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2019

Als Dank für die Organisation der Kampagne „SPORTverein(t)” überrreicht der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (re.) LSB-Präsident Manfred von Richthofen (li.) und Sylvia Tromsdorf, Vorsitzende der Sportjugend Berlin, einen Scheck für den weiteren Vereinsaufbau Ost im November 1991. - Foto: Klaus Hofmann

Es wuchs zusammen, was zusammen gehörte – 30 Jahre Mauerfall: Wie sich der Berliner Sport nach der Wende schnell vereinigt hat – Von Hansjürgen Wille

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Als am 9. November 1989 um 18.53 Uhr der Politbüro-Sprecher Günter Schabowski im Fernsehen die neue DDR-Reisereglung mit den Worten „sofort, unverzüglich“ bekannt gab, war das gleichsam der Startschuss zur deutschen Wiedervereinigung, natürlich auch zu der durch Mauer und Stacheldraht geteilten Stadt Berlin.

Was sich in den spannenden Wochen und Monaten nach dem historischen Ereignis auf dem Gebiet des Sports tat, daran erinnert sich Norbert Skowronek, Direktor des Landessportbundes von 1985 bis 2012, noch so genau, als ob es erst gestern gewesen sei. Schon wenige Tage nach Öffnung der Grenze kam es zu ersten Kontakten zwischen den beiden Berliner Sportorganisationen von hüben und drüben.

Am 22. November, es war der Buß- und Bettag, nahm eine kleine Delegation des DTSB-Bezirks Ost-Berlin unter der Führung des Vorsitzenden, Rudi Ebmeyer, die Einladung des damaligen LSB-Präsidenten Manfred von Richthofen zu einem Besuch in das Haus des Sports in der Jesse-Owens-Allee an. In einem kleinen Sitzungszimmer fanden bei Kaffee und Kuchen Gespräche über  einen unbürokratischen und nicht mehr von (Ost-)Staatswegen gelenkten Sportverkehr statt. Darüber wurde anschließend in einer gut besuchten Pressekonferenz berichtet.

Nach dieser über viele Jahre hinweg für undenkbar gehaltenen Ost-West-Begegnung begann die eigentliche Arbeit. Es mussten, wie überall, zwei total unterschiedliche und auseinander gedriftete Systeme miteinander verbunden, das heißt zusammengefügt werden. Was allerdings dem Sport leichter als anderen Bereichen gelang. Dennoch taten sich eine Vielzahl von Problemen auf, die nicht zuletzt auch menschlicher Art waren.

So hieß es beispielsweise Ende 1990 in einer Mitteilung des SC Berlin-Grünau (Rudern, Kanu, Segeln) wie folgt: „Bedingt durch die Wiedervereinigung und Anpassung an die Sportförderung der neuen Bundesländer stehen uns keine finanziellen Mittel in der bisherigen Form mehr zur Verfügung. Die Clubleitung musste deshalb 113 Mitarbeiter und 35 Trainer entlassen.“  Wahrlich kein Einzelfall, wie sich sehr schnell herausstellte.

 

„30 Jahre Mauerfall” – Der Landessportbund Berlin zeigt auf seinem YouTube-Kanal ein Video, in dem die Ereignisse von damals aus Sicht des Sports dargestellt werden. Zu Wort kommt u. a. der damalige LSB-Direktor Norbert Skowronek. Video: bit.ly/MauerfallSport

Der DDR-Sport war eben anders strukturiert als der westdeutsche, wo die Vereine selbstständig, sprich unabhängig waren und zumeist von Ehrenamtlichen geleitet wurden. Im Osten gab es einerseits die staatlich unterstützten und hauptamtlich besetzten Sport-Clubs, so der Volkspolizei (SC Dynamo) und des Militärs (ASK Vorwärts), ferner die von großen Unternehmen geförderten Leistungssportclubs wie SC Empor, SC Chemie, SC Rotation, SC Wissenschaft oder SC Traktor und andererseits die vielen Betriebssportgemeinschaften, BSGen genannt, wo zwar teilweise auch auf Spitzenleistungen Wert gelegt wurde, aber ansonsten Sport auf breiter Basis stattfand. Auch hier bildeten Trägergesellschaften mit ihren Abgaben den materiellen Hintergrund und sorgten für bezahlte Kräfte.

Problem Nummer eins der neuen Situation für die Vereine aus dem Osten war, dass sie nach der Zerschlagung ihrer Zuliefer-Betriebe und dem dadurch bedingten Wegfall der bisherigen finanziellen Unterstützung jetzt zusehen mussten, wie sie überhaupt weiter existieren beziehungsweise auf eigenen Füßen stehen konnten. Dabei handelte es sich zunächst einmal um die Erlangung der steuerbegünstigenden Gemeinnützigkeit und der Förderungswürdigkeit, um so an öffentliche Fördermittel, wie zum Beispiel an Übungsleiterzuschüsse, heranzukommen.

Vier Maßnahmen standen im Vordergrund, wobei der Landessportbund stets mit Rat und Tatkraft zur Stelle war und seine jahrelange Erfahrung einbrachte.

  1. Anstellung von fünf vom Senat finanzierten und LSB geschulten Vereinsberatern, die aus dem Ostteil der Stadt kamen und bei der Formulierung einer neuer Vereinssatzung helfen sollten, damit eine ordentliche Registrierung beim Amtsgericht Charlottenburg stattfinden konnte. Rund 400 Anträge wurden gestellt.
  2. Sicherung des Ost-Jugendsports, denn die meisten Vereine besaßen relativ wenige erwachsene Mitglieder. Deshalb standen nur geringe finanzielle Mittel zur Verfügung, um den Trainings- und Spielbetrieb im Nachwuchsbereich aufrecht zu erhalten und Trainer zu finanzieren. Dazu wurde das Programm „Jugendtrainer“ geschaffen.
  3. Klärung der Trainerfrage ganz allgemein. Laut einer Statistik gab es in Ostberlin rund tausend bezahlte Kräfte. Zu viele, um sie fortan weiter zu beschäftigen. Nach vorsichtigen Schätzungen konnten höchstens fünf Prozent als Landestrainer angestellt, das heißt auch bezahlt werden.
  4. Unsicherheit bei den Sportanlagen, denn ein Teil wurde privatisiert und stand logischerweise nicht mehr zur Verfügung. Besonders Wassersportler traf es hart. Der damalige für den Sport zuständige Sportsenator, Jürgen Kleemann, versprach Hilfe. Durch die Erweiterung des Haushaltes war es möglich, Eigentum zu erwerben beziehungsweise neue Sportstätten zu errichten – nach dem Schlüssel 40 % Zuschuss, 20 % Eigenkapital, 40 % Darlehen. Für die Vereine im Westteil der Stadt galt nach wie vor, dass lediglich 20 % verlorener Zuschuss gewährt wurde.

Doch damit waren längst nicht alle Schwierigkeiten aus der Welt geschafft. Es ging um den medizinischen Bereich und vor allem um Ärzte, die wissentlich und im Auftrag des Staates systematisch Sportler durch Doping manipulierten. Und letztendlich handelte es sich auch um die inoffiziellen Mitarbeiter des MfS, die überall ihre Finger im Spiel hatten, wie die Gauck-Behörde bestätigte. Verständlich, dass Stasi-Leute keine Chance erhielten, ob nun beim Olympiastützpunkt oder in anderen Bereichen.

Erstmals führt der Berlin-Marathon durch das Brandenburger Tor am 30 9. 1990 – Foto: Bildarchiv Heinrich von der Becke im Sportmuseum Berlin

Bei zwei so unterschiedlichen Systemen bestanden natürlich gravierende Unterschiede vor allem auf dem Sektor des Leistungssports. In der DDR wurden nur all jene Verbände subventioniert und gefördert, die für Medaillen bei Olympischen Spielen sorgen konnten, um somit die Überlegenheit des sozialistischen Staats zu dokumentieren. Deshalb spielten Hockey, Tennis, Basketball, Moderner Fünfkampf, Reiten und Wasserball nur noch eine sehr untergeordnete Rolle, was sich dann auch bei der Vereinigung der beiden Stadthälften in punkto Leistungssport widerspiegelte.

Grundsätzlich lässt sich aber erfreut festhalten, dass die Vereinigung im Berliner Sport dennoch gut, zügig und schnell voranschritt, weil sehr viele kooperative Funktionäre auf der östlichen Seite vorhanden waren, die aufgeschlossen den neuen Möglichkeiten gegenüberstanden, die sich vor allem auf satzungstechnische und wirtschaftliche Hintergründe bezogen. Bei den vielen Info-Gesprächen – es waren mehr als 300 – zeichneten sich unter anderem die beiden LSB-Vertreter Manfred Stelse und André Groger aus, die mit ihrem Wissen wichtige Anregungen gaben.

Das galt selbstredend auch für den Direktor Norbert Skowronek, der sich besonders intensiv mit der Lage des schon wenige Monate nach der Wende gegründeten Landessportbunds Brandenburg beschäftigte, einer Fusion aus den ehemaligen Bezirken Potsdam, Cottbus und Frankfurt/Oder. Logischerweise existierten hier weitaus mehr Schwierigkeiten als im Ostteil Berlins.

Schon bald trat aber ein ganz spezielles Problem auf: Was geschieht mit den Vereinen (meist aus dem Speckgürtel), die zwar beim LSB Brandenburg angesiedelt waren, aber lieber am Berliner Spielbetrieb teilnehmen wollen? Oder wie handhaben es andererseits Vereine mit einer Berliner Adresse, die gern im Umland ihren Sportbetrieb auf einer erworbenen oder gepachteten Anlage ausüben wollten, was beispielsweise für die Reiter oder Golfer zutraf? Auch hierfür wurden Regelungen geschaffen, die in einem Kooperationsvertrag beider Landessportbünde 1991 ihren Ausdruck fanden.

Zudem kam es im Laufe der Jahre auch zur Vereinigung zwischen mehreren Berliner und Brandenburger Verbänden. So gibt es derzeit gemeinsame Dachorganisationen im Aikido, American Football, Badminton, Bahnengolf, Base- und Softball, Dart, Floorball, Kickboxen, Tennis, Wasserski und eben auch im Pferdesport und Golf.

Eine andere wichtige Entscheidung nach der Wende musste in Bezug auf die Existenz der Kinder- und Jugendsportschulen, in der DDR kurz KJS genannt, getroffen werden. Drei gab es in Ost-Berlin. Davon haben sich zwei inzwischen zusammengeschlossen. Während SPD- und CDU-Bildungspolitiker für eine generelle Abschaffung plädierten, kämpften Manfred von Richthofen und seine Präsidiumsmitglieder wie die Löwen für den Erhalt – zwar entideologisiert und mit neuen Konzepten versehen, aber dringend notwendig für die Talentförderung und eine gezielte Nachwuchsarbeit. Übrigens  gibt es seit einigen Jahren auch eine Eliteschule des Sports im Westteil der Stadt, beheimatet im Olympiapark. Heute sind die Eliteschulen des Sports bundesweit eine nicht mehr wegzudenkende Selbstverständlichkeit.

Ein Zeichen der Vereinigung des Berliner Sports besteht aber nicht nur in der Verlegung des Olympiastützpunkts von Charlottenburg nach Hohenschönhausen, sondern auch in der Entstehung neuer, großartiger Sportstätten im Ostteil der Stadt, wie der Mercedes Benz-Arena, der Max-Schmeling-Halle, der Schwimmhalle und des Velodrom im Europapark an der Landsberger Allee.

Was Willy Brandt einst voraussagte, trat erfreulicherweise auch im Sport ein: Es wuchs zusammen, was zusammen gehörte.

Was in 19 Monaten geschah

Stationen der Wiedervereinigung im Berliner Sport

  1. November 1989. Vier Augengespräch zwischen DSB-Präsident Hans Hansen und DTSB-Präsident Klaus Eichler im Berliner Hotel Kempinski mit dem Ergebnis, den bisherigen (sehr eingeschränkten) deutsch-deutschen Sportkalender außer Kraft zu setzen, dafür den Verbänden und Vereinen selbständige Vereinbarungen zu gestatten.
  2. November 1989. LSB-Präsident Manfred von Richthofen lud seinen Ost-Berliner Kollegen, den DTSB-Bezirksvorstand Rudi Ebmeyer, mit einer kleinen Delegation in das Haus des Sports an der Jesse Owens-Allee ein, um die zukünftige Zusammenarbeit zu besprechen.
  3. Dezember 1989. Besuch des Vorsitzenden des DTSB-Bezirks Potsdam, Helmut Klopp, und seines Stellvertreters, Günter Staffa, bei LSB-Direktor Norbert Skowronek und LSB-Referent Dietrich Dolgner.
  4. Dezember 1989. Als erster DDR-Fußballer unterzeichnet Andreas Thom (BFC Dynamo) einen Vertrag, ab 1. Februar für Bayer Leverkusen in der Bundesliga zu spielen.
  5. Januar 1990. Manfred von Richthofen regt an, dass sich die Sportmetropole Berlin um die Olympischen Spiele 2000 oder 2004 bewerben sollte.
  6. Januar 1990. In Ost-Berlin konstituiert sich der „Runde Tisch des Sports“ in der DDR.
  7. Januar 1990. Manfred Ewald tritt als NOK (Ost)-Präsident zurück, nachdem er 13 Monate zuvor diesen Schritt schon als DTSB-Chef vollzogen hatte.
  8. Januar 1990. Freudenfest der Fußballfans aus Ost und West im Olympiastadion, wo Hertha BSC vor 51 270 Zuschauern gegen den 1. FC Union 2:1 gewinnt.
  9. März. Eine Koordinierungskommission und Arbeitsgruppen zwischen dem LSB und dem Turn- und Sportbund (TSB) Ost-Berlin werden eingesetzt.
  10. Mai 1990. Berliner Sportgipfel zwischen den beiden Präsidenten aus dem Ost- und Westteil der Stadt, Dr. Wolfgang Schmahl und Manfred von Richthofen.
  11. Juni 1990. Das LSB-Präsidium beschließt das Strukturkonzept zur Zusammenführung des Berliner Sports.

29./30. Juni 1990. Letztmalig findet in Ostberlin eine Kinder- und Jugendspartakiade statt.

  1. Juli 1990. Beide Berliner Sport-Gremien aus Ost und West einigen sich auf ein gemeinsames Spitzensportkonzept, anschließend auch über ein Programm der Aus- und Weiterbildung.
  2. September 1990. Einigung über ein gemeinsames Breiten- und Freizeitsportkonzept.
  3. September 1990. Der DTSB der DDR beschließt seine Auflösung zum 5. Dezember und den Beitritt aller ostdeutschen Landessportbünde anlässlich des DSB-Bundestages am 26. Oktober in Hannover.
  4. September 1990. Historisches Marathon-Ereignis. Das Berliner Rennen führt erstmals durch das Brandenburger Tor.
  5. November 1990. Der Turn- und Sportbund (Ost-)Berlin beschließt seine Auflösung zum Ende des Jahres und ermöglicht damit den Beitritt seiner Verbände zu den LSB-Mitgliedsorganisationen. Auf Sportangler und Motorsportler trifft das allerdings nicht zu.
  6. November 1990. Bei der LSB-Mitgliederversammlung wird das Präsidium um drei Mitglieder aus Ost-Berlin erweitert, außerdem eine gezielte Vereinsberatung Ost beschlossen.
  7. Dezember 1990. Aufnahme der fünf neuen Landesverbände (Ost) in den Deutschen Sportbund.
  8. April 1991. Nach einem Senatsbeschluss werden die Jugendsportschulen (KJS) in veränderter Form weitergeführt, wofür sich von Richthofen verstärkt eingesetzt hatte.
  9. Mai 1991. Auf der LSB-Mitgliederversammlung berichtet von Richthofen, dass 70.000 neue Mitglieder aus dem Ostteil zum LSB  hinzugekommen sind, was allerdings einem Organisationsgrad von nur 5,1 Prozent entspricht (Im Westteil 377 818 = 18 Prozent).

Hansjürgen Wille in SPORT in BERLIN – Nov. – Dez. 2019

 

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author: GRR