. Seit 20 Jahren kommt die 70-Jährige zum Gesundheitssport, obwohl sie anders als viele hier gar kein Vorerkrankung hatte. „Man bleibt gesund und im Laufe der Jahre hat sich eine nette Gruppe gebildet“, sagt sie und fragt ihre Nebenfrau an der Beinpresse: „Jutta, wie lange kennen wir uns schon?“ „Bestimmt 20 Jahre“, sagt ihre Nachbarin. Sie hat keine Lust mehr auf ein Fitnessstudio: „Ich will keine Muckibude, wo man sich mit heißer Nadel für den Traumkörper abrackert“, erklärt sie und macht ganz gemächlich, unter Aufsicht eines Trainers.

Die Überzeugung, dass es beim Sport nicht nur auf Kraft, Ausdauer und Technik ankommt, sondern auch um den Erhalt der Gesundheit, setzt sich immer mehr durch. Vor der Fußball-WM 2006 wurde Jürgen Klinsmann noch belächelt, als der Bundestrainer seine Nationalspieler mit Gummibändern um die Beine über den Rasen wackeln ließ. Die Muskulatur aktivieren und stabilisieren, schon auf kleinster Ebene, kann zu deutlich weniger Verletzungsgefahr und mehr Lebensqualität im Alltag führen. Jeder kann sich noch verbessern, einen Schritt hin vom Grob- zum Feinmotoriker machen.

Auch in Vereinen, die nicht mehrere Standorte und tausende Mitglieder haben, lässt sich in Sachen Gesundheitsförderung noch einiges bewegen. Das zeigt das Beispiel SV Luftfahrt Ringen, ein kleiner Klub mit etwa 360 Aktiven. Vor allem in der Jugendarbeit hat sich die ehemalige DDR-Betriebssportgruppe aus Berlin-Treptow einen Namen gemacht. Der Verein setzt neuerdings auf ein Konzept mit einem kompliziert klingenden Titel: der salutogenetische Ansatz.

Was sich dahinter verbirgt, erklärt Vorstandsmitglied Anja Herzog in einer Schulsport-Turnhalle am Baumschulenweg. Die Kinder beenden gerade ihr Ringer-Training. Sie stehen aber nicht auf der Matte und rangeln, sondern spielen Handball, über eine Turnbank hinweg. Bewegungstalent zu fördern, ist ein Teil des salutogenetischen Ansatzes. „Wir konzentrieren uns auf die Stärken eines Kindes, nicht auf die Schwächen“, führt Herzog aus. Die studierte Gesundheitswissenschaftlerin ist über ihren Sohn zum Ringen gekommen und hat ihre Erkenntnisse aus dem Studium in einem Konzept verschriftlicht. Im Gegensatz zur Pathogenese, bei der Mediziner nur nach Krankheits-Risiken schauen, sieht die Salutogenese die Gesundheit als ständigen Prozess, der nie ganz abgeschlossen ist. „Ich hoffe, das hält auch in anderen Sportarten Einzug“, sagt Herzog.

In der Praxis lassen sich Verletzungen kaum vermeiden, auch wenn Ringen nicht gefährlicher ist als andere Sportarten. Die 14-jährige Karo zeigt ihre Zähne. Einer ist ihr abgebrochen, als sie im Trainingslager einen Ellbogen abbekommen hat. Dennoch mache es Spaß: „Ringen ist ein sehr vielseitiger Sport.“ Ihr Trainer Sören Kühn führt aus: „Die Trainingsweise hat sich extrem geändert. Früher hat man Übungen gemacht, die extrem auf den Nacken und die Knie gingen.“ Heute gehe es eher um Bewegungsgefühl und Koordination. Kühn schaut der nächsten Trainingsgruppe zu und sagt: „Wenn Mario sich nicht so viel bewegen würde, wäre er auch nicht so fit.“

Mario Domnowski spielt noch Fußball mit den anderen Ringern. Obwohl die Altersobergrenze für Veteranenkämpfe auf 60 herabgesetzt wurde, kommt er weiter zum Training. Der 70-Jährige ist seit 60 Jahren Ringer, der älteste Aktive in Berlin und der zweitälteste in Deutschland. „Ohne Sport kann ich einfach nicht“, sagt Domnowski, obwohl er seit der Kindheit an Herzproblemen leidet. Ein Satz wie „No Sports“ würde ihm nie in den Sinn kommen.

Sein Rat für ein langes, aktives Leben? „Wenn man regelmäßig trainiert, kann eigentlich nichts passieren“, sagt er und spielt einfach weiter.

Dominik  Bardow in SPORT BERLIN  2/2020

author: GRR