Michael Reinsch - Foto: Horst Milde
Doping-Bekämpfung: Kriminell und kriminal – Ein Kommentar von Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Die Gegner des Anti-Doping-Gesetzes meinen, Doping sei kein Verbrechen, sondern ein Kavaliersdelikt. Doch nicht Recht und Gesetz kriminalisieren, sondern Doping.
Die Sprache von Andrea Gotzmann ist deutlich. Die Leiterin der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) spricht von Kriminellen, wenn sie Doper meint.
Größer könnte die Distanz nicht sein zu Zeit und Geist, in denen Sportorganisationen in Deutschland argumentierten, ein Anti-Doping-Gesetz kriminalisiere Sportlerinnen und Sportler. Die Gegner des Gesetzes fanden, und vielleicht finden sie bis heute, Doping sei nicht wirklich ein Verbrechen, sondern ein Kavaliersdelikt in einer speziellen Kultur des Sports.
Zusätzlich zu den Gesundheitsschäden und Todesfällen, die in gut fünfzig Jahren Steroid-Dopings in Westdeutschland und der Sportnation DDR aufgelaufen sind, ist die gesellschaftliche Fallhöhe für Doper gestiegen.
1988, als Ben Johnson, der vermeintliche Olympiasieger im Sprint von Seoul, überführt wurde, war das für den Großteil des Publikums ein Schock. Heute, da die Aufarbeitung des DDR-Dopings, die Aufdeckung der Netzwerke von Balco in den Vereinigten Staaten und, in Teilen, von el Doctor Fuentes in Europa mitsamt seiner Kunden beim Team Telekom sowie das Auffliegen des runderneuerten Staatsdopings in Russland hinter uns liegen, wissen wir, dass die Erinnerung an Resultate wichtiger Sportereignisse trügen kann.
Sechzig Medaillengewinner sind disqualifiziert worden, seit das Internationale Olympische Komitee Proben von Sommer- und Winterspielen seit Peking 2008 nachträglich analysieren lässt. 110 Doping-Fälle haben sich ergeben. Im Gegensatz dazu blieb ohne jeden Befund, als die Nada 560 Proben mit neuesten Verfahren untersuchen ließ, die sie 2011 und 2012 eingefroren hatte.
Dies bedeutet mitnichten, dass deutsche Athleten allesamt sauber sind.
Schließlich stecken Staatsanwaltschaft München und Nada noch in der Auswertung dessen, was die Razzien bei der Ski-Weltmeisterschaft von Seefeld und in der Garage des Erfurter Doping-Arztes Dr. S. hervor gebracht haben. Dennoch spricht nicht nur dieses Resultat dafür, dass – bei aller Skepsis – etliche deutsche Athleten in olympischen Sportarten die Grenzen sowohl der Leistungssteigerung als auch der eigenen Leistungsfähigkeit kennen und respektieren. Vielleicht ist das ein Ergebnis von Aufklärung. Vielleicht Resultat strafrechtlicher Abschreckung. Nicht wenige Athleten, so scheint es, akzeptieren Niederlagen eher als zu riskieren, in Schimpf und Schande abtreten zu müssen.
Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – werden kriminaltechnische Ermittlungen neben Prävention und Analyse die dritte Säule der Doping-Bekämpfung werden.
Das jedenfalls prognostiziert Nada-Vorstand Lars Mortsiefer. Längst bietet sein Haus Workshops für Polizei und Zoll an und kooperiert mit Staatsanwaltschaften. Anfang des Jahres hat sie die privaten Ermittler von Sportradar in der Schweiz zur Kooperation verpflichtet.
Gut möglich, dass eines Tages ein mit allen Wassern gewaschener Ermittler bei der Nada in Bonn Dienst tun wird.
Denn nicht Recht und Gesetz kriminalisieren, sondern Doping.
Ein Kommentar von Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 5. Juni 2019