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28
06
2019

Gruppe von Marathonläufern: Nr. 3 Félix Carvajal, Nr. 25 Geo. D Vamvakitis, Nr. 30 John Furla, Nr. 38 John Lugitsas, Nr. 34 George Drosos, Nr. 37 Georgios Louridas, Nr. 32 Harry Janakas, Nr. 28 Andreas Ikonomou, Nr. 6 Christos D. Zehoouritis - Foto: Wikipedia - Jessie Tarbox Beals - Missouri History Museum URL: https://images.mohistory.org/image/296B556C-AF1F-FE85-7A3C-

Die Spiele der Amerikaner – Olympische Spiele 1904 in St. Louis/USA – Kerstin Börß in „Leichtathletik“

By GRR 0

Am 1. Juli 1904, also vor genau 115 Jahren, starteten die ersten Olympischen Spiele in den USA.

Es waren die amerikanischsten Spiele aller Zeiten, zum ersten Mal wurde Gold verliehen, und ein kurioser Marathonlauf ging in die Geschichtsbücher ein.

Mehr als 30 Grad Celsius, eine hügelige, staubige Strecke und nur ein Wasserposten – der Marathon bei den Olympischen Spielen 1904 in St. Louis war der beschwerlichste und mit Abstand kurioseste Lauf in der Geschichte der Olympischen Spiele.

32 Männer starteten beim Rennen, am Ende erreichten 14 das Ziel. Doch nicht alle taten das auf eine Weise, die regelkonform war. Alice Roosevelt, die Tochter des damaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt, wollte gerade dem Sieger Fred Lorz die Medaille überreichen, da entpuppte sich dieser als Täuscher.

Nachdem er auf der Strecke von Krämpfen geplagt worden war, stieg er in ein Auto und war erst auf den letzten Metern wieder zu Fuß unterwegs. Es gibt verschiedene Angaben darüber, ob er sich selbst enttarnte oder ob jemand anderes diesen Job übernahm. Sicher ist nur, dass der Zweitplatzierte aufrückte und Lorz lebenslang für die Olympischen Spiele gesperrt wurde.

Doch auch beim aufgerückten Läufer (Zielzeit: 3:28:53 h) ging nicht alles mit rechten Dingen zu. Der gebürtige Brite Thomas Hicks profitierte während des Wettbewerbs von einem Cocktail aus rohem Eiklar, Brandy und einer geringen Menge Strychnin. Heute steht das Mittel auf der Dopingliste. Damals sorgte es zwar dafür, dass Hicks das Ziel erreichte, doch er kollabierte nach dem Zieleinlauf und war mehrere Stunden nicht in der Lage, seine Goldmedaille in Empfang zu nehmen.

Alice Rooseevelt musste also wieder warten. Zweiter wurde in diesem skandalösen Wettkampf Albert Corey. Der Mann aus Paris war erst ein Jahr zuvor in die USA ausgewandert. Obwohl er damals noch nicht die US-Staatsbürgerschaft hatte, wurde die Silbermedaille in den Ergebnislisten dem US-Team gutgeschrieben.

Doch wenn es heute darum geht, ob Frankreich als Nation bei den Spielen vertreten war, wird sein Name als einziger französischer Teilnehmer bemüht. Insgesamt waren kaum Sportler aus Übersee in St. Louis vertreten. Die Anfahrt war lang und beschwerlich, und besonders die sehr langgezogene Wettbewerbsphase (1. Juli bis 23. November) verhinderte gemeinsam organisierte Anreisen. Von 651 Sportlern kamen somit weit über 500 aus den USA.

Eine Ausnahme war der Kubaner Felix Carvajal. Der Briefträger hatte nur mühsam Geld für die Reise zusammenbekommen. Dieses gab er dann allerdings auf halber Strecke beim Glücksspiel in New Orleans aus. Und legte die verbliebenen gut 1.000 Kilometer wandernd und per Anhalter zurück – eine ungewöhnliche Vorbereitung auf das Marathon-Debüt. Beim Wettbewerb riss die Pechsträhne nicht ab: Er bekam Bauchkrämpfe, verursacht von Obst, das er unterwegs gegessen hatte. Trotzdem lief er als Vierter ins Ziel.

Weltausstellung

Mit den Südafrikanern Jan Mashiani und Len Taunyane beendeten zwei weitere ausländische Läufer den Marathon-Wettbewerb. Die Männer bestritten den Lauf in abgeschnitten Anzughosen und ohne Schuhe. Dabei ist ihre Geschichte bei weitem keine Erfolgsgeschichte, sondern Teil eines rassistischen Kapitels der US-Sportgeschichte.

Eigentlich waren die zwei Angehörigen der Tswana in St. Louis, um bei der Weltausstellung in Schaukämpfen den Zweiten Burenkrieg nachzustellen. Wie schon vier Jahre zuvor in Paris waren die Olympischen Spiele in St. Louis lediglich Beiwerk der Weltausstellung. Neben ihren Rollen in den Schaukämpfen traten die ehemaligen Soldaten auch bei den „Anthropology Days“ an.

Bei diesen „Tagen der Menschenkunde“ sollten sich Ureinwohner aus den verschiedensten Teilen der Welt ohne jegliche Vorkenntnisse in Olympischen Disziplinen versuchen. Die zumeist schlechten Leistungen kommentierten die Organisatoren schließlich mit der Überlegenheit der weißen Sportler.

Pierre Coubertin, der französische Initiator der Spiele der Neuzeit, war in St. Louis nicht anwesend und zeigte auch keinerlei Verständnis für diesen rassistischen Wettkampf. „Das wird seinen Reiz verlieren, wenn schwarze, rote und gelbe Männer das Laufen, Springen und Werfen lernen und die weißen Männer hinter sich lassen“, prophezeite er damals. 

Triple-Sprinter 

Trotz dieser negativen Aspekte hatten die Spiele von 1904 auch rein sportliche Höhepunkte zu bieten. Dafür sorgte unter anderem Archie Hahn. Der kleine Sprinter aus Milwaukee gewann gleich in drei Disziplinen. Über 60, 100 und 200 Meter war er nicht zu schlagen. Das kann ihm heutzutage kein Olympiateilnehmer mehr nachmachen. Am stärksten war Hahns Leistung auf der 200-Meter-Distanz. Seine Zeit von 21,6 Sekunden sollte zehn Jahre als Weltrekord Bestand haben.

Begünstigt wurde sein schneller Lauf durch einen geraden Streckenverlauf. Dass er keine Eintagsfliege war, bewies er bei den Zwischenspielen 1906 in Athen, wo er wieder über 100 Meter gewinnen konnte. Später, als der mehrfache US-Meister bereits als Trainer aktiv war, schrieb er ein Buch darüber, wie erfolgreiches Sprinten funktioniert.

Wie hingegen erfolgreiches Werfen in jeglicher Disziplin funktioniert, wusste 1904 vor allem Ralph Rose. Der junge Athlet aus Kalifornien wurde mit dem weitesten Versuch auf 14,81 Meter Olympiasieger im Kugelstoßen. Doch damit nicht genug – auch mit dem Diskus (Silber) und dem Hammer (Bronze) sicherte sich Rose olympische Medaillen.

Doch das war erst der Beginn seiner Karriere. In London wurde er 1908 erneut Kugelstoß-Olympiasieger und erweiterte 1912 seine Medaillensammlung um Silber in seiner Vorzeigedisziplin, dem Kugelstoßen, und außerdem eine Goldmedaille im beidhändigen Kugelstoßen. Da diese Disziplin, bei der Versuche mir rechts und links addiert wurden, nur einmal olympisch war, bleibt Roses Sieg einzigartig. Seine Kugelstoß-Weltrekordweite aus dem Jahr 1909 (15,54 m) hatte außerdem weit über seine Karriere und seinen frühen Tod im Jahr 1913 hinaus Bestand. Erst 1928 wurde Roses Rekord vom deutschen Athleten Emil Hirschfeld übertroffen.

Künftiger Deutscher Meister

Ein weiterer Dreifach-Gewinner von St. Louis war James Lightbody. Ganz emsigen Statistikkennern wird dieser Name auch aus der deutschen Leichtathletik-Historie geläufig sein. Schließlich ging Lightbody ein paar Jahre später nach Berlin. Dort startete er für den Berliner SC und gewann 1910 und 1911 deutsche Meistertitel.

Bei den Olympischen Spielen 1904 – noch in den USA lebend – war er über 800 und 1.500 Meter nicht zu schlagen und gewann auch den Hindernislauf. Für letzteren ist nur eine Strecke von 2.590 Metern notiert.

Beim Wettbewerb sollen die Organisatoren nicht ganz aufmerksam gewesen sein. So beendeten sie das Rennen ein paar Meter zu früh. Dieser Fehler in der Streckenvermessung fügt sich sehr gut in das Bild ein, das heute Sporthistoriker von den ersten Olympischen Spielen auf US-amerikanischem Boden zeichnen.

Es war chaotisch, es gab aufgrund der wenigen Ausländer keine starken Konkurrenzen und das Publikum interessierte sich mehr für die Weltausstellung. Dieser drohende Niedergang der gerade erst wieder initiierten Olympischen Spiele wurde in den folgenden Jahren durch die Zwischenspiele in Athen und die Spiele 1908 in London wieder gestoppt.

Doch einen Glanzpunkt gibt es dennoch, der fest verbunden ist mit den Spielen von St. Louis: Dort im Norden der USA wurden 1904 das erste Mal Goldmedaillen für die Sieger ausgeteilt.

Kerstin Börß in Leichtathletik – Nr. 26. vom 26. Juni 2019

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