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08
2019

Gesa Krause - 2018 MonteCarlo Diamond League MonteCarlo, Monaco July 20, 2018 Photo: Victah Sailer

Hindernisläuferin vor Olympia: Die großen und kleinen Opfer der Gesa Krause – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Auf Kurs Richtung Tokio: Wer bei Olympischen Spielen obenauf sein will, und genau das will Gesa Krause, muss sein Leben ganz und gar auf den Sport ausrichten  

Trainieren in dünner Luft: Für eine Olympiamedaille in Tokio setzt 3000-Meter-Hindernisläuferin Gesa Krause alles auf eine Karte. Ihre Vorbereitung auf den Tag X hat schon im vergangenen Herbst begonnen.

Am Samstag vor zwei Wochen ist Gesa Krause 27 Jahre alt geworden. „Es war ein Sportlergeburtstag“, sagt sie, „an dem man auf dem Zimmer sitzt und ein Stück Kuchen isst, aber nicht rausgeht.“ Das kleine Opfer, der Verzicht auf eine lange, fröhliche Nacht mit Freunden und Familie, wurde angemessen belohnt. Die Europameisterin im Hindernislauf über 3000 Meter gewann am nächsten Tag mit einem entschlossenen Solo zum vierten Mal nacheinander die deutsche Meisterschaft. Die 35.000 Zuschauer im Olympiastadion von Berlin waren auf den Beinen und feierten sie mit La Ola.

Das große Opfer begann im Herbst vergangenen Jahres. Da war ihr Jahresurlaub vorüber und sie stieg ein in die Vorbereitung dessen, was der Höhepunkt ihrer Karriere werden soll: die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Angesprochen auf die wegen der Hitze am Golf erst Ende September beginnenden Leichtathletik- Weltmeisterschaften von Doha, sagte Gesa Krause, dass sie gerade von vier Wochen Trainingslager in Davos komme, wo sie sehr hart trainiert habe, dass sie bald wieder in die Höhe reise und erst am Anfang dieser sehr langen Saison stehe.

Saison, das bedeutet, dass die Läuferin nun wieder Wettkämpfe bestreitet. Ihr Sieg bei den deutschen Meisterschaften war ihr erster, ihr Sieg bei der Team-Europameisterschaft eine Woche darauf in Bydgoszcz war ihr zweiter und ihr Start beim Sportfest der Diamond League in Birmingham an diesem Sonntag wird ihr dritter Start der Saison sein.

„Seit Anfang Oktober habe ich durchtrainiert“, sagt sie. „Ich hatte keinen trainingsfreien Tag seit Mitte Oktober.“ Nach den Weltmeisterschaften wird sie kurz verschnaufen, dann geht das Training wieder los, diesmal zur Abwechslung in Boulder (Colorado) in den Rocky Mountains, wo sie bisher noch nie war.

Wolfgang Heinig, ihr Trainer, bereitet Gesa Krause nicht über Wochen und Monate auf die Olympischen Spiele vor, sondern über Jahre. In den neun Monaten seit Dezember war sie fünf Mal im Höhentraining, zusammengerechnet etwa sechs Monate lang: in den Alpen, im kenianischen und äthiopischen Hochland sowie in Potchefstroom in Südafrika. Was nach Ferien klingt, bedeutet harte Arbeit: rund 170 Kilometer pro Woche läuft sie in der dünnen Luft, in einem Ambiente, in dem untrainierte Menschen beim Treppensteigen oder Spazierengehen nach Luft schnappen. Es gebe Tage, verrät sie, an denen sie den Kopf am liebsten in den Sand stecken möchte.

Gesa Krause bestreitet, dass in ihrem Leben etwas zu kurz kommt. „Es gehört zum Sport, ihm alles unterzuordnen“, sagt sie in der ihr eigenen Konsequenz. Studium oder Berufsausbildung?

Wie soll das gehen, wenn man bis zu acht Monate im Jahr fernab der Zivilisation trainiert? „Ich habe alles auf die Karte Sport gesetzt“, sagt Gesa Krause. In Frankfurt hat sie gemeinsam mit ihrem Freund zwar eine Wohnung. „Ich fühle mich gar nicht richtig heimisch dort, weil ich so viel unterwegs bin“, sagt sie. „Ich habe gar nicht die Chance, mich einzuleben, mal den Kühlschrank zu füllen, weil ich immer gleich wieder abreise zu Wettkämpfen oder in Trainingslager. Aber in einem Jahr warten meine dritten Olympischen Spiele. Da will ich erfolgreich sein. Dafür muss man Opfer bringen. Dafür steht die Wohnung des öfteren mal leer; das gehört dazu.“  

Selbst ihr Vater staunt über diesen Ehrgeiz. Was es sei, das sie antreibe, fragte er am Geburtstagswochenende. Und sie konnte kaum in Wort fassen, was tief in ihr steckt und verlangt, dass sie noch schneller rennt und noch mehr gewinnt. „Ich hoffe, dass sich das am Tag X auszahlt“, sagt sie.

Tag X ist Donnerstag, der 6. August 2020. In Hitze und Schwüle wird dann im Olympiastadion von Tokio das Finale über 3000 Meter Hindernis ausgetragen werden. Gesa Krause will nicht nur dabei sein. Sie will um eine Medaille kämpfen.

Bei den Weltmeisterschaften von Peking 2015 zeigte sie, was für eine Kämpferin sie ist: im Endspurt auf der Zielgeraden lief sie den Besten der Welt davon, wurde erst kurz vor dem Ziel eingeholt und wurde knapp Dritte. Sie war fassungslos vor Glück. Im folgenden Jahr gewann sie die „kleine“ Europameisterschaft, die vor den Olympischen Spielen von Rio, bei denen sie Sechste wurde und den deutschen Rekord auf 9:18,41 Minuten verbesserte.

Zwei Jahre darauf, in Berlin, gewann sie die „große“ Europameisterschaft, den Saisonhöhepunkt. Da hielt sie schon seit einem Jahr den deutschen Rekord von 9:11,85 Minuten. Nicht nur als Siegerin ist Gesa Krause berühmt geworden, sondern auch als Stehaufmännchen. Als eine Konkurrentin sie bei der WM von London 2017 zu Fall brachte, sie einen Schlag an den Kopf bekam und sich trotzdem aufrappelte und als Neunte ins Ziel kämpfte, zeigte die 1,67 Meter große Kämpferin, aus welchem Holz sie geschnitzt ist. 

Nun also gilt es, mit Kämpferherz, effektiver Sprungtechnik und langem Atem Olympia anzugehen. „Ich habe viel erreicht und will mehr erreichen“, sagt sie. „Ich will vorne mitmischen.“ Nur fünf Frauen, vier gebürtige Kenianerinnen und eine Russin, haben die siebeneinhalb Runden mit jeweils vier massiven Hindernissen und dem Wassergraben schon in weniger als neun Minuten absolviert. Der Weltrekord, den Beatrice Chepkoech im vergangenen Jahr auf 8:44,32 Minuten drückte, ist so phantastisch wie unerreichbar. Doch wer zwischen 9:00 und 9:06 Minuten laufen kann, sind Gesa Krause und Wolfgang Heinig überzeugt, könnte in Tokio, je nach Rennverlauf, eine Chance haben. Dafür arbeiten sie, fern der Heimat, in dünner Luft. Der deutsche Rekord soll endlich, endlich, unter 9:10 Minuten getrieben werden.

Was nach Tokio kommt? Heinig ist bereits Rentner; er wird voraussichtlich Schluss machen. Gesa Krause will sich lange, lange Ferien gönnen – ein halbes Jahr. Man wünscht ihr, dass sie etwas zu feiern haben wird zu deren Beginn.

Und ahnt, dass sie nicht in die Berge reisen wird.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 18. August 2019

 

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