Digitalisierung im Gesundheitssport – Sport BERLIN
Interview mit Dr. Knut Rackebrandt, Sportökonom, und Dr. Klaas Rackebrandt, Experte für Digitalisierung im Gesundheitswesen, Teamleiter Product & Service Innovation
- Unter Digitalisierung in Sport und Gesundheit stellt sich jeder etwas anderes vor. Die Einen denken an die App auf ihrem Handy. Für die anderen heißt es, ihre Kurse online zu buchen. Was bedeutet Digitalisierung für Sie?
Digitalisierung ist die zunehmende Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Wir finden insbesondere Gesundheits-Apps, Wearables und Gesundheitsportale spannend, da diese Technologien auch bei der betrieblichen Gesundheitsförderung an Bedeutung gewinnen. Das größte Potenzial sehen wir in der Nutzung von spielerischen Elementen (Gamification), die zum Sporttreiben motivieren können. Außerdem können Monitoring und Diagnostik-Anwendungen in den „Homecare”-Bereich verlagert werden. Das entlastet die Gesundheitseinrichtungen.
- Was sind Ihrer Meinung nach die größten Chancen der Digitalisierung in Sport und Gesundheit?
Die größten Chancen ergeben sich durch die Erschließung von neuen Zielgruppen. Junge Menschen der Generation Y und Z lassen sich durch digitale Anwendungen besser erreichen. Insbesondere Hybrid-Lösungen, wie z. B. ein Workout mit Hilfe von Virtual Reality (VR)-Technologie, schaffen eine neuartige Herangehensweise. Digitale Elemente verbinden sich mit herkömmlichen Bewegungsmustern. Ein Beispiel ist das Start Up Unternehmen Icaros: Sport auf einem raffinierten Fitnessgerät mit VR-Brille. Das Gleichgewicht muss gehalten werden. Dabei werden alle Muskeln trainiert.
In solchen Anwendungen liegt außerdem ein großes Potenzial für Reha-Bereiche zur technologisch unterstützen Therapie – über das kurze Zeitfenster beim Orthopäden oder Physiotherapeuten hinaus.
- Wo gibt es Risiken? Beispielsweise ist Datenschutz eines der Hauptargumente von Digitalisierungskritikern.
Das Thema Datenschutz ist für Deutschland einerseits mit der neuen DSGVO sehr strikt geregelt. Es gibt technologische Ansätze, die sowohl private, als auch Anwendungen im Gesundheitsbereich professionell absichern. Auf der anderen Seite entsteht ein Risiko erst durch Technologien und Apps, die nicht datenschutzkonform sind. Das sind solche, die Daten sammeln und weitergeben ohne die Zustimmung des Users.
- Wie können Vereine das Potenzial der Digitalisierung nutzen?
Für Vereine ist es wichtig, dass die Entscheidungen in Hinblick auf digitale Lösungen und Modernisierung nicht verschlafen werden. Sonst ziehen konkurrierende Anbieter wirtschaftlich davon. Vereine sollten offen gegenüber neuen Technologien sein und nicht vor Veränderungen zurückschrecken. Sie sollten zum Beispiel darüber nachdenken, eine eigene E-Sport Abteilung zu gründen. Im globalen Sportbusiness gibt es derzeit keinen vergleichbaren Markt, der so schnell wächst wie der elektronische Sport. Auch ein digitaler Fußboden (www.asbglassfloor.com) eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Hallennutzung sowie der Trainingssteuerung und -überwachung. Derartige Technologien, wie so ein LED-Floor, ermöglichen, sich gegenüber Mitbewerbern abzugrenzen und insbesondere eine Zielgruppe anzusprechen, die nach 1980 geboren ist.
- Überfordert die Digitalisierung Vereine finanziell oder spart sie ihnen sogar Kosten?
Der Nutzen von Digitalisierungs-Anwendungen kann nur im Einzelfall beantwortet werden. Es ist immer von dem Prozess auszugehen, der digital unterstützt werden soll. Kann Zeitersparnis, Optimierung oder eine bessere Kundeninteraktion erzielt werden, lohnt sich die Umsetzung. Eine ungesteuerte Digitalisierung überfordert Vereine oft und liefert keinen Mehrwert.
- Im Sport spielen soziale Kontakte, Emotionen und Motivation eine zentrale Rolle. Inwieweit können digitale Sportprogramme, Fitness-Apps und Online-Kurse mit dem klassischen analogen Sport mithalten?
Auch digitale Angebote erkennen die Bedeutung von sozialer Interaktion. Eine leicht zugängliche Form von digitaler Gamification sind z. B. Bestenlisten oder Team-Bestenlisten in Fitness-Apps. So soll der Wettbewerb unter den Nutzern gefördert werden. Die Motivation wird gesteigert, indem Ergebnisse für alle einsehbar sind. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass dadurch ein sozialer Druck entstehen kann: Das Rennen um die Spitzenpositionen löst Euphorie aus. Das Rangieren in den hinteren Rängen kann demotivieren. Aber die positiven Aspekte überwiegen: Digitale Angebote entsprechen dem Zeitgeist und befriedigen am besten die Bedürfnisse der Generation Z.
- Sind Bestenlisten in Fitness-Apps soziale Interaktion?
Bestenlisten können ein Anreiz sein, damit Menschen auch offline interagieren. Auch Pervasive Games bieten diesbezüglich Potenzial, indem bestimmte Aufgaben erst durch die Zusammenarbeit im realen Leben gelöst werden können.
- Wird Digitalisierung die Übungsleiter ersetzen?
Aktuell müssen sie sich noch keine Sorgen machen. Die digitalen Angebote stoßen noch an ihre Grenzen. Es gibt keine professionelle Ausführungskorrektur. Bewegungsmuster können zwar erklärt und vorgemacht, jedoch nur bedingt individuell angepasst und korrigiert werden. Zudem ist momentan ein Trend zu erkennen, dass sich viele Menschen eine Kombination aus „High-Tech“-Lösungen und „High-Touch“-Elementen – also den direkten Umgang mit Menschen – wünschen. Unsere Empfehlung für ambitionierte Übungsleiter: Bilden Sie sich weiter und integrieren Sie digitale Facetten in ihr Trainingsprogramm. Es gibt zu vielen Spiel- und Gesundheitssportarten digitale Möglichkeiten, bestimmte Parameter für die Trainierenden zu visualisieren, (digital) aufzubereiten und auf diese Weise die Trainingsinhalte gezielter zu steuern und zu optimieren.
- Heißt Digitalisierung in Sport und Gesundheit, dass Trainer und Vereinsmitglieder zu IT-Spezialisten werden müssen?
Es ist übertrieben, wenn behauptet wird, jeder Übungsleiter muss heutzutage auch ein IT-Spezialist sein. Dennoch ist es richtig, dass Weiterbildung unabdingbar sein wird. Häufig führen dabei Unkenntnis und Unsicherheit zu der übertriebenen Vorstellung, dass es sich bei digitalen Lösungen im Sport- und Gesundheitsbereich um hochkomplexe Software handelt. Vielmehr ist ein Großteil der Angebote anwendungsorientiert und so konzipiert, dass sich auch Laien innerhalb kurzer Zeit in digitale Anwendungen einarbeiten und diese nutzen können. Denn jeder Technologieanbieter für den Sport- und Gesundheitsmarkt möchte möglichst viele Kunden erreichen und achtet deshalb auf eine einfach Handhabung – nach dem Motto: „Nur genutzte Apps und Wearables setzen sich am Markt durch“.
Dr. rer. pol. Knut Rackebrandt / Universität Bremen / Fachbereich Wirtschaftswissenschaft / Leiter Sportökonomie / @ rackebrandt@uni-bremen.de
Dr. rer. hum. biol. Klaas Rackebrandt / Team Leader Product and Service Innovation bei Unity (Hamburg) / Strategische Planung – Medizinprodukte – Produktentwicklung / @ klaasrackebrandt@gmail.com
Quelle: SPORT BERLIN 02/2020 – Landessportbund Berlin