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10
05
2019

Caster Semenya - Foto: Victah Sailer

Urteil gegen Caster Semenya: „Diskriminierung ist notwendig“- Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Der Internationale Sportgerichtshof segnet das Regelwerk der IAAF ab: Olympiasiegerin Caster Semenya soll künftig in ihren Hormonhaushalt eingreifen, wenn sie ein Rennen über 800 Meter laufen möchte

Der Oberste Sportgerichtshof in Lausanne (Cas) hat den Einspruch der Olympiasiegerin und Weltmeisterin über 800 Meter, Caster Semenya, gegen die sogenannte Testosteron-Regel des Leichtathletik-Weltverbandes (IAAF) abgewiesen.

Am Mittwoch veröffentlichte das Schiedsgericht eine Erklärung, laut der es der Läuferin und dem südafrikanischen Leichtathletik-Verband nicht gelungen sei zu belegen, dass die Regelung „ungültig“ sei.

Die Cas-Schiedsrichter Annabelle Bennett (Australien), Hans Nater (Schweiz) und Präsident Hugh L. Fraser (Kanada) empfänden die Regelung als diskriminierend, heißt es in dem Text, „aber die Mehrheit des Gremiums fand, dass auf der Basis der von den Parteien vorgebrachten Beweise diese Diskriminierung ein notwendiges, angemessenes und verhältnismäßiges Mittel ist, um das Ziel der IAAF zu erreichen, die Integrität der Frauen-Leichtathletik in den Eingeschränkten Wettbewerben zu erhalten“. Die 165 Seiten lange Urteilsbegründung bleibe vorerst vertraulich. Die Schiedsrichter des Cas machten erhebliche Bedenken gegen die neuen Regeln der IAAF geltend.

Eingeschränkte Wettbewerbe sind internationale Läufe von 400 Meter bis eine Meile (1609 Meter). Für sie gilt, das kündigte die IAAF am Mittwoch an, vom 8. Mai an für Frauen die Obergrenze von 5 Nanomol körpereigenen Testosterons pro Liter Blut. Ein von der IAAF in Auftrag gegebenes wissenschaftliches Gutachten hat allein auf den fünf Laufstrecken 400 Meter, 400 Meter Hürden, 800 und 1500 Meter und der Meile (sowie unüblichen Distanzen dazwischen), nicht aber in Sprint und Langlauf, Sprung, Wurf und Stoß Vorteile für hyperandrogene Frauen nachgewiesen.

Die Regel musste erneuert werden, da die indische Sprinterin Dutee Chand den 2011 von der IAAF eingeführten Grenzwert von 10 Nanomol pro Liter mit einer Klage vor dem Cas zu Fall brachte.

Die neu eingeführte Regel 141 der IAAF schreibt den „Relevant Athlete“ genannten Sportlerinnen mit mehr als fünf Nanomol Testosteron im Blut und androgenen Auswirkungen vor, wenn sie an internationalen Wettbewerben in den betroffenen Disziplinen starten wollen, den internationalen Verband auf ihre Disposition aufmerksam zu machen, selbst wenn sie diese nur vermuten. Im Health- and Science Departement wird dafür der „Medical Manager“ zuständig sein, der zu Diskretion verpflichtet ist.

Die nationalen Verbände werden nicht informiert, sind aber verpflichtet, die IAAF über hyperandrogene Sportlerinnen zu verständigen, sobald diese international starten. Der Beauftragte der IAAF kann eigenständig Ermittlungen führen und darf dazu auch Blut- und Urinproben analysieren lassen, die zur Doping-Kontrolle genommen wurden.

Die 28 Jahre alte Caster Semenya muss nun ihre körpereigene Testosteron-Produktion medikamentös senken, will sie Ende September bei der Weltmeisterschaft in Doha ihren Titel von London 2017 verteidigen.

Die IAAF vertritt die Überzeugung, dazu sei die orale Einnahme eines Kontrazeptivums ausreichend, der Pille. Caster Semenya findet, dass ihre angeborene genetische Disposition als Talent zu begrüßen und nicht zu bekämpfen sei. „Ich weiß, dass die IAAF es immer speziell auf mich abgesehen hatte“, sagte sie laut ihrer Anwälte. „Ein Jahrzehnt lang hat sie versucht mich zu bremsen, aber das hat mich nur stärker gemacht. Die Entscheidung des Cas wird mich nicht aufhalten. Ich werde wieder aufstehen und weiter junge Frauen und Athleten in Südafrika und auf der ganzen Welt inspirieren.“

Der südafrikanische Sportwissenschaftler Ross Tucker, der das Gutachten der IAAF als unseriös kritisierte und sich gegen die neue Regel aussprach, vermutet, dass Caster Semenya mit reduzierten Testosteronwerten sieben Sekunden langsamer laufen würde. Ihre Bestzeit von 1:54,25 Minuten aus dem Sommer vergangenen Jahres ist weltweit die stärkste Zeit auf dieser Strecke seit zehn Jahren. Womöglich wird die Läuferin auf längere Distanzen wechseln, bei denen die Testosteron-Regeln nicht gelten. Darauf deutet hin, dass sie bei den südafrikanischen Meisterschaften in Germistown in der vergangenen Woche nicht über 800 Meter, sondern über 1500 und 5000 Meter startete. Sie gewann beide Titel.

Die IAAF will mit Sorgfalt und Mitgefühl agieren

Der Cas wies darauf hin, dass die IAAF-Zulassungsregeln zur Frauen-Klassifikation „Athleten mit unterschiedlicher Geschlechtsentwicklung“ ausschließlich für Sportlerinnen mit „46 XY DSD“ gelte, das sind Frauen mit XY-Chromosomen. Die Schiedsrichter äußerten ernsthafte Bedenken, was die praktische Umsetzung der Regeln angehe. Zwar sprächen die verfügbaren Beweise nicht dafür, dass Bedenken die Schlussfolgerung des ersten Anscheins überwögen. Doch dies könne sich ändern, wenn nicht ständig auf Fairness bei der Umsetzung der Vorschriften geachtet werde.

Die Schiedsrichter äußerten Besorgnis über potentielle Fehler bei der Einhaltung der DSD-Bestimmungen und die Konsequenzen für die Sportlerinnen. Außerdem sind sie nicht davon überzeugt, dass es tatsächlich erhebliche sportliche Vorteile für Athletinnen mit einer 46-XY-DSD-Disposition auf 1500 Meter und der Meile gibt. Deshalb raten sie der IAAF, die Regelung auf diesen beiden der fünf Eingeschränkten Disziplinen vorerst nicht einzuführen. Die Schiedsrichter warnen auch vor möglichen Nebenwirkungen der hormonellen Behandlung. Diese könnten „die praktische Unmöglichkeit der Regeleinhaltung demonstrieren, was wiederum zu einer anderen Schlussfolgerung bei der Verhältnismäßigkeit der DSD-Regel führen könnte“. Die IAAF wird angeregt, die neuen Regeln als „lebendes Dokument“ zu verstehen.

Der Verband begrüßte das Urteil und versprach, die praktischen Auswirkungen regelmäßig zu überprüfen. Für den Fall unabsichtlicher Überschreitung der Werte wurde eine Regel eingeführt, die Straffreiheit ermöglicht. Die IAAF wolle mit Sorgfalt und Mitgefühl agieren.

Als „klares Bekenntnis für den Frauensport in seiner bisherigen Klassifizierung“ begrüßte Jürgen Kessing, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, das Urteil.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 1. Mai 2019

Michael Reinsch Korrespondent für Sport in Berlin.

 

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