Michael Reinsch - Foto: Horst Milde
Leichtathletik: Russland weiter gesperrt – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Der Internationale Leichtathletikverband fordert weiterhin Daten, Proben und drei Millionen Dollar. Bis zur Erfüllung starten russische Leichtathleten allenfalls unter neutraler Flagge.
Computer-Daten und Doping-Proben aus dem Moskauer Labor sowie rund drei Millionen Euro – das ist der Preis, den der Internationale Verband der Leichtathleten (IAAF) von den Russen für die Aufhebung ihrer Suspendierung verlangt.
An diesem Montag entschied der oberste Rat der IAAF am Verbandssitz Monaco, den seit drei Jahren anhaltenden Ausschluss des russischen Leichtathletik-Verbandes aufrecht zu erhalten. Es gelte abzuwarten, sagte der mit dem Fall beauftragte Norweger Rune Andersen, ob die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) wie versprochen bis Ende des Jahres Daten und Proben aus dem Labor erhalte, das im Zentrum des russischen Doping-Skandals steht.
Die russische Polizei hat es, als der Doping-Skandal aufflog, zum Tatort erklärt und versiegelt. 2016, „lange vor der Wada“, habe er von den Russen die fraglichen Daten verlangt, sagte Andersen. Mit dem Satz „Wir wissen nicht, was in der Zwischenzeit passiert ist“, deutete er an, dass die Daten und Proben zerstört oder manipuliert worden sein könnten.
IAAF-Präsident Sebastian Coe wies darauf hin, dass russische als neutrale Athleten an internationalen Wettbewerben teilnehmen dürften. Dies gelte, wie er sich ausdrückte, für saubere Athleten aus einem verschmutzten System. Sie müssen sich bewerben und nachweisen, dass sie sich regelmäßig verlässlichen Doping-Kontrollen unterzogen haben.
Die Wada hat im September die Suspendierung der Russischen Anti-Doping-Agentur (Rusada) aufgehoben in der Erwartung, den geforderten Zugang zu erhalten. Im November ist eine Delegation der Wada vergebens nach Moskau gereist. Er habe keinerlei Zusage erhalten, was Daten und Proben betreffe, sagte Andersen. Er erwarte, die Daten von der Wada zu erhalten und der Athletics Integrity Unit (AIU) übergeben zu können, einer neu geschaffenen Einrichtung der IAAF zur unabhängigen Befassung mit Fehlverhalten. Diese solle verdächtige Proben von Leichtathleten identifizieren, deren Analyse veranlassen und gedopte Athleten sanktionieren.
Die Wada hat im November 2017 bekannt gemacht, dass ihre Ermittlungsabteilung im Besitz des Laboratory Information Management System (Lims) sei, in welchem die Analysen von Januar 2012 bis August 2015 gespeichert sind.
Die Kosten für Reisen und Treffen der Task Force, die Andersen leitet, beliefen sich bis Juni auf 2,76 Millionen Euro. Der Präsident des russischen Verbandes, Dimitri Schliachtin, ein ehemaliger Fußball-Profi, hat laut der russischen Nachrichtenagentur Tass um ein Zahlungsziel von sechs Monaten gebeten.
Die IAAF ist neben dem Weltverband für Paralympics der einzige Sportverband, der die Teilnahme russischer Athleten unter ihrer Flagge nicht erlaubt. Im Biathlon starten Russen, obwohl ihr Verband als suspendiert gilt, unter eigener Flagge.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat nach den Winterspielen von Pyeongchang das zuvor suspendierte Nationale Olympische Komitee Russlands wieder zugelassen. 169 russische Athleten hatten auf Einladung des IOC als „Olympische Athleten aus Russland“ an den Spielen teilnehmen können. Zwei wurden Olympiasieger. Das Team gewann insgesamt 17 Medaillen.
Die Wada ließ Rusada am 13. September wieder zu und löste damit Protest von Nationalen Anti-Doping-Agenturen aus, auch der deutschen, und von Athleten. Zuvor war die Fußball-Weltmeisterschaft, trotz nicht versiegender Berichte über positive Doping-Proben von russischen Spielern ohne Einschränkung in elf russischen Städten über die Bühne gegangen.
Eine Begnadigung Russlands wäre ein „Schlag ins Gesicht“ aller sauberen Athleten, hatte Jürgen Kessing, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), vor der Entscheidung wissen lassen. „Die Bringschuld Russlands“, sagte er dem Sportinformationsdienst, sei „noch nicht vollständig erbracht“.
Zum neuen Vorstandsvorsitzenden hat die IAAF Jon Ridgeon bestellt. Der 51 Jahre alte Brite ist ein Vertrauter von Coe und folgt dem Franzosen Oliver Gers, der im März nach nur 18 Monaten wegen Uneinigkeit über die kommerzielle Strategie sein Amt aufgab. Ridgeon führt noch bis Februar in dem von Coe gegründeten und geleiteten Chimes Sports Management in London die Lifestyle-Abteilung „CSM Active“. Ridgeon lief beide Hürdenstrecken, war Junioren-Europameister und wurde 1987 in Rom Zweiter der Weltmeisterschaft über 110 Meter.
Die Weltmeisterschaft 2023 vergab der Weltverband nach Budapest. Stadt und Staat planen, einen Leichtathletik-Komplex zu bauen, dessen Zentrum das Stadion ist; dessen Kapazität soll nach der WM von 40.000 auf 15.000 reduziert werden.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 4. Dezember 2018