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2019

The women's start at the DOHA WM marathon - 2019 World Outdoor Championships Doha, Qatar Sept27-Oct 06, 2019 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com

GRR-Kommentar zu den Langstrecken- und Geher-Wettbewerbe der WM in DOHA 2019

By GRR 0

„Katastrophe in Katar“ überschreibt die Berliner Tageszeitung „Der TAGESPIEGEL“ seine Kolumne über die WM 2019 in DOHA am Montag, dem 30. September 2019, der meistgehörteste Popsender SWR brachte dies noch kürzer auf den Punkt mit „Kata(r)strophe“.

„Die Leichtathleten leiden bei der WM Katastrophe in Katar“ schreibt Laurenz Schreiner in seinem Tagesspiegel-Kommentar. „Wer die naive Hoffnung hatte, dass die WM in Doha doch gar nicht so schlimm wird, weiß es nach den ersten Tagen besser“.

Und weiter in diesem vielbeachteten Beitrag. „Die Leichtathletik-WM hat erst am Freitag begonnen, doch schon jetzt ist sie eine Katastrophe. Denn in Doha zeigt sich in beeindruckender Weise, was passiert, wenn Funktionären bei der Planung von Großevents Sportler und Zuschauer vollkommen egal sind. Was ist das überhaupt für eine wahnsinnige Idee, eine Leichtathletik-WM im Wüstenstaat Katar stattfinden zu lassen?“

„Es klingt wie ein Projekt vom Konzeptkünstler Christo oder ein Gag im Programm von Comedian Oliver Pocher, ist aber tatsächlich Realität im internationalen Sportkalender 2019. Naive Hoffnungen, es würde doch gar nicht so schlimm in Katar werden, können nach den ersten Tagen bereits verworfen werden“.

Besonders leiden die Langstreckenläufer, die Marathonläufer und die Geher. „Da draußen haben sie uns in einen Backofen geschoben. Sie haben aus uns Meerschweinchen gemacht, Versuchstiere“, sagte der französische Geher Yohann Diniz, der sein Rennen nach nicht einmal 20 Kilometern abbrach.

„Furchtbar lief auch der Marathon der Frauen. Bei 32 Grad und 73 Prozent Luftfeuchtigkeit gaben 28 von 68 Läuferinnen auf. „Es war schrecklich. Ich habe mich noch nie so schlecht gefühlt“, sagte die italienische Spitzenläuferin Sara Dossena.

Die Gesundheit der Sportler scheint dem Leichtathletik-Weltverband IAAF weniger wert zu sein als die Zusatzmillionen, die Katar gewiss im Gegensatz zu den Bewerbungen von Barcelona und Eugene wohl zugesagt hat.

So – und ähnlich in anderen Kommentaren, die wir auch noch auflisten, wird über die Langstreckler und Geher berichtet, die außerhalb des gekühlten Stadions ihre Leistungen erbringen müssen. Es kann doch nicht sein, dass Hindernis-Ass Gesa Felicitas Krause oder 5000 m-Läufer wie Richard Ringer eher beiläufig erwähnen (müssen), dass sie noch keinen Schritt aus dem Hotel gemacht hätten und das Laufband im Fitnesscenter zur Laufarena machen mussten.

German Road Races als die „Stimme des Laufsports“, muss das Vorgehen der Ausrichter und des Leichtathletik-Weltverbandes (IAAF) anprangern. Auf die Gesundheit der Athleten wird überhaupt keine Rücksicht genommen, sondern es regiert alleine der Profit.

Es sind die Stimmen der Medien, die die Vorkommnisse anprangern, nicht die Fachverbände, nicht die Trainer – und auch nicht die Betroffenen selbst. Mit wenigen Ausnahmen, die den Mut zur Wahrheit haben.

Haile Gebrselassie, Präsident des Äthiopischen LA-Verbandes, verlangte eine Verlegung dieser Wettbewerbe – oder sogar die Absage. Die drei eigenen äthiopischen Marathonläuferinnen, die nun wirklich Hitze gewohnt sind, gehörten zu den Läuferinnen, die aufgeben mussten. Es grenze an „Körperverletzung“, die Athleten bei diesen Bedingungen in den Wettkampf zu schicken, selbst wenn die IAAF Ärzte-Kommission das „GO“ für den Lauf zwei Stunden vor Start gegeben hat.

Haile Gebrselassie bei einem seiner Siege in Berlin – verlangte eine Verlegung dieser Wettbewerbe – oder sogar die Absage. Foto: Victah Sailer

IAAF-Präsident Sebastian Coe hat versprochen, dass die Gesundheit der Läufer im Marathon und bei den Gehwettbewerben der Weltmeisterschaften im Vordergrund stehen wird, er hat aber keine Pläne, um die Marathonläufe bei den Weltmeisterschaften wegen der Hitze zu annullieren, schreibt das Online-Marathon „Inside the Games“

Coe hatte stets die Bedeutung der Gesundheit der Athleten bei den Marathon- und Laufveranstaltungen der WM bekräftigt, aber eine Absage der Wettbewerbe wegen einer Luftfeuchtigkeit von mehr als 80 Grad ausgeschlossen.

„Unsere medizinischen Teams werden darauf achten“, versprach Coe. „Wärme ist eigentlich nicht das große Thema – eindeutig geht es um Feuchtigkeit. „Jeder, der gelaufen ist, weiß, dass man mit Hitze umgehen kann, aber Feuchtigkeit ist eine echte Herausforderung.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt Michael Reinsch „Schon der Marathon zeigt den Irrsinn, diese Leichtathletik-WM nach Qatar zu vergeben. 28 der 68 Läuferinnen müssen vor dem Ziel aufgeben, im Ziel sinken zahlreiche Athletinnen erschöpft in Rollstühle. Die Ärzte hatten alle Hände voll zu tun im Ziel des Marathons.  Die Digitaluhr über dem Zielstrich zeigte die schlechteste Siegeszeit aller bisherigen Weltmeisterschaften an, 2:32:42 Stunden. Schneller als alle anderen galt es bei diesem Rennen zu laufen, doch langsam genug, um nicht Opfer der Hitze zu werden. Zwar hatten die Veranstalter den Lauf, wie das Gehen und den Marathon der Männer, die noch folgen werden, vom Tag in die Nacht verlegt, um der Sonne und damit der größten Hitze zu entgehen. Doch selbst nach Mitternacht sank die Temperatur kaum unter 30 Grad Celsius, bei hoher Luftfeuchtigkeit“.

Es gab zwar Bilder der Läuferinnen im Internet, die weggetragen oder im Rollstuhl abtransportiert werden mussten, aber keineswegs im Fernsehen, da das von der Regie „zensiert“ wurde, weil es dem Image von Titelkämpfen von hohem Rang offensichtlich schaden würde.

Die Marathon-Europameisterin Volha Mazuronak aus Weißrussland, die bei ihrem Siegeslauf in Berlin 2018 ein massives Nasenbluten überstand, blieb nach einem langen Solo-Lauf mit 2:36:21 Uhr auf dem fünften Platz. Aber sie kritisierte den Ort und das Timing des Rennens. „Die Feuchtigkeit tötet dich“, sagte sie. „Es gibt nichts zu atmen – ich dachte, ich würde es nicht beenden, es ist Respektlosigkeit gegenüber den Athleten. Ein Haufen hochrangiger Beamter versammelte sich und entschied, dass gestartet werden kann, aber sie sitzen in der Kälte und schlafen wahrscheinlich gerade“.

Von Kevin Mayer, dem französischen Zehnkampf-Weltrekordler hörte man im Fernsehen lakonisch, dass der Veranstalter überhaupt nicht die Interessen der beteiligten Sportler beachtet hat, alles andere scheint wichtiger zu sein, die Athleten als die eigentlichen Hauptpersonen sind Nebensache. Wenn die Athleten bis zu ihrem Start nur in Hotelzimmern ausharren, nicht ihre finale Vorbereitung „outdoor“ durchführen können, dann ist wohl der Austragungsort dieser WM definitiv der falsche Ort.

Übrigens, Katar wird leider kein Einzelfall bleiben, denn die Wetter-Hitze-Verhältnisse bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020 werden ähnlich sein. Siehe dazu auch die GRR-Beiträge von Brett Larner (Japan Running News).

German Road Races fordert den DLV als zuständigen Fachverband, der leider aber keine Stimme im Council der IAAF hat, auf, seiner Verantwortung für die Gesundheit der Aktiven bewusst zu sein und sich umgehend diesem Thema für Tokio anzunehmen und Veränderung seitens der IAAF/IOC einzufordern. Tut er dieses nicht, dann wäre es an der Zeit, in Verbindung mit den Medien massiven Druck auf den Verband und dessen Funktionären auszuüben.  

Heute am Freitag (4. Oktober) schreibt der TAGESSPIEGEL, dass diese Weltmeisterschaften „ins Leere gelaufen“ seien – und belegt dies mit einem Foto (sogar auf der Titelseite!) mit leeren Sitzplätzen im Khalifa-Stadion. „Unbenutzte Plätze, schlechte Stimmung und zu große Hitze: Die Leichtathletik-Weltmeisterschaft im Wüstenstatt Katar gerät zum Desaster“.

Zusätzlich ergänzt der Tagespiegel in einem langen Beitrag, der mit einem großen Foto einer zusammengebrochenen Läuferin auf einem Rollstuhl versehen ist, dass Präsident Coe mit der Veranstaltung zufrieden sei. „Coe bezeichnete die Hitze zwar als Herausforderung, lobte aber die „hervorragende medizinische Versorgung“ am Streckenrand.

Der ehemalige Präsident des DLV, Dr. Clemens Prokop sieht das anders: „Katar ist eine Warnung, dass es so nicht weitergehen darf. „Notfalls müsse man überlegen“, so Prokop weiter, „wenn eine WM-Stadt in einer heißen Klimazone liege, Marathon und Gehen in ein anderes Land zu verlegen“. Das entspräche auch dem Vorschlag von Haile Gebrselassie.

Die IAAF wird, wie die weiteren Aussagen von Coe im Tagesspiegel eindrücklich zeigen, nicht einsichtig sein. Deshalb muss von allen Seiten Druck auf den Weltverband und die Funktionäre der nationalen Fachverbände ausgeübt werden, damit die Gesundheit der Aktiven besser geschützt werden kann.

Siehe auch das Interview von Haile Gebrselassie auf GRR:

Haile Gebrselassie sagt, dass Athletinnen hätten sterben können, wegen der Hitzeverhältnisse bei Weltmeisterschaften von Doha 2019

https://germanroadraces.de/?p=136524

Horst Milde
Vorsitzender
German Road Races (GRR) e.V.

 

 

 

 

 

author: GRR