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25
08
2019

Karsten Warholm - 2018 MonteCarlo Diamond League MonteCarlo, Monaco July 20, 2018 Photo: Victah Sailer

Das zehnte Hindernis – Comeback der 400 Meter Hürden – Von KLAUS BLUME

By GRR 0

Der allenfalls von ihm bemerkte Fehler an Hürde zehn, ärgerte sich Edwin Moses, habe er schon an Hürde acht kommen sehen. Trotzdem hatte es noch zu wahnsinnigen 47,02 Sekunden gereicht – Weltrekord!

Gelaufen am 31. August 1983 auf dem Oberwerth zu Koblenz.

Über 400 Meter Hürden, den „Killer-Event“, wie der Amerikaner Moses diese Disziplin nennt. Myrella Moses schaute ihren Mann skeptisch an: „Dann hast du ja einen ganzen Winter Zeit, um dran herum zu basteln.“

Ja, die letzte Hürde.

„Ich hätte gern gewusst, wie schnell ich gewesen wäre, wenn ich die zehnte Hürde nicht verpasst hätte“, fragte sich Karsten Warholm. Dennoch hatte es zu fantastischen 47,12 Sekunden gereicht – Europarekord! Erzielt am 20. Juli 2019 in London. Trotzdem haderte der erst 23-jährige Norweger mit sich. Er sei mit dem falschen Bein an die letzte der zehn Hürden gestoßen, danach sei – auf den letzte vierzig Metern – alles durcheinander geraten. 

Ja, die zehnte Hürde. Irgendwann sei es ihm gelungen, diese Zahl auszublenden, und durch eine andere, nämlich durch 46,80 Sekunden, zu ersetzen. Erzählte Moses‘ Landsmann Kevin Young in den neunziger Jahren. Gesagt, getan – und das ausgerechnet im olympischen Finale von Barcelona, am 6. August 1992. Da passte sogar Youngs irrer Wechsel von zwölf auf dreizehn Schritte zwischen den Hürden. Im Ziel wurde er mit 46,78 Sekunden gestoppt -Weltrekord! Bis heute. 

Ein Rekord für die Ewigkeit?

Warholms Höllen-Trip in London hätte, dem er am letzten Samstag in Paris hervorragende 47,26 hinzu fügte,  ihn auch in den Himmel schießen können. Zu einer Fabelzeit ungeahnter Klasse. Dazu verstieg sich der Brite Colin Jackson, einst der Welt schnellster Hürdensprinter über 110 Meter. Dann setzte der Waliser noch einen drauf: „Warholm  hat nicht nur das Potenzial, zu einem der Besten seiner Disziplin aufzusteigen, sondern zu einem der größten Athleten aller Zeiten zu werden.“

Dann, so Jackson, würde die Welt endlich auch wieder über jene Männer reden, die sich auf einer Distanz duellieren, die man in Großbritannien respektvoll die „männermordende“ nennt. So etwas gab es einmal. Doch das Jahrzehnt der Duelle in den 1980er Jahren zwischen Edwin Moses und Harald Schmid aus dem hessischen Gelnhausen ist Geschichte. Längst stehen die 400 Meter Hürden nicht mehr im Blickpunkt heißer Läufer-Sommer.

 

Harald Schmidt (lks.) und Edwin Moses bei den Weltmeisterschaften 1987 – Foto: Victah Sailer

Warum auch? Es ist ja auch keine Disziplin, die man einfach mal so betreiben könnte. Kurz nach Feierabend der eigenen Fitness wegen. So, wie Jogger es halten, die sich zu ernsthaften Marathonläufern mausern. Oder zu Triathleten. Alles machbar.

Aber 400 Meter Hürden? Niemals.

Doch die Disziplin scheint erneut an Fahrt aufzunehmen. Steht sie doch wider Erwarten nicht nur im Programm der großen Diamond-Meetings, sondern am 1. September auch wieder beim ISTAF in Berlin auf dem Zettel. Als sogenannte Comeback-Strecke, wie es der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) wünschte. Was daran erinnern soll, dass im Berlin der 1980er Jahre sechsmal, der ehemals mit einer Berlinerin verheiratete Edwin Moses gewann.

Aber denken Sie immer nur an die zehnte Hürde! „Das willst du wirklich nicht erleben“, sagt Warholm. Aber ihn, den ehemaligen Zehnkämpfer, habe diese Herausforderung gereizt. „Aber auch, weil ich jung und dumm bin und einfach nur darauf loslaufe“, behauptet der 23-jährige. Aber auch, weil er als einstiger Mehrkämpfer beim Laufen ohne und mit Hürden seinen Körper geradezu intuitiv einsetze, ohne seine Bewegungen vom Kopf her zu lenken. Beobachtete sein 62-jähriger Trainer Leif Olav Alnes. Ein äußerst erfahrener Coach.

Aber sie sind wohl allesamt verrückte Typen, diese „Langhürdler“, wie Alnes die 400-Meter-Hürdenläufer nennt. Von Moses bis heute. Nicht nur Warholm hatte, trotz seiner erst 23 Jahre, schon ein anderes Leben als Leichtathlet hinter sich, als er zum Hürdenlauf wechselte.

Auch Alderrahman Samba, Warholms wohl stärkster Widersacher, hatte sich zuvor erfolgreich in einer anderen Disziplin versucht – im Hochsprung. Immerhin 1,90 Meter als Bestleistung hatte der 23jährige Mauretanier aus Katar zu Buche stehen, als er 2017 sein erstes Rennen über 400 Meter Hürden absolvierte. Danach entschied er sich zwischen Hochsprung und Hürdenlauf. Es lohnte sich. Letztes Jahr in Paris rückte er mit 46,98 Sekunden Kevin Youngs Weltrekord ganz dicht auf die Pelle. Und war nach Young damit der Zweite, der diese verrückte Strecke unter 47 Sekunden schaffte. 

Man müsse nur noch etwas mehr für den Anlauf zur zehnten Hürde tun. Dann könnte es mit dem Weltrekord klappen, hofft sein südafrikanischer Coach Hennie Kotze. 

Wenn da nur nicht die zehnte Hürde wäre.

Klaus Blume
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