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09
07
2019

Wenn man bei Olympia die Wünsche der Fans und Medien erfüllen will - Foto: Lothar Pöhlitz

Ein Nachfolger von DLV-Chefbundestrainer Gonschinska ist gefunden, „ein Sport-Ingenieur“. Ein Kommentar von Lothar Pöhlitz*

By GRR 0

Wenn uns die Welt davonläuft denken zu viele zuerst an Doping der anderen und nicht an die eigenen Versäumnisse und Probleme.

„Weltklasse in allen Altersklassen“ hat sich der DLV vor einigen Jahren auf die Fahnen geschrieben.

Wenn aber Hochbegabte nicht schon im Kindesalter – wie im Turnen, Schwimmen oder der Sportgymnastik – „Basisausgebildet“ werden, täglich trainieren, ein Sport-Gymnasium besuchen, wird es auch in Zukunft sehr schwer beispielsweise gegen Läufer Medaillen zu gewinnen die derzeit bereits 1:42 / 1:57 – 3:26 / 3:58 – 12:37 / 14:28 – 7:53 / 8:58 – 26:17 / 30:30 oder 2:03 / 2:18 können.

Alle im Leistungssport wissen das der Weg zu Medaillen in jedem Alter, in allen Sportarten, steinig, uneben und lang ist, Entbehrungen verlangt, begabte Talente und Profi-Trainer für Erfolge in jeder Sportart, auch im Mittel- und Langstreckenlauf, braucht.

Nicht nur die Fans, auch „viele im Untergrund“ wundern sich das die gemeldeten Ergebnisse den positiven Vorschauen zu selten gerecht werden und fragen sich warum wir es nicht schaffen die Distanz zur Weltspitze schneller zu verringern. Und wenn Topleistungen von unseren Gegnern erzielt werden sind die Zweifel gar nicht so selten schnell parat. Die eigenen Versäumnisse und Probleme sind dafür nur zu selten Thema.

Lösungen anbieten, handeln und verändern

Wenn wir im internationalen sportlichen Wettbewerb der Systeme in Zukunft wieder bestehen wollen muß man umdenken – für schon mehrfach aufgeschriebene Ziele Lösungen anbieten, handeln und verändern. Wer Ziele aufschreibt und Funktionen hat, hat auch Pflichten, die Ziele zu leben und das Verändern zu organisieren.

Alles fängt bei der Bildung an, deren immanenter hilfreicher Bestandteil einst der Schulsport und der außerschulische Sport war. Es wäre auch heute noch die Basis für Talente, für auch Fitness und Leistungsfähigkeit der Nation. Das unsere Kinder gefordert und beansprucht werden müssten, nicht nur im „schönschreiben“ sondern in Theorie und Praxis, wurde inzwischen von vielen gefordert. Die Vorgaben wären Aufgabe der Politik und genauso wichtig für Deutschlands Zukunft, wie die Klimaeuphorie oder die Pflegeproblematik.

Nur wenn aber auch die Trainingsmethodik, die Arbeit mit Kindern, die Prinzipien der Wettkampf-Lehre, die individuelle Leistungsbereitschaft und die mentale Stärke in wichtigen Rennen systematisch größere Anforderungen, in Zukunft schnelleres Laufen zulassen, werden eines Tages Spitzenleistungen auch für uns wieder möglich. Dafür müßten die Beschlüsse der Spitzensportreform professionell umgesetzt werden, eigentlich schon gestern.

Auch wir müssten, wie Konstanze Klosterhalfen nach ihrem Wechsel in die USA berichtete: „anders, intensiver trainieren, ich erleb es wie täglich Trainingslager“.

Erfolge – auch im Laufen – erleben Profis nur nach harter professioneller Arbeit – die eigentlich der DOSB und der DLV organisieren müssten. Dafür war im DLV seit 2012 Idriss Gonschinska „Chef der Bundestrainer“ (Foto). Als er eingesetzt wurde hat man erwartet das er durch eine andere Arbeit den DLV verändert, der Olympischen Leichtathletik eine Erfolgsstruktur gibt, den anspruchsvollen, leistungsorientierten  Kinder- und Jugendsport aus dem Vergessen, dem Mittelmaß holt, die Bundestrainer „f ü h r t“ und sie durch die Trainerqualifizierung in der DLV-Trainer-Akademie seinen postulierten Zielen entsprechend „Weltklasse in allen Altersklassen“ zum erforderichen Niveau befähigt.

Inzwischen sind 6 Monate vergangen seit er zum 1.1.2019 als Cheftrainer den Weg für einen „Neuen“, ohne aktuellen Ersatzmann, freigemacht hat. Nein, er wurde nicht gegangen, er ist aufgestiegen, zum Generaldirektor Sport. Als ehemaliger Bundestrainer hat er auch den Laufdisziplinen nicht helfen können, die Leistungszentren und die notwendigen Hochleistungs-Strukturen für die olympische Leichtathletik für die Zukunft zu schaffen. Das bedeutet auch das es wohl in der Zeit der unmittelbaren Vorbereitung auf Weltmeisterschaften und Olympische Spiele 6 Monate keinen Chef und keine Führung der Bundestrainer gab. Da muß man sich über die Gerüchte nicht wundern das er wohl seinem Vorgänger, dem ehemaligen DLV-Generaldirektor Frank Hensel, eines Tages in den Europäischen Leichtathletik Verband oder sogar in den Leichtathletik-Olymp nachfolgen möchte.

 

    Idriss Gonschinska – Foto: DLV

Nun hofften viele, vor allem aus dem Repräsentationsbereich Hochleistungssport, aber auch im Nachwuchsleistungssport der Landesverbände und Vereine, auf neue wirksame Impulse, Strukturen und Inhalte, die auf eine wieder internationale Konkurrenzfähigkeit nicht nur Einzelner zielen. Führung, Teamarbeit und vielleicht auch professionelles Personal, ein in der Praxis mögliches, umsetzbares Konzept aus der Zentrale.

Gesucht wurde ein Leichtathletik-Fachmann mit Führungsqualitäten, Funktionärserfahrung für die notwendigen Reformen und im Fußball würde man sicher sagen eine glückliche Hand im Umgang mit Amateuren und den Profis, den Landesverbänden, aber auch der Olympischen Leichtathletik mit Erfolgen in 47 Disziplinen.

Die lange vergebliche Suche nach einem neuen Cheftrainer, der die 76 für den DLV arbeitenden Bundestrainer in Spitze und Nachwuchs „führen“ soll, verdeutlichte auch welche Probleme es um den Bestand von Spitzentrainern bis hin zu Kinder-Trainern im Lande und in den Vereinen gibt.

Am 3.7.2019 kam dann die Sensationsmeldung aus der Geschäftsstelle: Alexander Stolpe – ein, für die meisten wohl unbekannter Sportingenieur* wird neuer Chef-Bundestrainer beim DLV:

„Seit dem 1. Juli hat der Deutsche Leichtathletik-Verband mit dem Berliner Alexander Stolpe (41) einen neuen Chef-Bundestrainer, Head of Sports. „Alexander Stolpe wird sich in einer besonderen Managementfunktion um die einzelnen Disziplinbereiche kümmern. Dabei wird der studierte Diplom-Sportingenieur seine ganzen Erfahrungen, die er seit vielen Jahren erfolgreich als Senior-Projektmanager bei Swiss-Timing in diversen Großprojekten unter anderem in der Nordamerikanischen Basketball-League (NBA) im Timing-und Scoring-Bereich bewiesen hat, einbringen“, sagte Idriss Gonschinska, Generaldirektor Sport beim DLV“.

*“Sportingenieure und -ingenieurinnen entwickeln und bauen Sportgeräte und Sportausrüstungen, die an die unterschiedlichen Bedürfnisse von Sporttreibenden angepasst sind. Dabei orientieren sie sich an sportmedizinischen, bewegungswissenschaftlichen und trainingswissenschaftlichen Forschungsergebnissen“ – (Bundesagentur für Arbeit).

Aus der Sicht des Hochleistungssports und der Ziele der olympischen Leichtathletik fragt man sich wie ein Nicht-Fachmann, unerfahren im Hochleistungssport der Leichtathletik, 76 Bundestrainern in Spitze und Nachwuchs, in 47 olympischen Disziplinen  als „Chefvordenker- und lenker“ Richtung, Struktur, Ansprüche, Wissen und neue Motivation vermitteln soll. Auch für die fehlenden Bedingungen in den Vereinen, die Teambildung von Individualisten, den Aufbau der angedachten Bundesleistungszentren mit kompletter Ausstattung, eine neue Wettkampfstruktur,  die Qualität der Trainerfortbildung in Mainz, insgesamt also für ein professionelles Hochleistungstraining im DLV, gemeinsam mit den Landesverbänden mit ihren Kinder- und Jugendtrainingsaufgaben, braucht es Kompetenz.

Und das alles unter den Bedingungen der aktuellen Trainer-Finanzierung. Wer arbeitet schon gern ohne Wochenenden für kleines Geld. Stolpes Überzeugung „dass in der digitalen Steuerung von Prozessen im Leistungssport großes Potenzial auch für die Leichtathletik zu erschließen ist“ kann unter den genannten Problemen aber nur eine Aufgabe, aber doch nicht Schwerpunkt sein.

Unter diesen Gesichtspunkten ist schon verwunderlich, wenn sich die Leichtathletik-Oberen in ihrer nicht leichten Leistungssituation, unmittelbar vor Höhepunkten wie WM oder OS einen „Sport-Ingenieur“ ins Boot holen. 

 

Die Trauben bei Olympia hängen verdammt hoch –  Foto: Horst Milde

Auch wenn dafür bestimmt nicht der Cheftrainer zuständig ist, ärgern sich In diesem Zusammenhang auch viele über die Schwachstelle „Außendarstellung“, der Presse-Arbeit mit den Medien. In der SZ, Welt und FAZ, von BILD ganz zu schweigen, wird von vielen Sportarten berichtet, aus der Leichtathletik-Zentrale über das Jahr kaum oder nur im Zusammenhang mit positiven Wettkampfergebnissen bei Meisterschaften oder Doping-Gerüchten berichtet.

Wie sollen „ohne Öffentlichkeitsarbeit, ohne Werbung“ die so dringend benötigten „Geldquellen“ für die, die für den DLV in der Öffentlichkeit stehen, erschlossen werden. Die Zeiten wo für die „Ehre“ gearbeitet wurde ist doch schon längst vorbei.

Den deutschen Leichtathletik-Funktionären ist in diesem Zusammenhang sicher nicht entgangen, welchen Stellenwert sich – der lange ungeliebte Frauen-Fußball – inzwischen bei ARD und ZDF erarbeitet hat.

Erfahrungen aus langjähriger Arbeit im Nachwuchs- und Hochleistungssport lassen folgende Empfehlungen zu:

  • Natürlich müßte für die Olympische Leichtathletik die Ziele in der Arbeit mit hochbegabten Talenten an der Spitze jeder Strategie stehen. Danach aber kommen gleich neue, oder die Umsetzung alter Konzepte, auch für die Inhalte und Qualifizierung des notwendigen Fach-Personals.
  • Talente, Hochbegabte müssen erkannt (Scouts), Eigenschaften und Fähigkeiten, Stärken und Schwächen und vor allem ihre Bereitschaft einen leistungsorientierten Weg gehen zu wollen, unterstützt und organisiert werden.
  • Dazu gehört beispielsweise auch schon, die aus dem Bereich U14-U16 der Läufer besonders zu fördern, die bereit sind, die aktuellen Aufgaben, vor allem das notwendige Training, „besser“ zu erfüllen.
  • Sportler und Trainer müssen – gemeinsam mit den DLV-Trainern – zur Teamarbeit bereit sein, und die Trainer bemüht sein ihre Talente jeden Tag ein bisschen besser zu machen.
  • Dafür wäre eine Ausbildungsoffensive „Trainer für den Hochleistungssport“ dringend. Wir wissen das die Weltspitze anders, intensiver trainiert. In den Ausdauerdisziplinen auch noch Monate im Höhentraining. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen.
  • Sind Talente für die Mittel- oder Langstrecke erkannt sind alle Inhalte schwerpunktmäßig und früher als bisher auf die Entwicklung ihrer ererbten Stärken, zu orientieren, gleichzeitig aber den Abbau der Schwächen nicht zu vernachlässigen.
  • Eine trainingsmethodisch wichtige Aufgabe ist eine hohe sportliche Form zum jeweiligen Jahreshöhepunkt – möglichst mit Podium – aufzubauen.
  • Ein neues Wettkampfkonzept – differenziert für die Mittel- und Langstreckendisziplinen – ist zu installieren und die Prinzipien der Wettkampflehre in Theorie und Praxis durchzusetzen.
  • Die vielfältigen Aufgaben, um Talente auf das Hochleistungstraining vorzubereiten, erfordern schon im Altersbereich U12-U16 ein mindestens tägliches Training. Hochbegabte könnten in Sportschulen oder Eliteschulen unsere Grundlagen-Ausbildungsrückstände in 4 x 2 Sportstunden am Vormittag schneller aufarbeiten.

In einem Beitrag für die LCA vom 27.6.2019 hatte ich vorgeschlagen: „Es wäre notwendig und dringend zugleich für diese Aufgaben und Inhalte „drei Chef-Bundestrainern oder Koordinatoren ohne Athletenbetreuung“ in 3 Schwerpunkten

  1.  Kinder-Training und Schulsport
  2.  Nachwuchsleistungstraining und
  3.  Hochleistungstraining

Verantwortung zu übertragen, wenn nach Tokyo wieder Medaillen bei den großen internationalen Events Europameisterschaften, Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen Ziele sein sollen.

Begabte in 8-12 Jahren auf Olympia 2032 vorbereiten

Lauf-Talente auf das Hochleistungstraining vorzubereiten – das war schon die zentrale Botschaft im Nachwuchs-Rahmentrainingsplan Lauf des DLV von 1992. Diese Aufgabe gilt für die Olympischen Leichtathletik noch heute und für morgen, besonders auch für Läufer auf dem Weg in die U23-Kader.

Das sind die die derzeit die U20/U18 anführen, aber auch die jüngeren für vielleicht Olympia 2032. Das erfordert erfahrungsgemäß 10-12 Jahre professionelle Nachwuchsausbildung mit Leistungs-sportansprüchen. Dafür hätte das „Leistungsprinzip“ für alle an dieser Aufgabe beteiligten schon vor Jahren eingeführt werden müssen. Deshalb muß jetzt der neue Cheftrainer mit seinen Nachwuchs-Bundestrainern auch hier einen neuen Anlauf nehmen und verändern.

Zur Ausbildungsaufgabe für Hochbegabte zählen auch Wettkampferfahrungen

Auch ist es bisher nicht gelungen den Kinder- und Jugendsport U-10 bis U16 – wenigstens für einen Kreis von Begabten – neu zu organisieren, sich entsprechend in den LV aufzustellen, hochbegabte ständig zu suchen und für sie die Ausbildungs-Bedingungen in den Vereinen zu schaffen. Dafür sind Kinder-Trainer erforderlich.

Die Wettkampflehre ist ein wichtiger Teil der Trainingslehre – Foto: Kiefner     

F A Z I T

Die Einflussnahme auf den Schulsport in den Ländern , die Bildung, wenigstens in den Sportschulen, die Persönlichkeitsentwicklung, die Nachwuchs-Leistungszentren, die Spezialschulen des Sports, Fach-Trainer, die Förderung, die Kinder-Basisarbeit, die Talentsuche, die Organisation des Trainings und der Wettkampfleistung und die Führung des Gesamtprozesses durch den DLV müssen auf die Höhe der eigenen Ziele: „Weltklasse in allen Altersaltersklassen“. Das sind Aufgaben für alle, unter Führung auch des neuen Chef-Bundestrainers.

Ein „TEAM D“ 2032 ist eine sportpolitische Aufgabe für alle

„Die Diskussion um das Ziel weckt Emotionen. Sie ranken sich um die zentrale Frage, unter welchen Vorausaussetzungen und Bedingungen Leistungen im Spitzensport erbracht und gefördert werden können und sollen. Im Kern geht es um das Anliegen der staatlichen Förderung des Spitzensports in Deutschland“ (aus dem Konzept des Bundesministeriums des Innern und des Deutschen Olympischen Sportbundes unter Mitwirkung der Sportministerkonferenz).

Hoffentlich hat Bundespräsident Steinmeier auch an die hauptamtlichen Trainer und Kinder-Trainer in den Vereinen gedacht als er auf dem DGB-Kongress 2018 in Berlin eine angemessene Bezahlung der Berufe in Bildung, Erziehung und Pflege forderte.

Leider gehen viele Politiker nach ihren „beruhigenden“ Statements zu oft direkt zur Tagesordnung über.

Lothar Pöhlitz

*Lothar Pöhlitz – seit 1957 Dipl.- Sportlehrer für Leistungssport / Sportwissenschaftler /1971-1979 Leiter des Wissenschaftlichen Zentrums Lauf/Gehen beim DVfL / DLV-Bundestrainer 1980 – 1998 i. R./Teamleiter Marathon/Straßenlauf/3x OlympiaTrainer für Deutschland / Langjähriger Dozent an der Trainerakademie und DLV-Trainerschule/ seit 2006 Leichtathletik Coaching-Academy.

 

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author: GRR