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2019

Die Dorfkirche in Tempelhof - Foto: Horst Milde

Die Läufer-/innen-Weihnachtspredigt 2019 von Peter Burkowski*

By GRR 0

Die 17 Kamele und das Weihnachtsgeschenk

Es war einmal ein alter Scheich. Als er merkte dass seine Zeit zu Ende ging, rief er seine drei Söhne zu sich und sagte zu ihnen: “Meine Tage sind gezählt und wenn ich gehe, vererbe euch meine 17 Kamele.

Mohamed – mein ältester Sohn – du bekommst die Hälfte der Herde. Faris – mein zweitältester Sohn – dir steht ein Drittel der Herde zu. Hassan – mein Jüngster – du bekommst ein Neuntel der Kamele.”

Als der alte Scheich dann verstorben war, wollten die drei Söhne ihr Erbe aufteilen. Sie merkten jedoch schnell, dass 17 Kamele nicht durch zwei, nicht durch drei und auch nicht durch neun zu teilen waren. Es entstand ein Streit und konnten sich nicht einigen, wie sie das Erbe nun unter sich aufteilen sollten.

Um eine Lösung zu finden, fragten sie eine alte, weise Frau aus ihrem Dorf um Rat. Nachdem die Frau lange überlegt hatte, sagte sie zu den drei Söhnen: “Ich weiß nicht, ob ich euch helfen kann, aber ich kann euch mein Kamel schenken!”. Die Söhne des Scheichs wunderten sich über dieses Angebot, nahmen aber das Kamel der alten weisen Frau an.

Nun teilten sie ihre 18 Kamele untereinander auf. Der älteste Sohn – dem die Hälfte der Herde zustand – nahm sich 9 Kamele. Der zweitälteste Sohn – der ein Drittel der Kamele bekommen sollte – nahm sich 6 Tiere und der jüngste Sohn – der ein Neuntel der Herde bekommen sollte – nahm sich 2 Kamele.

Überrascht stellten die Söhne des Scheichs fest, dass sie nur 17 Kamele verteilt hatten, gaben der alten Frau ihr Kamel zurück, bedankten sich bei und gingen glücklich und zufrieden ihrer Wege.

Die Geschichte von den 17 Kamelen ist wie die Botschaft von Weihnachten:

  • Voller Staunen über das, was geschehen ist, gehen die drei Brüder ihrer Wege.
  • Ein überraschendes Geschenk hat alles verändert.
  • Noch lange zerbrechen sich manche den Kopf über die ebenso einfache wie wunderbare Lösung: Es ist unglaublich. Wie kann das gehen?
  • Überraschend kommt Frieden in die Welt.

Die Botschaft von Weihnachten ist kaum zu verstehen und doch so faszinierend: Gott kommt in die Welt als Kind, hilflos, klein, arm und am Rande der Welt.

Ein Geschenk, das die Armen und Ohnmächtigen zuerst aus der Bahn wirft.

Ein Geschenk, das alles verändert.

Und heute? Weihnachten im Jahr 2019?

Gott kommt in eine Welt, die manchmal so undurchschaubar ist wie die Aufgabe, vor der die drei Söhne stehen. Da ist so vieles unverständlich, manchmal unbegreiflich oder ärgerlich: Gewalt und Hass, Zerstörung der Lebensgrundlagen oder rasante technische Beschleunigungen.

Seit Jahrhunderten sind wir dabei, das Staunen und Wundern zu verlernen. Alles wird erklärt, erforscht und erobert: die Erde, die Natur, der Mensch, das Atom und das Genom.

Seit Jahrhunderten wird alles optimiert und beherrschbar gemacht, was früher unbeherrschbar und unverfügbar erschien: Die Natur, der Geburtstermin, die Bildung der Kinder, berufliche Karrieren, die Kopfschmerzen, das Reisen, die schlimme oder weniger schlimme Krankheit, die Seefahrt, das Verlieben…

Auch in unserer kleinen (oder größeren) Laufwelt möchten wir das Ergebnis programmierbar und vorhersagbar machen: Trainingspläne, Ernährungspläne und die richtigen Schuhe für den richtigen Untergrund. Und spätestens wenn ich am Morgen zum Marathon-Start aufbreche, weiß ich, dass nichts programmierbar ist. Da kann viel passieren und niemand ist vor Überraschungen sicher.

Vielleicht ist dies ja gerade die Faszination des Marathons in einer immer stärker optimierten und durchgeplanten Welt. Ich weiß nicht genau, was geschehen wird, wenn das letzte Drittel der Strecke erreicht ist.

Solche Überraschungen passen irgendwie nicht mehr in unsere Welt und Lebensprogramme. Wir wollen alles im Griff haben, planen und verfügbar machen. Eigentlich mag unsere Welt (und wir mittendrin) das nicht, dass Prozesse unsicher sind, ergebnisoffen, ungewiss.

Aber so ist die Zukunft nun mal: offen, ungewiss, manchmal unbegreiflich und rätselhaft.

Christus über dem Altar der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin – Foto: Horst Milde

Und dazu tritt nun das Weihnachtsfest mit dieser ganz anderen Botschaft:

  • Gott wird Mensch und verändert die Welt.
  • Das kleine Kind bringt die Botschaft der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit, die man nicht mehr herausbekommt aus der tiefen Sehnsucht der Menschen.
  • Fürchte Dich nicht. Du brauchst keine Angst zu haben vor der Unsicherheit, der Ungewissheit.
  • Du brauchst nicht ständig besser zu werden. Du bist gut so, wie Du bist.
  • Und deshalb kannst Du Dich einsetzen und die Welt gestalten.

So ist es eben, wenn ich ein Geschenk für mein Leben annehmen kann – wie das Kamel der weisen Frau.

So ist es eben, wenn ich etwas in mein Leben lasse, mit dem ich bisher – im wahrsten Sinn des Wortes – gar nicht gerechnet habe, dann bekommt das alte Versprechen einen guten Sinn.

Wer versteht, dass ein Urvertrauen in die Welt und die darin wirkende Kraft Gottes ein riesengroßes Geschenk ist, für die und den geht der Weg manchmal voller Staunen weiter.

Wer glaubt, dass unsere Fähigkeiten ein Geschenk sind, um diese Welt so verantwortlich zu gestalten, wie wir nur können, beginnt neu zu fragen und neu zu leben.

Denn die Zukunft ist immer noch unsicher. Aber das Gottvertrauen macht es möglich, trotzdem mutige Schritte zu tun.

Gerade in der Ungewissheit auf Gott zu vertrauen. Das ist das Wagnis des Glaubens. Und daran erinnern uns die Geschichten der Advents- und Weihnachtszeit: die unsichere Maria, der zweifelnde Josef, die neugierigen Weisen Männer im Osten, die Hirten am Rande der Zivilisation.

Die Bibel ist voll von den Lebenserfahrungen der Gottesgegenwart, des „Fürchte Dich nicht“, des „Ich bin bei Dir“, des „Ich schenke Euch mein Kamel“. Und unser Leben ist auch voll davon, wenn wir nur genau hinsehen.

Das Volk, das im Finsteren wandelt, sieht ein großes Licht. Und über denen, die wohnen im finsteren Lande, scheint es hell. (Jesaja 9,1)

Vielleicht ist das die Aufgabe für die sich davon anrühren lassen: Das Geschenk des Lebens, dieser Welt und unseres Gottes einfach annehmen. Zuversichtlich und ohne Angst ins neue Jahr zu gehen.

Und vielleicht sind wir dann dabei, wenn die Nachbarin gerade ein Kamel verschenkt.

Ich wünsche Ihnen eine erfüllte Advents- und Weihnachtszeit und ein Jahr 2020, in dem es für Sie gut läuft.

Peter Burkowski, Dezember 2019

*Peter Burkowski, Pfarrer und Leiter der Führungsakademie für Kirche und Diakonie in Berlin, predigt beim Ökumenischen Abendgebet in der Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Kirche am Vorabend des BERLIN-MARATHON.

Peter Burkowski läuft seit mehr als 40 Jahren, in jungen Jahren Mittelstrecken und seit 1999 Marathon.

Horst Milde

author: GRR