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2019

Raenna Marathon - Medaillen 2019 - Foto: Dr. Erdmute Nieke

BRAVISSIMO – Lauf-Impressionen vom MARATHONA DI RAVENNA CITTÀ D`ARTE am 10. November 2019 von Dr. Erdmute Nieke

By GRR 0

Die Vorgeschichte ist lang!

Der Name Ravenna begegnete mir zum ersten Mal als Studentin in den neunziger Jahren in einer Vorlesung über Kirchenbau und christliche Kunst. Damals sahen wir noch Dias im Hörsaal und wir erahnten eine erhaltene Pracht von Kirchen und Mosaiken aus der Spätantike. Denn vom 4. bis zum 7. Jahrhundert war Ravenna Hauptstadt des weströmischen Reiches und auch des Ostgotenkönigs Theoderich († 526 in Ravenna).

Die zweite Begegnung mit Ravenna war vor einem guten Jahr in Wien auf der Marathonmesse. Ein Stand des Ravenna-Marathons weckte meine Neugier mit einer Sammlung von Medaillen, die mich an die Vorlesung mit den bunten Bildern erinnerte. Jede Medaille der letzten Jahre war jeweils einem Motiv aus den berühmten Mosaiken aus den Kirchen von Ravenna nachempfunden. Doch leider ein Marathon im November, relativ kurz nach dem Berlin-Marathon.

Mosaikfußboden in der Kirche San Vitale (548 geweiht) – Foto: Dr. Erdmute Nieke

Die dritte Begegnung mit Ravenna war die Idee mit meinem Mann unseren 20. Hochzeitstag in Ravenna zu feiern, dieser Tag lag in der Woche vor dem Ravenna-Marathon und in diesem Jahr konnte ich den Berlin-Marathon nicht laufen.

Das schönste Hochzeitsgeschenk, dass sich eine Läuferin nur wünschen kann! Nun bin ich im Besitz der schönsten Marathon-Medaille, die es wohl gibt!

Doch das ist schon ein Rückblick!

Die Vorbereitungen begannen mit den üblichen Buchungen. Ein Flug nach Bologna, das beste Hotel auf dem Link der Marathonseite ausgewählt und zum Marathon angemeldet. Da gab es viel Kleingedrucktes. Meine Hausärztin, die mir verboten hatte in Berlin zu starten, stempelte das Attest der Italiener mit dem Kommentar: „Im schlimmsten Fall müssen Sie abbrechen! Doch Sonne und Wärme im November kann ich immer empfehlen!“ Außerdem benötigte ich eine italienische Runcard, die es im Internet für 15 Euro gab. Da ich sehr spät dran war, war der Marathon schon in der höchsten Preiskategorie und mit 56 Euro nicht wirklich teuer. Die Meldebestätigung folgte bald. Erdmute Nieke – Berlino – war zu lesen.

Am Mittwoch vor dem Marathon verließen wir das kaltgraue Berlin und fanden uns alsbald im Zug von Bologna nach Ravenna wieder. Eine 60 Kilometer Strecke durch die Emilia Romagna: Blauer Himmel, Sonne und fast kitschige Orte, Weinfelder und Obstplantagen. Wir entdeckten Granatäpfel, Orangen und Zitronen an den Bäumen. Bei der ersten Erkundung der Altstadt von Ravenna stießen wir sofort die Quelle der Marathon-Medaillen. Anna Fietta selbst saß in ihrer Mosaikwerkstatt direkt neben der Kirche San Vitale. Sie freute sich, dass eine Marathonläuferin aus Berlin schon da war und schickte uns gleich eine Treppe hinauf und meinte, dass sich dieses Jahr so viele Läufer*innen angemeldet hätten, dass sie noch Medaillen produzieren, wir könnten zusehen. Zwei Mitarbeiter waren dabei die Glassteinchen zu schneiden. Auf großen Tischen und in Regalen lagerten fertige Mosaik-Medaillen. Außerdem beschrieb Anna Fietta mir die Stelle im Fußboden der Kirche San Vitale, wo das diesjährige Motiv herstamme.

Mosaikwerkstatt Anna Fietta – Foto: Dr. Erdmute Nieke

Der Marathon steht in diesem Jahr (21. Auflage) zum ersten Mal unter der Schirmherrschaft des UNESCO-Weltkulturerbes. Wir haben drei Tage gebraucht, um die acht Gebäude zu besuchen und zu erleben, die diesen besonderen Schutzstatus genießen. Was waren die Dias damals in der Vorlesung gegen die echten Kirchen und ihre Ausschmückung! Außerdem hatten diese drei Kulturtage den unschätzbaren Wert, die Strecke für Sonntag ganz gut kennen zu lernen. Denn diese geht in der Tat an allen acht Weltkulturerbestätten direkt vorbei.

Unser Hotel – ein  liebevoll restaurierter Palazzo aus dem 18. Jahrhundert – und die Stadt füllte sich ab Freitag Abend immer mehr mit Marathonläufer*innen. Läufer aus Österreich und Bayern erkannten sich am Frühstücksbuffet, auch ohne Laufklamotten. Ein Frau sprach mich an: „Sie sehen so aus, als wären sie wegen des Marathons hier.“ Die Marathonmesse war ein riesengroßes Zelt, die Menschen in der ganzen Stadt waren an den typischen „Sacca Deposito Indumenti“ – hier in dunkelblau – zu erkennen.

Am Samstag waren wir auf klapprigen Hotelfahrrädern 30 Kilometer unterwegs und haben das achte Weltwunder – nein – das achte Weltkulturerbe, die Basilika San Apollinare in Classe fünf Kilometer vor Ravenna besucht und das Meer in Punto Marina Terme mit einem ausgiebigen Strandspaziergang erkundet. In der Antike reichte die Adria noch bis nach Ravenna, heute ist es ein fruchtbarer Landstrich von zehn Kilometern Breite bis zum Meer. Unsere Radtour war gut, so wusste ich, was mir am Sonntag bevorstand.

 

Marathonmesse mit Anna Fietta – die Künstlerin der Medaillen – Foto: privat

Der Beginn am Sonntag um 9.30 Uhr ist angenehm zum Ausschlafen und dann auch nur 200 Meter Weg vom Hotel zum Start. Das „Sacca“ blieb gleich im Hotelzimmer. Dazu aller blauester Himmel und schon über zehn Grad und das im November! 2266 Marathonläufer*innen stehen gemischt mit 2832 Halbmarathonis, unterteilt in fünf Startblöcke und warten in der Morgensonne auf den Start. Ich laufe im grünen Block. Im letzten Block noch 8000 Läufer*innen, die den Guten-Morgen-Ravenna-10,5-Kilometer-Lauf absolvieren und 15 Minuten nach den Marathonis starten.

Die Stadt ist voller Menschen, die Straßen der Altstadt sind recht eng für das dichte Läuferfeld. Die ersten 15 Kilometer waren dennoch absolut kurzweilig mit wunderbaren Momenten. Der schönste ist vielleicht eine Kirche hinter einer besonders dicken Mauer und dann steht eine Pforte offen und zwei Nonnen schauen auf das bunte Treiben. Die jüngere hat sogar ein Handy dabei und filmt. Die Beiden freuen sich total, als ich sie der dunklen Pforte entdecke und ihnen zu winke.

Die Streckenkarte verzeichnet nicht nur die Kilometer, sondern auch die Sehenswürdigkeiten. Wir passieren alle acht Ravenna-Wunder: Zuerst die Basilika San Apollinare Nuovo, es war Theoderichs Palastkirche. Nuovo ist nicht ganz treffend.

Nach der Umrundung des Hafens kommt das Mausoleum des Theoderich, errichtet im Jahr 520, ein zehneckiger Rundbau aus hellem Kalkstein. Eingebettet ist es in eine grüne und große Parkanlage, durch die wir laufen. Auf der Eisenbahnbrücke hinter dem Mausoleum des Theoderich kommen uns die Guten-Morgen-Läufer*innen entgegen, doch was ist das? Sie gehen und rennen nicht!

Weiter geht es durch einen ziemlich schmalen Kirchhof. Hier steht das Baptisterium (Taufkapelle) der Arianer. Auch dieses Gotteshaus ist unter Theoderich errichtet. Diesmal ein achteckiger Rundbau aus Backstein mit Mosaiken zur Taufe Jesu im Jordan.

Dann passieren wir mein Lieblings-Ravenna-Wunder: Das Mausoleum der Kaiserin Galla Placidia. Ein kleiner und zierlicher Backsteinbau ist innen über und über mit feinsten Mosaiken geschmückt und gedämpftes Tageslicht fällt durch Fenster aus dünnem Marmor. Leider ließ sich die Kaiserin dieses Monument umsonst errichten. Sie verstarb 450 in Rom und ist wohl da begraben wurden.

Direkt neben dem Mausoleum die Kirche San Vitale mit dem berühmten Fußbodenmosaik. Geweiht ist die Kirche im Jahr 548.

Dr. Erdmute Nieke im grünen Startblock – Foto: Thomas Fricke

Im fröhlichen Zickzack geht es weiter durch die Stadt, wir passieren den Dom mit der bischöflichen Kapelle San Andrea, eine kleine Privatkapelle – wieder voller Mosaike – im Original aus dem 5. Jahrhundert erhalten. Neben dem Dom steht ein zweites Baptisterium, wieder aus dem Anfang des 5. Jahrhunderts, wieder Mosaiken und dazu ein Taufbecken für Ganzkörpertaufen, die übliche Taufform der Antike.

Mitgezählt? Sieben der acht Unesco-Stätten haben wir passiert. Zwischen diesen Kunstdenkmälern der Antike stehen verschiedene Bands an der Strecke und sorgen mit vielen Zuschauern für gute Stimmung. Dazu immer wieder Rufe FORZA! FORZA! und BRAVO, BRAVISSIMO. Alle fünf Kilometer gibt es Wasser und Tee, dann bei Kilometer 15 vor der letzten Weltkulturerbestätte, der Basilika San Apollinare in Classe, es ist wahr: Es gibt Kuchen! Dazu geschnittene Orangenstücke und Zitronen und Rosinen. Ein Helfer freut sich, als er auf meiner Startnummer das schwarz-rot-goldene Zeichen entdeckt und mir auf deutsch seine Kuchenstückchen anpreist. Doch ich bleibe lieber bei meiner eigenen Taschenversorgung mit den Nuss-Honig-Schnitten.

Ab Kilometer 17 ändert sich die Stimmung. Die Halbmarathonis laufen Richtung Ziel und wir dürfen ab ans Meer. Die Strecke besteht aus Sonne und Landstraße und Einsamkeit. Am Vortag waren wir mit dem Fahrrad hier unterwegs. Viele Läufer beginnen schon hier zu gehen, keiner läuft in meinem Tempo. Ich habe auf der ersten Hälfte mal wieder meinen alten Fehler gemacht und mich viel zu schnell mitreisen lassen: Die Sehenswürdigkeiten, die Stimmung, die vielen Menschen. Nun werde ich dafür ein wenig bestraft. Die Pacer für 4:45 und 5:00 – die übrigens alle auf der Marathonmesse auf einer riesigen Wand mit Namen und Fotos abgebildet waren – muss ich ziehen lassen. Ich werde immer langsamer, mein Puls jedoch nicht. Es beginnt das Spiel, ich überhole Läufer, die gehen und diese überholen mich dann wieder, wenn sie rennen. Fast zehn Kilometer geht es auf einer Pendelstrecke ans Meer. Die Ablenkung sind auf dem Hinweg noch die Drei-Stunden-Läufer, die entgegen kommen. Einige wenige Läufer sprechen englisch oder deutsch. Die Ravennesen scheinen sich alle zu kennen, wenn einer auf der Pendelstrecke entgegen kommt, gibt es immer viele und laute Begrüßungen, oft mit dem berühmten FORZA! FORZA!-Rufen. Irgendwie ist es auch mal schön, nichts zu verstehen.

Am Versorgungsstand Kilometer 30 ist eine ältere Frau, die liebevoll meinen Namen auf meinem T-Shirt entziffert. Eine wohltuender Abwechslung. Denn was mache ich auf dieser einsamen Landstraße zwischen Ravenna und der Adria, in der viel zu warmen Sonne? Meine Gedanken gehen zu der blau-goldenen Medaille, die ich erlaufen will und weg von den Worten meiner Ärztin.

An einem einsamen Gehöft gibt es noch einen musikalischen Höhepunkt. Eine Harfenistin und ein Flötist spielen sehr schön, fast schon zu beruhigend. Dann noch ein Traktorfahrer, der sein Feld am Sonntag pflügt. Endlich kommt das Ortseingangsschild von Ravenna. Wir müssen ein zweites Mal um den Hafen und noch einmal am Mausoleum von Theoderich vorbei und dann geht es auf der Via di Roma in den Zieleinlauf. Die Laufstrecke ist schon sehr leer, dafür gehen Viele bereits heim und feuern uns an. Im Ziel steht mein Mann Thomas und dann das Zieltor – Marathonis laufen auf der Mitte auf dem weißen Teppich. Der Zieleinlauf ist in den italienischen Farben rot – weiß – grün gehalten.

UND: Noch auf dem weißen Teppich erhalte ich SIE: Diese einmalige, handgemachte Medaille mit dem blau-goldenen Mosaik! Jetzt nicht heulen!

An diesem letzten Abend in Ravenna schmeckt der Grappa und die frisch gemachten Pasta besonders gut!

FAZIT: Marathona di Ravenna – das sind 42,195 Kilometer Kultur und Kunst und Geschichte auf UNSESCO-Weltkulturerbe-Niveau – Sonne satt mit Orangen – einsames Laufen – fröhliche Menschen – die allerschönste Medaille.

RAVENNA – das ist einfach nur BRAVISSIMO!

Dr. Erdmute Nieke

 

 

 

 

 

 

 

 

author: GRR