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09
04
2019

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold - Foto: privat

Sportmedizinische Vorsorgeuntersuchung für Läufer – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

By GRR 0

Mit den milderen Temperaturen im Frühling wollen viele Menschen ihre guten Vorsätze für mehr Bewegung umsetzen und mit dem Laufen beginnen.

Bevor die Tugenden des Laufsports ihre Wirkungen entfalten können, gilt es, sich gegen die wirklich wenigen Gegenanzeigen bezüglich des Laufens abzusichern. In der Öffentlichkeit sorgt der plötzliche Herztod bei Sportlern immer wieder für Schlagzeilen (Aderhold u. Weigelt 2018).

Sportärztliche Vorsorgeuntersuchungen helfen, laufspezifische Besonderheiten zu klären und Gefährdungen sowie latente oder bereits bestehende Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Damit tragen sie erheblich zu einer Verringerung des gesundheitlichen Risikos bei. Die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) hat 2007 eine Leitlinie „Vorsorgeuntersuchung im Sport“ herausgegeben (www.dgsp.de).

Merksatz

Die Vorsorgeuntersuchung soll gesundheitliche Risiken mindern oder vermeiden helfen und eine optimale Ausübung von Sport und körperlicher Aktivität für jeden Sporttreibenden ermöglichen. Eine absolute Sicherheit ist aber auch bei unauffälligem Ergebnis der Vorsorgeuntersuchung nicht gegeben.

Zielgruppe für eine sportärztliche Vorsorgeuntersuchung sind Neu- und Wiedereinsteiger im Bereich Freizeit- und Breitensport, ambitionierte Freizeitsportler sowie Leistungssportler. Weitergehende Empfehlungen gelten für Kaderathleten und Spitzensportler.

Eine sportärztlich qualifizierte, gesundheitsorientierte Vorsorgeuntersuchung umfasst internistische und orthopädische Untersuchungsinhalte, die sich auch sportartspezifisch orientieren sollten. In einem weiteren Schritt kann dem Sporttreibenden eine Belastungsuntersuchung angeboten werden. Daraus können die Belastbarkeit ermittelt und Trainingsempfehlungen abgeleitet werden.

Untersuchungsprogramm

Es wird die Eigen- und Familienanamnese (Krankheitsgeschichte) erhoben. Hier sind Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und des Bewegungsapparates von besonderer Bedeutung. Auch der Impfstatus und Medikamenteneinnahmen werden geklärt. Die Untersuchung kann anhand des klinischen Untersuchungsbogens erfolgen. Bei den apparativen Untersuchungen gilt das Ruhe-EKG als obligate Untersuchung (Scharhag 2007; Löllgen et al. 2010; Löllgen 2012; Löllgen et al. 2015; Mewes et al. 2015). Allerdings wird die Notwendigkeit kontrovers diskutiert, da es keine kontrollierten Studien zu der Frage gibt, ob ein EKG dazu beiträgt, die Zahl plötzlicher kardialer Todesfälle beim Sport zu reduzieren (Lawrenz 2012). Ein Belastungs-EKG sowie Echokardiographie (Urhausen u. Kindermann 2001; Urhausen 2013) und weiterführende diagnostische Untersuchungen erfolgen nur bei Vorliegen bestimmter Symptome und Befunde sowie bei älteren Personen (Männer über 45 und Frauen über 55 Jahre, Löllgen et al. 2010). Die Lungenfunktionsprüfung umfasst die Bestimmung der Vitalkapazität und der 1-Sekunden-Kapazität.

Folge eines intensiven Ausdauertrainings sind häufig EKG-Veränderungen, die beim gesunden Nichtsportler durchaus als pathologisch oder abnormal bezeichnet werden (Löllgen u. Gerke 2001; Nies et al. 2001; Scharhag 2007; Corrado et al. 2010; Hirzinger et al. 2011; Uberoi et al. 2011; Drezner et. al. 2013; Scharhag u. Burgstahler 2013; Scharhag et al. 2013; Sheikh et al. 2014; Niebauer 2015; Riding et al. 2015).

Trainingsbedingte EKG-Veränderungen können bei bis zu 80 % der Ausdauersportler auftreten, normalisieren sich meist unter Belastung und gelten als Normvariante ohne Krankheitswert. In den letzten 10 Jahren wurden die Empfehlungen zur EKG-Beurteilung bei Sportlern mehrfach geändert. Aktuell (Drezner et al. 2017; Löllgen 2017) wird dabei wie folgt unterschieden:

● Normalbefunde bei ausdauertrainierten Sportlern (keine weitere Abklärung notwendig),
● grenzwertige Befunde bei ausdauertrainierten Sportlern (bei zwei oder mehr dieser Befunde ist eine Abklärung erforderlich),
● abnorme Befunde bei ausdauertrainierten Sportlern (weitere Abklärung erforderlich).

Bei klinisch orthopädischen Auffälligkeiten muss der Arzt weiterführende diagnostische Maßnahmen einleiten, da hierdurch häufig erst eine genaue Beurteilung der Belastbarkeit in Bezug auf den ausgeübten Sport festgelegt werden kann.

Die Bestimmung von Laborwerten in Form eines Screenings ist umstritten. Allgemeingültige Empfehlungen sind kaum möglich. Bei Personen unter 35 Jahren besteht keine obligate Indikation für Laboruntersuchungen. Bei Personen über 35 Jahren und vorliegenden Risikofaktoren sollten verschiedene Laborwerte je nach individueller Fragestellung bestimmt werden.

Einfacher Selbst-Check

Folgender einfacher Fragebogen als persönlicher Gesundheits-Check wurde von führenden Medizinern und sportmedizinischen Instituten in Deutschland entwickelt und wird auch von German Road Races (www.germanroadraces.de) empfohlen.

Aderhold L, Weigelt S. Laufen! Vom Einsteiger bis zum Ultraläufer. München: Elsevier 2018.

TIPP

Insbesondere wenn Sie eine oder mehrere der folgenden Fragen mit „Ja“ beantworten, ist eine sportmedizinisch-kardiologische Untersuchung anzuraten:

● Hat Ihnen jemals ein Arzt gesagt, Sie hätten „etwas am Herzen“ und Ihnen Bewegung und Sport nur unter medizinischer Kontrolle empfohlen?
● Liegt Ihr Bauchumfang über 88 cm (bei Frauen) bzw. über 102 cm (bei Männern)?
● Haben Sie kürzlich mit Sport begonnen oder hatten Sie eine Sportpause von mehr als 6 Monaten?
● Sind im Rahmen von Blutdruckkontrollen erhöhte Blutdruckwerte festgestellt worden?
● Sind auffällige Blutfettwerte bei Ihnen festgestellt worden?
● Sind Sie zuckerkrank?
● Hatten Sie in den letzten Monaten Herzrasen, Luftnot oder Schmerzen in der Brust, gleichgültig ob in Ruhe oder unter körperlicher Belastung?
● Nehmen Sie Medikamente gegen Bluthochdruck, Herz- oder Atembeschwerden ein?
● Haben Sie jemals Schwindel oder Ohnmachtszustände in Ruhe oder unter körperlicher Belastung erfahren?
● Bestehen Beschwerden oder Erkrankungen des Bewegungsapparates, die unter körperlicher Aktivität zunehmen können?
● Wann haben Sie sich zuletzt wegen Ihrer sportlichen Aktivität sportärztlich untersuchen lassen?

Eine Online-Befragung der Deutschen Sporthochschule von 10.025 Langstreckenläufern (Leyk et al. 2008) zeigte, dass nur 50 % der Männer und 45 % der Frauen sportärztliche Untersuchungen in Anspruch nehmen. Dabei lassen leistungsorientierte Sportler (59,9 %) deutlich öfter eine sportärztliche Gesundheitsuntersuchung durchführen als Freizeit- bzw. Breitensportler (46,8 %) oder Neu- bzw. Wiedereinsteiger (42,0 %).

Achtung

Bedenklich ist, dass viele ältere Freizeit- bzw. Breitensportler wie auch Neu- bzw. Wiedereinsteiger keine sportärztliche Gesundheitsüberprüfung vornehmen lassen. Bei diesem Personenkreis liegt ein erhöhtes Risiko für Erkrankungen an Herz, Kreislauf und Bewegungsapparat vor.

Aus präventiv-medizinischer Sicht ist diese Situation unbefriedigend. Eine Ursache für die geringe Inanspruchnahme könnte in den entstehenden Kosten liegen, denn diese werden nur teilweise von den Krankenkassen übernommen. Darüber hinausgehende Untersuchungen sind als individuelle Gesundheitsleistungen privat zu zahlen. Im Hinblick auf den hohen Stellenwert der Prävention sollte über die Kostenübernahme einer solchen Vorsorgeuntersuchung im Sport in Zukunft ernsthaft diskutiert werden.

TIPP

Für jeden aktiven Ausdauersportler sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, die jährliche sportärztliche Vorsorgeuntersuchung wahrzunehmen. Dies gilt auch, wenn Sie vorhaben, eine regelmäßige Trainingsaktivität aufzunehmen oder nach einer längeren Pause wieder einsteigen wollen.

Personen unter 35 Jahren wird alle 2 Jahre eine Vorsorgeuntersuchung empfohlen.

Personen über 35 Jahren oder mit vorliegenden Risikofaktoren sollten sich jährlich untersuchen lassen.

Diese Empfehlung ist allerdings nicht wissenschaftlich abgesichert. Während man auf die immer wieder beworbenen Laktat-Tests durchaus verzichten kann, sind Ausgaben für ein Belastungs-EKG und eine Ultraschalluntersuchung des Herzens (Echokardiographie) sowie der Halsschlagadern sinnvoll und zur Prophylaxe eines plötzlichen Herztodes beim Sport ideal (Urhausen u. Kindermann 2001; Kleinmann 2006).

Die Regenerationszeit und die Zeit des Grundlagenausdauertrainings sind der ideale Zeitpunkt, die fällige Vorsorgeuntersuchung durchführen zu lassen. Gibt der Arzt dann sein „okay“, kann es mit der richtigen Ausrüstung losgehen.

Auf den Punkt gebracht

● Vorsorgeuntersuchungen werden allgemein und speziell von Läufern zu wenig wahrgenommen.
● Lassen Sie vor dem Einstieg ins Lauftraining eine sportärztliche Vorsorgeuntersuchung durchführen.
● Machen Sie jährlich einen Gesundheits-Check bei Ihrem Arzt.
● Und wenn Sie als Mediziner tätig sind: Die Untersuchung sollte sportartspezifisch orientiert sein und auffällige Befunde müssen auf dieser Basis interpretiert werden.

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

Literaturverzeichnis:

Aderhold L, Weigelt S. Laufen! Vom Einsteiger bis zum Ultraläufer. München: Elsevier 2018.

Corrado D, Pelliccia A, Heidbüchel H et al. Recommendations for interpretation of 12-lead electrocardiogram in the athlete. Eur Heart J 2010; 31: 243–59.

Drezner JA, Ackermann MJ, Anderson J et al. Electrocardiographic interpretation in Athletes: the Seattle criteria. Br J Sports Med 2013; 47: 122–4.

Drezner JA, Sharma S, Baggish A et al. International recommendations for electrocardiographic interpretation in athletes. Br J Sports Med 2017; 51: 704–31.

Hirzinger C, Froelicher V, Niebauer J. Pre-participation Examination of Competitive Athletes: Role of the ECG. Trends Cardiovasc Med 2011; 20: 195–9.

Kleinmann D. Laufen und Walking im Alter. Gesundheitliche Auswirkungen und Therapiegrundsätze aus sportmedizinischer Sicht. Wien: Springer 2006.

Lawrenz W. Das Ruhe-EKG in der sportmedizinischen Untersuchung von Kindern und Jugendlichen – ist es notwendig? Dtsch Z Sportmed 2012; 63: 111–3.

Leyk D, Rüther T, Wunderlich M, Sievert A, Erley O, Löllgen H. Inanspruchnahme und Durchführung von sportärztlichen Vorsorgeuntersuchungen. Dtsch Arztebl 2008; 105: 609–14.

Löllgen H. Zur Diskussion: Sportärztliche Vorsorgeuntersuchung: Umfang und Inhalte. Dtsch Z Sportmed 2012; 63: 148–151.

Löllgen H. Neue internationale Empfehlungen zur EKG-Beurteilung bei Sportlern: Panta rhei oder Endpunkt. Dtsch Z. Sportmed 2017; 68: 137–41.

Löllgen H, Gerke R. Bradykardie im Sport. Dtsch Z Sportmed 2001; 52: 180–1.

Löllgen H, Leyk D, Hansel J. Sportärztliche Vorsorgeuntersuchung im Breiten- und Freizeitsport. Internistisch-kardiologische Aspekte. Dtsch Arztebl 2010; 107: 742–9.

Löllgen H, Börjesson M, Cummiskey J, Bachl N, Debruyne A. The Pre-Participation Examination in Sports: EFSMA Statement on ECG for Pre-Participation Examination. Dtsch Z Sportmed 2015; 66: 151–5.

Mewes N, Reimers CD, Knapp G. Prävention und Therapie durch Sport. Band 1: Grundlagen. München: Elsevier 2015.

NiebauerJ. Sportkardiologie. Berlin: Springer 2015.

Nies AM, Mewis C, Dickhuth HH. Wolff-Parkinson-White-Syndrom und Sport. Dtsch Z Sportmed 2001; 52: 325–6.

Riding NR, Sheikh N, Adamuz C et al. Comparison of three current sets of electrocardiographic interpretation criteria for use in screening athletes. Heart 2015; 101: 384–90.

Scharhag J. Das Sportler-EKG. Dtsch Z Sportmed 2007; 58: 184–5.

Scharhag J, Burgstahler C. Das Sportler-EKG: Aktuelle Interpretationen und Empfehlungen. Dtsch Z Sportmed 2013; 64: 352–6.

Scharhag J, Löllgen H, Kindermann W. Herz und Leistungssport: Nutzen oder Schaden? Dtsch Arztebl 2013; 110 (1–2): 14–24.

Sheikh N, Papadakis M, Ghani S et al. Comparison of electrocardiographic criteria for the detection of cardiac abnormalities in elite black and white athletes. Circulation 2014; 129: 1637–49.

Uberoi A, Stein R, Perez MV et al. Interpretation of the electrocardiogram of young athletes. Circulation 2011: 124: 746–57.

Urhausen A. Die Echokardiographie in der Sportmedizin. Dtsch Z Sportmed 2013; 64: 357–61.

Urhausen A, Kindermann W. Echokardiographie in der Sportmedizin. Dtsch Z Sportmed 2001; 52: 231–2.

author: GRR