Mit einem Riesenaufwand und fast unbegrenzten finanziellen Ressourcen wurde aus „Breaking 2“ im Mai 2017 das „INEOS1:59-Projekt“, das der britischen Milliadär Jim Ratcliffe – hat nichts mir der Lauflegende Paula Radcliffe gemein – initiert hat (und bezahlen wird).
Nachdem zunächst London und dann auch der Berliner Tiergarten im Gespräch waren, wird das mit einem erheblichen Hype in den Medien propagierte Spektakel im Prater der österreichischen Hauptstadt vermutlich in den frühen Morgenstunden gestartet. Im Gegensatz zum Vorgänger auf der Autorennbahn in Monza hält man in metikulöser Beobachtung der metereologischen Bedingungen den genauen Starttermin offen; basierend auf Kipchoges üblichen Trainingszeiten werden sich die Zuschauer vermutlich früh auf die Socken machen müssen.
Die Wettervorhersage für das kommende Wochenende mit den Daten für den 12. Oktober 2019 um 8 Uhr Ortszeit. (c) wunderground.com
Neben einem Team von London Marathon zeichnen die Organisatoren des Wien Marathon für das Spektakel verantwortlich und sehen in der Tempohatz im Vergnügungspark mit den Worten des Race Directors vom Wien Marathon, Wolfgang Konrad, „das bedeutendeste Sportereignis, das je in der Hauptstadt stattgefunden hat.“ In Sachen „Sport“ kann man das sicher anzweifeln, als „Event“ mit einer gewaltigen Marketing-Maschinerie im Rücken liegt Konrad sicher schon weniger daneben. Sein Vienna City Marathon (VCM) wird ohne Zweifel einen erheblichen Boost an Popularität bekommen, entsprechend erfolgt der Start an der Stelle des VCM auf der Reichsbrücke, bevor es für Kipchoge und sein Gefolge auf die Runden durch den Prater geht.
Was dann am Ende das ganze Unterfangen wemauchimmer bringt, erscheint allerdings mehr als fraglich.
So attraktiv die bis vor kurzem als kaum realistisch zu knackende Barriere von 2 Stunden für einen (vollen) Marathon auch immer sein mag, das Projekt in Wien ist leider wieder so angelegt, dass es – wie schon 2017 in Monza – nicht Regel konform über die Bühne gehen soll. Zu einem „Bannister des Marathonlaufs“ wird somit Eliud damit nicht werden. Während die Meilen-Legende am 6. Mai 1954 eine Traumgrenze der Leichtathletik in allen Belangen sportlich korrekt unterbot und damit zu Recht zur sporthistorischen Ikone wurde, wird Kipchoges Anrennen gegen ein weiteres Limit des Laufsports letztlich ein Muster ohne Wert darstellen.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie der Geschichte, dass fast ein Jahr zuvor Bannister noch an den 4 Minuten knapp scheiterte und der erzielte Landesrekord nicht anerkannt werden konnte, weil der Tempomacher Brasher sich überrunden ließ und nochmals ins Rennen eingriff. Bei Kichoge wird es gleich eine ganze Armada von „Hasen“ sein, die den Lauf zur Farce machen. Ohne weitere Diskussion sei dieszüglich angemerkt, dass die strömungsphysikalischen Effekte der Schrittmacher mitnichten erschöpfend behandelt scheinen.
Zudem stehen diese in so engem Bezug mit thermodynamischen Beiträgen zur Dissipation von Energie der Wärmekraftmaschine Mensch, dass ohne Sicht auf den Gesamtkomplex leichtfertig unangemessene Schlüsse abgeleitet werden. Das viele Geld für die Hasen hätte man sich dann zu einem größeren Anteil sparen können.
Die geringe Nachhaltigkeit der schon fast vergessenen Aktion auf dem Autodrome in Monza wird auch dem INEOS1:59-Projekt drohen, so wie sich z.B. auch niemand mehr an den 100 m-Lauf mit „Weltrekord“ von 9,45 sec durch Justin Gatlin in einer japanischen TV-Sendung erinnert, der mit massiver Unterstützung von Windmaschinen gefördert wurde. Sobald man den Pfad des Regelwerks verlässt, gibt es kaum noch Grenzen der leistungsfördernden Unterstützung. Deshalb ist es auch wenig konsequent, wenn Kipchoge das Regime des Erlaubten mit wechselnden Tempomachern und weiteren kleinen Hilfen nur sehr begrenzt überschreitet. Erst kürzlich wurde ein Marathon aus der spanischen Sierra ins 1900 m tiefer gelegene Granada gestartet, wo ein kenianischer Nobody bis fast 30 km ein 2 Stundentempo halten konnte.