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13
04
2019

Die helfenden laufenden Frauen vom FU Hochschulsport mit der späteren Siegerin Mohamad K. aus der JVAF (rote Startnummer) - Horst Milde

Bitte lasst sie laufen! Impressionen vom fünften Berliner 10 km Lauf für Gefangene am 10. April 2019 in Plötzensee von Dr. Erdmute Nieke

By GRR 0

Zum dritten Mal öffnet sich die blaue Gefängnispforte heute für mich. Ich weiß nun schon, was auf mich zukommt. In der ersten Schleuse beim Pförtner meinen Namen mit einer Liste abgleichen und dann durch die zweite Schleuse in den Besucherraum gehen.

Tausch: Personalausweis gegen einen grünen Besucherausweis und alle persönlichen Sachen in ein Schließfach einsperren. Der Bedienstete freut sich, dass ich weiß, wie es lang geht und ich ich mich an ihn erinnern kann. Das, obwohl der letzte Lauf schon über eineinhalb Jahre her ist. Auf dem zweiten Hof angekommen, werde ich schon erwartet: Horst und Sabine Milde, JoAnna Zybon, Susan Drews, John Kunkeler – viele bekannte Gesichter.

Startnummern, Urkunden, Teilnehmer*innenlisten intern/extern, Klebepunkte, Sicherheitsnadeln, Kekse, Fotogenehmigungszettel – das ist alles schnell geklärt. Ich weiß noch vom letzten Mal, was meine Aufgabe sein wird: Ausgabe der Startnummern und Ausfüllen der Urkunden nach dem Lauf.

Die Gefängnisband ist größer geworden und sorgt schon bei den letzten Vorbereitungen für gute Stimmung. Auch die Teilnehmer*innenliste ist länger geworden. Eine größere Gruppe externer Läufer*innen, es finden sich einige Pressevertreter auf der Liste und etliche junge Leute vom FU-Hochschulsport (FU Berlin – Freie Universität).

Dann kommen die ersten Läufer*innen, interne erhalten rote und externe weiße Startnummern. Wenn die internen Läufer nicht mit ihren Bediensteten am Stand stehen, kann ich sie nicht von den externen unterscheiden. Da kommt manchmal ein „Schön wäre es!“ oder ein „Ich darf wieder raus!“ über die Lippen.

Startnummernausgabe mit Dr. Erdmute Nieke (in rot) – Foto: Horst Milde

Die jungen Männer des Jugendstrafvollzuges kommen mit ihrem Trainer. Auf meine Frage nach der Fotoerlaubnis, seine strenge Antwort: „Keiner ist 18, keine Fotos!“ Ich blicke in die Gesichter der jungen Männer, sie könnten alle meine Schüler sein – ich arbeite an einer Beruflichen Schule. Kurzes Kopfkino: Was mag im Leben der jungen Männer falsch gelaufen sein, dass sie hier sind und nicht „draußen“ lernen und leben dürfen. Mein Kopfkino wird von den nächsten Läufern schnell abgeschaltet. Namen und Nummern auf den Teilnehmer*innenlisten finden.

Dann kommt SIE. Die Siegerin der letzten drei Läufe. Aufgeregt, wie immer… Den Start um 16 Uhr können wir nicht einhalten. Eine Gruppe aus dem Gefängnis mit dem weitesten Anreiseweg steht im Stau. Ausgerechnet heute streiken die Berliner Taxifahrer und der Berliner Verkehr kommt zum Erliegen. Dann endlich ist die letzte Gruppe da, ganz schnell sind die Startnummern verteilt und schon zählt John Kunkeler – unser „Stadionsprecher“ zum Start runter.

Der Gefängnishof Plötzensee wird zum Stadion: Mehr Publikum als die letzten Male ist da, die Musiker sorgen für beste Stimmung, die Spitzengruppe wird von einem Radfahrer begleitet und John kommentiert die Läufer und Läuferinnen, wer in Führung liegt und wer zurück fällt, der Kampfrichter dreht die Rundenuhr weiter, die Glocke läutet die letzten Runden ein. Die Spitzengruppe wird von den jungen Männern unter 18 dominiert. Ihr Trainer feuert sie leidenschaftlich an.

Foto: Horst Milde

In diesem Jahr finde ich das Miteinander der Läufer*innen besonders positiv. Da gibt es ein rot-weißes Paar, das gemeinsam alle Runden läuft. Wer zieht da wen? Und die Siegerin der letzten Läufe bekommt dieses Jahr wirklich fünf Häsinnen.

Die FU-Laufvereinigung macht es möglich! Welch ein wunderbares Bild, wie die fünf jungen Frauen mit den weißen Startnummern, die Siegerin in ihre Mitte nehmen und mitziehen. Im Zieleinlauf lassen sie sich zurückfallen und die Siegerin der letzten drei Läufe wird wieder Siegerin! Jubel!!!!

Einige Minuten früher gaben sich die jungen Männer einen intensiven Endspurt mit knappen Wechseln in der Führung. Als sie alle im Ziel sind, während viele noch laufen, werden sie von ihrem Trainer zu einem Gruppenfoto zusammengeholt. Eine Zielsetzung des Jugendstrafvollzuges ist Resozialisierung. Was könnte dafür besser stehen, als diese Situation? Die Gesichter der jungen Männer sprechen Bände: Dieser Wettkampf macht uns fit für das Leben „draußen“. Vielleicht sehe ich Euch irgendwann in meinem Unterricht wieder?!

Alle 60 Finisher strahlen nach den zehn Kilometern diese besondere Freude und dieses Glück aus.

Wir haben hier miteinander gekämpft um jede Minute! Erschöpfung und Zufriedenheit, Endorphine nach dem Wettkampf, Stolz auf das Geschaffte, das Training hat sich gelohnt! Die Aufregung vor dem Wettkampf ist verwandelt in dieses berühmte „Es ist geschafft!“. Eine besondere Freude ist es für mich als Helferin beim Ausfüllen und Übergeben der Urkunden in diese Gesichter blicken zu dürfen!

Deshalb mein Aufruf an alle, die den fünften Gefängnislauf organisiert haben – es ist jetzt nicht einfach alle in der richtigen Reihenfolge zu nennen – Justizverwaltung, German Road Races mit vielen wichtigen Fachleuten, Kampfrichter*innen, Sozialarbeiter*innen der Gefängnisse, Küche der JVA Plötzensee, Trainer*innen der Gefangenen, Presseleute, Gefängnisband, Anstaltsleiter, Bedienstete, externe Läufer*innen.

Mein Aufruf: Unbedingt weiter machen, organisiert 2020 den sechsten Berliner 10 km Lauf für Gefangene:

Bitte lasst sie laufen!

Dr. Erdmute Nieke

 

 

 

 

author: GRR